"Capernaum - Stadt der Hoffnung", Arte, 20:15 Uhr
Ein Zwölfjähriger (Zain Al Rafeea) in Beirut verklagt seine Eltern - weil sie ihn zur Welt gebracht haben.
"Bist du glücklich, hier zu sein? Bist du glücklich, am Leben zu sein?" Diese Frage stellte Regisseurin und Drehbuchautorin Nadine Labaki in Vorbereitung auf dieses libanesische Drama Straßenkindern in Beirut - und bekam fast ausnahmslos ein "Nein" zur Antwort. Und spätestens wenn man "Capernaum" gesehen hat, kann man die Kinder, die oft aus syrischen Flüchtlingsfamilien stammen, verstehen.
Labaki wollte mit ihrem Werk diesen Kindern, die in einer Welt aus Armut, Rechtsunsicherheit, Gewalt und Vernachlässigung aufwachsen, eine Stimme geben. Und das ist ihr triumphal gelungen, nachdem sie sechs Jahre ihres Lebens investiert und ihr Produzent Khaled Mouzanar eine Hypothek auf sein Haus aufgenommen hatte, um einen Teil des umgerechnet 4 Millionen Dollar hohen Budgets zu finanzieren. Das Meisterwerk ist sicher kein leichtes Sehvergnügen, aber es belohnt die Zuschauer mit einer intelligenten, mitfühlenden und ergreifenden Geschichte von Leben in der Schwebe.
Zur Authentizität von "Capharnaüm" - das Wort lässt sich auch mit "Chaos" übersetzen - trägt die Besetzung aus Laien und das Drehen vor Ort in Beirut bei. Hauptdarsteller Zain Al Rafeea, ein seit 2012 in Beirut lebender syrischer Flüchtling, spielt im Grunde sich selbst, sogar der Name wurde für seinen Charakter beibehalten. Bei den Aufnahmen in den Armenvierteln der libanesischen Hauptstadt ließ die Produktion keine Straßen sperren, sondern mischte sich mitten ins Geschehen, teilweise traten Anwohner auf.
Am Ende waren 520 Stunden Film belichtet, welche die französische Cutterin Laure Gardette und der deutsche Cutter Konstantin Bock in einem eineinhalbjährigen Prozess auf zwölf und schießlich auf zwei Stunden kürzten.
"Capharnaüm" feierte seine Premiere 2018 auf den Filmfestspielen von Cannes, wo er fast durchweg gute Kritiken und eine 15 Minuten lange Stehende Ovation erhielt. Das war der Auftakt für eine Erfolgsgeschichte ohne Gleichen. Mit weltweit 68 Millionen Dollar wurde der Film der erfolgreichste aus dem arabischen Raum aller Zeiten und übertraf damit locker den bisherigen Rekord von "Et maintenant on va où?" ("Wer weiß, wohin?"), der 2011 rund 21 Millionen Dollar umgesetzt hatte und ebenfalls von Nadine stammt.
Der Streifen erhielt Nominierungen als "Bester fremdsprachiger Film" für den Academy Award, den Golden Globe und den Britischen Filmpreis. Ausgerechnet in seinem Heimatland war "Capharnaüm" weniger gut gelitten - einigen Zuschauern und Kritiker missfiel die drastische Darstellung Beiruts als Armuts- und Korruptionshölle.
Kritikerin Diane Carson urteilte im Radiosender KDHX: "So Herz zerreißend der Film auch ist, vermeidet Nadine Labaki es, die Situationen zu sentimentalisieren, und findet statt dessen ab und an Humor und liebevoll zärtliche Momente."
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