Am Sonntagmorgen ist Anthony Quinn im Alter von 86 Jahren in
einem Krankenhaus in Boston gestorben
Ein weiterer Leinwandgigant hat die Augen für immer geschlossen. Am
Pfingstsonntag um 9 Uhr 30 Ortszeit ist Anthony Quinn im Beisein
seiner Frau im Brigham und Women´s Krankenhaus in Boston gestorben,
in welchem er wegen einer Lungenentzündung seit 17 Tagen gelegen
hatte. Der Schauspieler wurde 86 Jahre alt.
Quinn hat mit über 60 Jahren Tätigkeit im Film sicherlich eine der
längsten Hollywood-Karrieren absolviert und arbeitete buchstäblich
bis zuletzt: Am 9. April haben die Dreharbeiten zu der
Kriminalkomödie "Avenging Angelo" begonnen, in welcher der Mime die
Titelrolle neben Madeleine Stowe und Sylvester Stallone übernommen
hatte. Noch im September hatte er in einem Fernsehinterview gesagt:
"Ich kann nicht in den Ruhestand gehen. Ich meine, ich habe mit dem
Arbeiten angefangen, als ich eineinhalb Jahre alt war, und mein
ganzes Leben gearbeitet."
Anthony Rudolph Oaxaca Quinn wurde am 21. April 1915 im
mexikanischen Chihuahua als Sohn eines irischen Vaters und einer
mexikanischen Mutter geboren. Als er drei Jahre alt war, siedelte
seine Familie in den Vereinigten Staaten über, deren Bürger er
schließlich 1947 wurde. "Wenn man als Mexikaner Quinn hieß, war das
nicht gut. Wenn man nicht Gonzalez oder Montoya oder so heißt, dann
wird man einfach nicht als Mexikaner akzeptiert", meinte der Star
zur "The New York Times" im September, als er den Hispanic Heritage
Award gewonnen hatte.
In den Staaten schlug sich die Familie zunächst als Pflücker von
Beeren und Nüssen im Salinas Valley für zehn Cent die Stunde durch.
Der kleine Anthony wuchs in ärmlichen Verhältnissen in Los Angeles
auf. Vor seiner Schauspielkarriere musste er sich als Schuhputzer,
Zeitungsverkäufer, Boxer und Arbeiter in einer Matrazenfabrik
durchschlagen; er versuchte sich auch als Maler und Prediger und
spielte Saxophon.
Nachdem er kurze Bühnenerfahrung gesammelt hatte, kam er 1936 zum
Film, erst als Statist und dann in kleinen Nebenrollen, auf die er
bis Ende der Vierziger abonniert blieb: "Ich spielte den Bösewicht
der Bösewichter", beschrieb er diese Karrierephase später einmal.
"Ich habe es kaum einmal bis in die Schlussviertelstunde geschafft,
ohne dann von einer Kugel, einem Messer oder einem Draht, erledigt
zu werden, meistens von einem rivalisierenden Gangster."
1947 erhielt er in "Black Gold" seine erste Hauptrolle, aber dann
kam die Kommunistenhetze der ausgehenden Vierziger Quinn, der
politisch eher links war, in die Quere, und er verließ Hollywood,
um sich der Bühne zu widmen. Dort gelang ihm der Durchbruch als
Marlon Brandos Nachfolger in der Rolle des Stanley Kowalski in
"Endstation Sehnsucht", die er zwei Jahre lang am Broadway spielte.
In Hollywood setzte sich dieser Durchbruch mit seinem
"Oscar"-Gewinn als "Bester Nebendarsteller" in "Viva Zapata!" von
1952, dem vier Jahre später der zweite Academy Award-Gewinn für
seine Nebenrolle als Paul Gauguin in "Ein Leben in Leidenschaft"
folgte, fort.
Quinn wurde zum Star und erhielt nun Hauptrollen, die seine
Maskulinität und sein leidenschaftliches Spiel betonten, so zum
Beispiel in Frederico Fellinis "La Strada" von 1954. 1957 folgte
eine "Oscar"-Nominierung für "Wild ist der Wind", diesmal als
"Bester Hauptdarsteller". 1958 versuchte sich der Akteur mit "König
der Freibeuter" als Regisseur, aber wegen des Misserfolgs des
Abenteuerfilms blieb es bei diesem einen Ausflug.
1964 erreichte Quinns Filmkarriere ihren Höhepunkt, als er seine
wohl berühmteste Rolle spielte: Den lebens- und sinnenfrohen
griechischen Bauern Alexis Sorbas in "Alexis Sorbas", der dem
steifen Engländer Alan Bates das Trinken und Tanzen beibringt und
Quinn eine weitere "Oscar"-Nominierung als "Bester Hauptdarsteller"
einbrachte. Die Griechen, für die der Film beste
Fremdenverkehrswerbung war, ernannten den Schauspieler später zum
"griechischen Ehrenbürger". Mit dem Part des Alexis Sorbas wurde
Quinn bis an sein Lebensende identifiziert, um so mehr, als er auch
im Privatleben kein Purist war: Mit fünf Frauen hatte Anthony
insgesamt 13 Kinder, zuletzt wurde er mit 80 Jahren Vater. Auch für
den Darsteller selbst war der Zorbas seine Lieblingsrolle, und er
wiederholte sie 1983 mit einem Bühnenmusical, das auf dem Film
basierte.
Insgesamt drehte der Schauspieler weit über 100 Filme, und es ist
kein Wunder, dass die Qualität der Produktionen wie auch Quinns
Darstellungen schwankten. Neben manchen wirklich bemerkenswerten
Darstellungen schien sich der Mime manchmal mit Knallchargenpose
selbst zu persiflieren.
Seine ethnische Erscheinung legten ihn zwar zunächst auf Bösewicht-
oder Indianerfiguren fest, aber er brach aus diesem Klischee aus
und verkörperte Menschen ganz unterschiedlicher Nationalitäten.
Neben dem Griechen Zorbas spielte er unter anderem in "La Strada"
einen Italiener, 1959 in "Im Land der langen Schatten" einen
Eskimo, in "Lawrence von Arabien" von 1962 einen Araber, 1979 einen
Basken in "Die Passage" und in "Dem Himmel so nah" schließlich
einen Mexikaner. Dazu kamen Parts als Russen und verschiedene
asiatische Typen. Auch privat wollte sich Quinn nicht festlegen
lassen. "Ich lebte in Griechenland, in Frankreich, im Iran und
überall auf der Welt", meinte er im Interview mit der "The New York
Times", "und versuchte, eine Nische zu finden, wo ich schließlich
akzeptiert werden würde."
Mitte der Achtziger verschwand Anthony zusehends von der Leinwand
und tauchte nur noch hier und da wieder auf, so 1990 neben Kevin
Costner in "Revenge", 1991 neben John Candy in "Mama, ich und wir
zwei" und in Spike Lees "Jungle Fever", 1993 neben Arnold
Schwarzenegger in "Last Action Hero" und 1995 neben Keanu Reeves in
"Dem Himmel so nah". Bereits 1977 hatte er in einem Interview
beklagt: "Was sollte ich in Hollywood spielen? Die sehen mich nur
als einen Mexikaner, einen Indianer oder einen Mafia-Paten."
Neben seiner gefeierten Bühnen- und Filmarbeit erlangte Quinn auch
als Bildhauer und Maler Anerkennung - Künsten, denen er mit
abnehmender Schauspieltätigkeit mehr Zeit widmen konnte. "Er hat
ständig gemalt, geschrieben oder skizziert", meint seine Mäzenin
Irene Nagy Dessewffy: "Er hat nie nichts getan."
Quinn selbst, der zuletzt - nach Jahren in einer Villa nahe Rom -
in Bristol, Rhode Island gelebt hat, schätzte seine Kunst so ein:
"Ich stehle, aber nur von den Besten."