oder
Das weiße Band - Die Tochter des Arztes wundert sich...inder
Das weiße Band - Die Tochter des Arztes wundert sich über das plötzliche Interesse der Kinder
© X Verleih

TV-Tipp für Montag (25.5.): Michael Haneke erzählt eine deutsche Kindergeschichte

Arte zeigt "Das weiße Band"

"Das weiße Band", Arte, 20:15 Uhr
Seltsame Unfälle ereignen sich in einem kleinen norddeutschen Dorf vor Beginn des Ersten Weltkriegs, die wie eine rituelle Bestrafung wirken. Wer ist verantwortlich?

Ein phänomenaler Film, der wegen seines langsamen Tempos und seiner Weigerung, die Handlungsfäden zu verknüpfen und zu einem Hollywood Ending zu führen, nicht für jedermann ist. Wer sich aber auf die hypnotischen Schwarzweiß-Bilder einlässt, wird mit einer Seherfahrung belohnt, die ihresgleichen sucht.

Ursprünglich wollte Regisseur und Drehbuchautor Michael Haneke ("Liebe") diesen Stoff als Fernsehmehrteiler vom Österreichischen Rundfunk produzieren lassen, fand aber keinen Geldgeber. Erst als die Berliner Produktionsgesellschaft X Filme sich beteiligte, kam die rund 16 Millionen Euro teure Produktion als Spielfilmprojekt zustande. Für den Part des Pastors war Ulrich Mühe vorgesehen; als dieser jedoch 2007 starb, übernahm Burghart Klaußner den Part.

Gedreht wurde in Netzow und Michaelisbruch in der brandenburgischen Prignitz, die für den fiktiven Ort Eichwald einstanden. Die Innenaufnahmen entstanden im Media City Atelier in Leipzig. Kameramann Christian Berger filmte in Farbe; digital wurden die Bilder ins Schwarzweiß verwandelt und dann extensiv nachbearbeitet, um sie heller, dunkler, kontrastreicher oder schärfer wirken zu lassen. Der im Drama dargestellte strenge Protestantismus fand so seine Entsprechung in den kalten Bildern.

Michael nutzt wirkungsvoll die Anspannung und die freudlose Atmosphäre, um eine zum Nachdenken anregende Darstellung des entstehenden Faschismus zu inszenieren. Wie hier auf spielfilm.de an anderer Stelle schon einmal festgestellt, war die Nationalsozialistische Partei in der Mehrheit eine der um 1900 Geborenen. Somit wären viele der später Aktiven zur Spielzeit von "Das weiße Band" Kinder und Jugendliche gewesen. Der Untertitel des Films - "Eine deutsche Kindergeschichte" - bekommt so einen ominösen Klang.

Nichts davon wird in diesem deutschen Drama ausgesprochen, man kann nicht mal sagen, dass es angedeutet wird. Vieles ist impliziert, muss mit- und angedacht werden. "Michael Haneke sagt immer: Der Film ist die Startrampe, aber abspringen wollen muss das Publikum selbst", erklärte Produzent Stefan Arndt im Interview. Der Filmemacher selbst erläuterte: "Überall, wo es Unterdrückung, Demütigung, Unglück und Leid gibt, ist der Boden bereitet für jede Art von Ideologie. Deshalb ist dieser Film nicht als einer über den deutschen Faschismus zu verstehen. Es geht um ein gesellschaftliches Klima, das Radikalismus ermöglicht. Das ist die Grundidee."

Nichtsdestotrotz ist es eine deutsche Geschichte, die man sich schwer in der sonnendurchfluteten Toskana vorstellen kann. Der sittenstrenge Protestantismus, der dem Einzelnen ständig Zwänge auferlegt und die Entfaltung der Persönlichkeit behindert, begünstigt in Haneke's Blick den Übergang vom Wilhelminismus zum Nationalsozialismus. Der Österreicher zeichnet ein bedrückendes, insbesondere für die Heranwachsenden traumatisierendes soziales und zwischenmenschliches Klima, das selbst im engen Familienkreis von Unterdrückung und Verachtung, Misshandlung und Missbrauch sowie Frustration und emotionaler Distanz geprägt ist und unter der Oberfläche ein Gewaltpotential entstehen lässt, das sich in kalkulierten und unkalkulierten Ausbrüchen ein Ventil sucht.

"Das weiße Band" gewann die Goldene Palme in Cannes, erhielt den Golden Globe und den Europäischen Filmpreis, wurde für den Brasilianischen, den Britischen, den Dänischen, den Französischen, den Italienischen und den Spanischen Filmpreis sowie den Academy Award nominiert - wobei im Vorfeld eine Auseinandersetzung getobt hatte, ob das Werk als deutsche oder österreichische Produktion zu bewerten sei; Deutschland setzte sich durch. Kameramann Christian Berger wurde ebenfalls Oscar-nominiert. Bei den Deutschen Filmpreisen gewann der Film zehn Lolas als Bester Film, für Regisseur Michael Haneke, sein Drehbuch, Hauptdarsteller Burghart Klaußner, Nebendarstellerin Maria Dragus, Kameramann Christian Berger, Bühnenbildner Christoph Kanter, Kostümbildnerin Moidele Bickel, die Maskenbildner und die Tontechniker und war für noch drei weitere nominiert. Mit 668 000 Besuchern und einem Umsatz von etwa 4 Millionen Euro wurde der Film, der eher ein Programmkinotitel ist, ein Erfolg.

Kritiker Matt Glasby schrieb: "Wenn man davor sitzt, scheint das Verwischen der minutiösen Details wenig Sinn zu ergeben. Aber wenn man zurücktritt, werden die gewaltigen Absichten unauslöschlich sichtbar."



Hier geht es zum kompletten TV-Programm

Hier streamen



Spielfilm.de-Mitglied werden oder einloggen.