Berlin. Stell' dir vor, es ist 1968, du siehst Bilder brennender
Kinder aus Vietnam und von der Nationalgarde erschossener Studenten
auf der US-Uni von Kent
Berlin. Stell' dir vor, es ist 1968, du siehst Bilder brennender
Kinder aus Vietnam und von der Nationalgarde erschossener Studenten
auf der US-Uni von Kent. Was macht das aus dir? a) Einen
Außenminister. b) Einen Horrorfilmer. c) Einen witzigen Schweizer
Hellseher, der früher als Anarchist Waffen nach Irland und Italien
schmuggeln wollte.
Überlassen wir den Außenseiter mal der Springerpresse und wenden
uns dem Horror und den rebellischen Schweizern zu. Zwei völlig
unterschiedliche Dokumentarfilme im Programm des 21.
Internationalen Forums begannen mit den gleichen (Nachrichten-)
Bildern, die weltweit die 68-er prägten: Die Erschießung von
Kriegsgefangenen und Studenten, das Massaker von My Lai, die
Ermordung von Martin Luther King. (Es sind diese irritierenden
Duplizitäten in der Bilderflut eines Festivals, die einem zu denken
geben: Sehe ich doch zuviel Filme?) Der amerikanische Regisseur
Adam Simon zeigt in "The American Nightmare" auf frappierend
schlüssige Weise, wie das Grauen von Vietnam zu den epochalen
Horrorfilmen von Wes Craven, John Carpenter, Tobe Hopper, George
Romero und anderen führte. Mit vielen Interview-Schnipseln und
einer genialen Schnitt-Technik macht diese fesselnde Analyse Spaß
und klüger.
Ein paar junge Schweizer griffen nicht zur Kamera, sondern zu
Fahrrad und Töffli (= Mofa), um nächtens eine Kaserne in Zürich
auszurauben. Die Handgranaten und anderes Kleinzeugs konnten sie
zuerst nicht selbst anwenden - den Hausbesetzern waren sie zu
radikal. Man beschloß andere Revoluzzer zu unterstützen. Doch
irgendwie klappte es nicht, den Widerständlern in den
faschistischen Ländern Spanien, Griechenland und Portugal zu
helfen. Die Bombenanschläge auf die entsprechenden Vertretungen in
der Schweiz hatten jedoch Folgen. Heute lachen die reiferen Herren
über den jungen Idealismus.
Ko-Regisseur Marcel Zwingli war mit Daniele, einem der Anarchisten,
befreundet (und wurde nicht Außenminister ...). Jetzt besucht er
den sehr gelassenen Kaffeesatzleser Daniele, läßt ihn und andere
von den wilden Zeiten erzählen. Obwohl Daniele noch 20 Jahre danach
auf europäischen Fahndungslisten stand, ein Kumpel es die ganze
Zeit nicht wagte, die Schweiz zu verlassen, amüsiert man sich mit
Daniele über die damalige Vorstellungen, die abenteuerlichen
Ereignisse und die aberwitzigen Lebenswege. Dass man in der
Schweizer Försterausbildung die Kenntnisse für revolutionären
Umgang mit Sprengstoffen erlernt, vermutet man wirklich nicht. Da
hätte auch Joschka seine Freude gehabt, doch jetzt ist mit den
billigen Anspielungen Schluß.