oder

Billy Wilder ist tot

Meisterregisseur starb mit 95 Jahren

Einer der größten Regisseure aller Zeiten ist tot: Billy Wilder, Schöpfer unzähliger Meisterwerke über vier Jahrzehnte Hollywood, ist am Mittwoch im Alter von 95 Jahren "friedlich eingeschlafen"

Die Filmwelt trauert um einen Meister seines Fachs: Vorgestern Abend gegen 21 Uhr Ortszeit ist der österreichische Regisseur und Drehbuchautor Billy Wilder im Alter von 95 Jahren in seinem Heim in Los Angeles an den Folgen einer Lungenentzündung gestorben. Laut des Fernsehproduzenten und engen Freundes George Schlatter, der den Tod auf Wunsch von Wilders Frau Audrey gestern bekannt gab, ist der Jahrhundertkünstler "friedlich eingeschlafen". Sein Gesundheitszustand habe sich in den vergangenen Monaten ständig verschlechtert. Noch im Dezember war der Filmemacher wegen Lungenentzündung in ein Krankenhaus eingeliefert worden.

Billy war seit Jahren gesundheitlich angeschlagen und seit seinem 90. Lebensjahr auf den Rollstuhl angewiesen. Dennoch hatte er im vergangenen Jahr in einem Interview mit dem "SPIEGEL" den Wunsch geäußert, erst mit 104 Jahren sterben zu müssen - "im Bett mit einer jungen Frau, erschossen vom Ehemann". Dieser Wunsch des sechsfachen "Oscar"-Preisträgers blieb unerfüllt.

Der humorvolle Filmemacher konnte auf ein reiches, vielgepriesenes Lebenswerk zurückblicken, das in seiner gleichbleibend hohen Qualität seinesgleichen sucht. Der Künstler bewies sein Können, Stoffe spannend, äußerst unterhaltsam und erfolgreich auf die Leinwand zu bringen, hauptsächlich in Komödien, aber auch in Dramen, Abenteuer- und Kriminalfilmen. Sein scharfer Witz und seine sarkastische, manchmal als zynisch kritisierte Sicht auf menschliche Schwächen und gesellschaftliche Zustände machten ihn zu einer herausragenden Stimme in Hollywood. Wie keiner Zweiter karikierte Wilder amerikanische und europäische Eigenheiten.

Am 22. Juni 1906 wurde er als Samuel Wilder im damals österreichisch-ungarischen Sucha in Galizien geboren, das heute zu Polen gehört. Er wuchs in Wien auf, studierte 1924 kurz Jura, arbeitete dann als Journalist erst in Wien und dann in Berlin, wo er dann als Drehbuchautor zum Film kam. Sein erstes Drehbuch - noch unter dem Namen Billie Wilder - schrieb er 1929 für "Der Teufelsreporter". Ein Jahr darauf wirkte er auch an dem halbdokumentarischen Klassiker "Menschen am Sonntag" mit. Es folgten elf weitere Drehbücher für deutsche Produktionen. 1933 floh der jüdische Wilder vor den Nazis nach Frankreich. Seine Mutter, Großmutter und andere Verwandte kamen später im Vernichtungslager Auschwitz um. Nach einem Gastspiel mit einem Film in Paris siedelte er 1934 nach Hollywood über, nachdem er von Columbia Pictures das Angebot erhalten hatte, für 150 Dollar die Woche Drehbücher zu schreiben.

In der Filmmetropole arbeitete Billy, dessen amerikanischer Wortschatz sich bei seiner Ankunft auf wenige Worte beschränkte, als Drehbuchautor unter anderem 1939 für Ernst Lubitschs "Ninotschka", wofür er erstmals für den "Oscar" nominiert wurde, bevor er 1942 bei der Komödie "The Major and the Minor" erstmals auch Regie führte. Er hatte dabei das Glück, ab 1938 mit dem wortgewandten New Yorker Literaten Charles Brackett einen kongenialen Partner zu finden, mit dem er zusammen bis 1950 in zwölf Jahren 14 Skripts verfasste. Weil er sich des Englischen nie ganz sicher wurde, musste Wilder seine Bücher stets mit einem Partner verfassen. Bei den letzten zwölf Produktionen von 1959 bis 1981 war sein ständiger Mitautor IAL Diamond.

Nach der Komödie "The Major and the Minor" und dem Abenteuerfilm "Five Graves to Cairo" wurde Wilder durch den Doppelschlag des Kriminalfilms "Frau ohne Gewissen" von 1944 und dem Drama "Das letzte Wochenende" von 1945 berühmt. Für letzteren Film erhielt er sowohl einen Academy Award als Autor wie auch als Regisseur, obwohl die Geschichte eines Trinkers beinahe gar nicht in die Kinos gekommen wäre, weil die Schnapsindustrie der Produktionsgesellschaft Paramount Pictures Millionen Dollar bot, wenn sie das Negativ des Films vernichteten, und es bei Testaufführungen Gelächter beim Publikum gegeben hatte. Doch Billy setzte seinen Film, der Ray Milland auch den "Oscar" als "Bester Hauptdarsteller" einbrachte, durch - und triumphierte.

Während sein nächster Film "Kaiserwalzer", eine Komödie mit Bing Crosby, die Österreich in Kanada nachzustellen versuchte, bei Kritik und Publikum durchfiel, war er mit der im vom Krieg zerstörten Berlin gedrehten Komödie "Eine auswärtige Affäre" mit Marlene Dietrich wieder in Bestform. Er und Brackett erhielten eine weitere "Oscar"-Nominierung für das "Beste Drehbuch". Mit dem Drama "Sunset Boulevard" erklommen die Zwei einen weiteren Gipfel. Obwohl einige Produzenten den Film als Nestbeschmutzung empfanden, wurde Wilder für die bittere Geschichte um verbleichenden Ruhm und grenzenlosen Ehrgeiz in der Filmindustrie dennoch als Regisseur für den "Oscar" nominiert, und Brackett und er erhielten zum zweiten Mal als Team die goldenen Statuetten für ihr Skript. Danach trennten sich die Wege der beiden Künstler.

Doch Billy lieferte ein Meisterwerk nach dem anderen ab. Das Drama "Reporter des Satans" von 1951 mit Kirk Douglas wurde zwar ein Flop an den Kinokassen, erneut wurde das Drehbuch des Regisseurs aber für den "Oscar" nominiert. Als "Bester Regisseur" wurde Wilder zwei Jahre darauf für sein Drama "Stalag 17" genannt, das in einem deutschen Kriegsgefangenenlager für amerikanische Soldaten spielte und William Holden, mit dem der Regisseur insgesamt viermal zusammenarbeitete, zum "Besten Hauptdarsteller" machte.

1954 drehte Wilder mit "Sabrina" wieder einmal eine Komödie. Der Audrey Hepburn-Streifen wurde ein großer Erfolg und erneut waren Regie und Drehbuch für den "Oscar" nominiert. Ein Jahr darauf inszenierte Billy erstmals Marilyn Monroe in der Komödie "Das verflixte siebte Jahr" und schuf das weltbekannte Bild der Blondine, deren Rock von der Abluft aus einem Gitter hochgeweht wird. 1957 inszenierte er den Abenteuerfilm "Lindbergh: Mein Flug über den Ozean" mit James Stewart und die Audrey Hepburn-Komödie "Liebe am Nachmittag", die beide schwächer aufgenommen wurden. 1958 kam der Filmemacher mit dem Kriminalfilm "Zeugin der Anklage" wieder groß heraus. Die Verfilmung einer Kurzgeschichte von Agatha Christie mit Charles Laughton und Marlene Dietrich wurde bei Kritik und Zuschauern ein großer Erfolg und Billy wieder mal für den Academy Award als "Bester Regisseur" nominiert.

1959 begann ein neuer Karriereabschnitt für Wilder, denn er startete die Zusammenarbeit mit Jack Lemmon, den er durch seine Komödien "Manche mögen´s heiß" von 1959 und "Das Apartment" von 1960 zum Superstar machte und für sich selbst riesige Erfolge bei Kritik und an den Kinokassen verbuchte. "Ich würde für den Rest meines Lebens am liebsten nur noch Billy Wilder-Filme machen", erklärte Lemmon einmal. Nachdem der Filmemacher für sein Buch und seine Regie zu "Manche mögen´s heiß" wieder "Oscar"-nominiert worden war, brachte die Academy Awards-Verleihung von 1961 einen unerhörten Erfolg: Wilder wurden für "Das Apartment" drei "Oscars" für die "Beste Regie", für das "Beste Drehbuch" und als Produzent für den "Besten Film" überreicht.

Nach diesem Karrierehöhepunkt drehte Billy zunächst in Deutschland die Komödie "Eins, zwei, drei" rund um den Ost-West-Konflikt in Berlin und hatte das Pech, dass ihm der Mauerfall dazwischenkam - der Film wurde kein Erfolg. Ein besseres Ergebnis an den Kinokassen erzielte seine Komödie "Irma la Douce", für die er noch mal mit seinem "Das Apartment"-Erfolgsduo Shirley MacLaine und Jack Lemmon zusammenarbeitete. Es sollte sein letzter Publikumserfolg bleiben.

1964 geriet seine Komödie über bürgerliche Doppelmoral, "Küss mich, Dummkopf!", unter Beschuss von Kirche und konservativen Gruppen, fand aber auch bei Kritik und Zuschauern kaum Anklang. In der Komödie "Der Glückspilz" brachte er 1966 erstmals Lemmon und Walter Matthau zusammen - mit mehr Nachhall in der Filmindustrie als beim Publikum. Wilder erhielt für sein Drehbuch seine 21. und letzte "Oscar"-Nominierung, und Matthau wurde als "Bester Nebendarsteller" geehrt. Des Filmemachers nächste Komödie "Das Privatleben des Sherlock Holmes" wurde 1970 von United Artists um eine ganze Stunde auf 120 Minuten gekürzt, weil das Studio Angst hatte, einen so langen Film wolle niemand sehen wollen. Doch auch der Torso fand keine Zuschauer. Es folgten die Komödien "Avanti!" von 1972 mit Jack Lemmon, "Extrablatt" von 1974 mit Lemmon und Matthau und das Drama "Fedora" mit William Holden von 1978, ein schwacher "Sunset Boulevard"-Abklatsch.

Als auch seine Komödie "Buddy, Buddy" von 1981 - wiederum mit Lemmon und Matthau - von den Kritikern verrissen wurde und das Publikum wegblieb, zog sich Billy aus dem Filmgeschäft zurück. 1988 wurde er mit einem Ehren-"Oscar" ausgezeichnet und 1993 auf der Berlinale mit einem Goldenen Bären für sein Lebenswerk.

Wilder war zweimal verheiratet. Seine erste Ehe mit einer kalifornischen Gesellschaftsdame namens Judith Iribe endete nach zehn Jahren 1946 mit der Scheidung. Aus der Ehe ging 1939 die Tochter Viktoria hervor. 1949 heiratete Billy die Sängerin Audrey Young, mit der er bis zu seinem Lebensende zusammenblieb. Gemeinsam sammelten die beiden zahlreiche Kunstwerke von Picasso, Miro und anderen Malern, von denen sie 1989 80 Stücke für 30 Millionen Dollar versteigern ließen.


Spielfilm.de-Mitglied werden oder einloggen.