Lars von Triers "Dogville" ist der Favorit für die Goldene Palme
- trotz des extrem minimalistischen Sets, der schwerverdaulichen
Story und einer völlig unglamourösen Nicole Kidman
Gefilmtes Theater oder neue Ebene der "Dogma"-Ästhetik? Lars von
Trier reduziert in "Dogville" filmische Möglichkeiten auf ein
Minimum. Es gibt lediglich ein Set mit kargen Requisiten und
Kreidemarkierungen. Der gesprochene Prolog erinnert zudem an
Brechts Regeln für das "epische Theater". Allein mit diesen Mitteln
wird das Gebirgskaff "Dogville" in den Rocky Mountains
dargestellt.
Dorthin flüchtet die von Gangstern verfolgte Grace (Nicole Kidman)
in den 1930ern. Die Einwohner erklären sich bereit, sie zu
verstecken - allerdings für einen hohen Preis. Nur so viel: In
einigen Szenen ist Kidman an eine Kette gefesselt zu sehen, mit
einem Halsband und einer Glocke.
Eine unangenehme Erfahrung für die australische Schauspielerin:"Ich
wurde sehr lethargisch und auch sehr emotional während ich das
spielte. Ich mochte es nicht, ich habe es gehaßt, das anzulegen.
Das Halsband...ugh!" Lars von Trier über den Hintergrund für diese
Szenen:"Die Idee hinter Graces Behandlung durch die Einwohner ist,
dass es gefährlich ist, sich selbst an andere zu verschenken. Die
Macht über ein Individuum, die dadurch den Leuten gegeben wird,
verdirbt sie."
Der dänische Regisseur ist dafür bekannt, seine Leading Ladies
nicht unbedingt schonend zu behandeln - allen voran Björk, die
Hauptdarstellerin in "Dancer in the Dark". Für Nicole Kidman war
der Drehbeginn daher mit gemischten Gefühlen belastet: "Als ich in
Schweden ankam, war die erste Woche sehr schwierig. Er hatte
vorgefaßte Meinungen über mich und ich über ihn. Dann gingen wir in
den Wald und sprachen uns aus. Es war ein dreistündiger Spaziergang
mit Beschimpfungen und Schreien. Aber wir kehrten mit einer starken
Bindung aneinander zurück. Ich sah es als Herausforderung an. Als
Schauspieler hat man eine gewisse Macht, aber man weiß, dass ist
flüchtig und deshalb will man sich hinter gewisse Regisseure
stellen." Dies zahlte sich auf der Premiere in Cannes bereits aus:
Regisseur und Hauptdarstellerin erhielten nach der Vorführung
langanhaltende Standing Ovations.
Dogville soll der erste Teil einer "amerikanischen Trilogie"
werden, die sich kritisch mit Tendenzen innerhalb der Gesellschaft
auseinandersetzt. Dabei war Lars von Trier selbst noch nie in den
USA. In einem Interview mit Screen International gab er die Motive
für sein Interesse an dem Thema kund: "Ich sehe die amerikanische
Gesellschaft nicht als sehr fürsorglich gegenüber Leuten, die nicht
viel besitzen. Dies ist etwas von dem ich glaube, ich sollte es
kritisieren, obwohl ich nie dort war."
Auch auf einer Pressekonferenz in Cannes äußerte er sich in dieser
Richtung: "Ich sehe eine Menge Scheiße in Amerika. Ich bin sicher,
es ist ein schönes Land und könnte ein wunderbarer Platz sein, aber
ich habe Angst, dorthin zu gehen. Ich wäre nicht fähig jetzt nach
Amerika zu gehen weil ich nicht glaube, dass dies die Art ist, wie
Amerika sein sollte."