Geboren in Tokio, gestorben in Paris - und dazwischen ein wahres Jahrhundertleben. 104 Jahre, um genau zu sein.
Gestern ist Olivia De Havilland "friedlich eingeschlafen, und die Welt hat einen internationalen Schatz verloren", wie ihre Anwältin Suzelle Smith mitteilte. Die Britin, die seit 1955 in Paris lebte, war eine der Darstellerinnen, die Vielschichtigkeit auch in Rollen des "lieben Mädchens" bringen konnte. Als solches ist sie bis heute besonders für ihre Darstellung der Melanie in "Gone with the Wind" aus dem Jahr 1939 berühmt, für die sie ihre erste Oscar-Nominierung erhielt. Es sollten weitere folgen für "Hold Back the Dawn" ("Das goldene Tor") von 1941 und als Hauptdarstellerin für "The Snake Pit" ("Die Schlangengrube") von 1948. Zweimal gewann sie den Goldjungen als Hauptdarstellerin: Für "To Each His Own" ("Mutterherz") von 1946 und für "The Heiress" ("Die Erbin") von 1949, für den sie auch den Golden Globe erhielt. Eine weitere Globe-Nominierung gab es für "My Cousin Rachel" von 1952.
Regisseur Mervyn LeRoy meinte einst: "Wenn es je eine geborene Schauspielerin gegeben hat, dann Olivia de Havilland. Ihre Artikulation ist superb. Sie kann einen Dialog mit jedem Tonfall darbieten, den ein Regisseur verlangt - so genau, als ob sie die Worte auf einem Klavier anschlagen würde."
Thierry Fremaux, der Leiter des Filmfestivals von Cannes, bei dem sie 1965 als erste Frau der Wettbewerbsjury vorsaß, erklärt: "In einer Zeit, in der wir den Platz von Frauen im Kino diskutieren, müssen wir uns an die Stärke von Olivia de Havilland erinnern, die dafür kämpfte, Schauspielerinnen aus Studioverträgen zu befreien, durch die sie ausgebeutet wurden. Diese Stärke und den Mut hat sie in ihrer gesamten Karriere und dem ganzen Leben bewiesen. Sie war die Königin Hollywoods und wird als solche auch in der Filmgeschichte verehrt werden."
Olivia de Havilland wurde am 1. Juli 1916 als Tochter britischer Eltern in Tokio geboren. Ihre ein Jahr später geborene und 2013 im Alter von 96 Jahren gestorbene Schwester Joan Fontaine sollte ebenfalls Schauspielerin werden. Ihre Mutter war Schauspielerin, ihr Vater Englisch-Professor an der Universität in Tokio. Schon 1919 siedelte die Familie nach Kalifornien über, aber der Vater verließ die Familie, um in Tokio mit seiner japanischen Haushälterin zu leben, die er später auch heiratete.
Olivia lernte bereits mit vier Jahren Ballet und mit fünf Jahren das Klavierspielen. 1933 trat sie erstmals in einem Theaterstück "Alice im Wonderland" auf. Weil ihr Stiefvater, der Kaufhaus-Manager George Fontaine, ihr verbot, weiterhin an der High School Theater zu spielen, verließ sie mit 16 Jahren ihr Zuhause und lebte bei einer Freundin. Als der deutsche Theaterregisseur Max Reinhardt 1934 für eine Produktion von Shakespeare's "A Midsummer Night's Dream" nach Los Angeles kam, erhielt sie eine Nebenrolle, überzeugte und bekam das Angebot, auf eine vierwöchige Tournee zu gehen. Reinhardt gewann sie auch für seine Verfilmung von "A Midsummer Night's Dream", und die damals 18-Jährige unterschrieb einen Siebenjahresvertrag bei Warner Brothers Pictures - der professionelle Beginn einer mehr als 50 Jahre umfassenden Karriere. Und einer stürmischen: Mit den Warner-Bossen geriet sie mehrmals aneinander, weil sie Rollen ablehnte, und wurde öfter beurlaubt.
Bei Warner Bros. machte man Testaufnahmen von de Havilland mit einem anderen jungen Schauspieler, Errol Flynn, und besetzte das Paar in dem Abenteuerfilm "Captain Blood" ("Unter Piratenflagge") von 1935. Dieser Erfolgspaarung folgten 1936 "The Charge of the Light Brigade" ("Der Verrat des Surat Khan"), "The Adventures of Robin Hood" von 1938, "The Private Life of Elizabeth and Essex" ("Günstling einer Königin") von 1939 und "They Died with Their Boots On" ("Sein letztes Kommando") von 1941.
Als der Vertrag mit Warner Bros. 1943 auslief, wollte das Studio die Aktrice nicht gehen lassen - wegen der summierten Freistellungen schulde sie ihnen noch sechs Monate, so das Argument der Studio-Manager. Olivia, oftmals unzufrieden mit den ihr angebotenen und entgangenen Rollen, ging vor Gericht und gewann, was weitreichende Folgen für die Industrie haben sollte. Die langjährigen Verträge gehörten bald der Vergangenheit an, und die Mimen erhielten mehr vertragliche Freiheiten gegenüber den Filmstudios.
De Havilland selbst aber musste ihre Courage erst einmal büßen. Drei Jahre lang erhielt sie auf Betreiben von Warner Bros. auch von anderen Studios keine Rollen angeboten. Der Darstellerin gelang es erst ab 1946 wieder als freie Schauspielerin für verschiedene Studios zu arbeiten. Ihr Comeback mit dem Oscar für "To Each His Own" ("Mutterherz") hätte nicht triumphaler ausfallen können. Olivia's Oscar-nominierte Leistung als psychisch Kranke in "The Snake Pit" von 1948 gilt vielen als ein schauspielerischer Höhepunkt ihrer Karriere.
Nachdem sie sich 1953 von ihrem Mann Marcus Goodrich nach sieben Jahren getrennt hatte, heiratete sie 1955 den Franzosen Pierre Galante, Herausgeber von "Paris Match", und siedelte nach Paris über. Ab da trat sie nur noch in wenigen Filmen wie "Hush Hush, Sweet Charlotte" ("Wiegenlied für eine Leiche") von 1964 an der Seite ihrer Freundin Bette Davis oder "Airport '77" ("Verschollen im Bermuda-Dreieck") von 1977 auf. Zwei Jahre später war sie letztmals in "The Fifth Musketeer" auf der großen Leinwand zu sehen.
Daneben blieb sie dem Theater treu, stand beispielsweise 1962 mit Henry Fonda in "A Gift of Time" auf der Bühne am Broadway. In den Achtzigern spielte sie in verschiedenen Fernsehserien und -filmen wie "North and South" ("Fackeln im Sturm") im Jahr 1986 mit. 1988 endete ihre Laufbahn mit einer Nebenrolle in dem britischen TV-Streifen "The Woman He Loved" ("König ihres Herzens").
Ihren 1949 geborenen Sohn Benjamin verlor Olivia 1991 durch eine Krebserkrankung; sie hinterlässt ihre 1956 geborene Tochter Gisele Galante.