"Die Lady von Shanghai", Arte, 22:00 Uhr
Von einer Frau (Rita Hayworth) fasziniert, nimmt ein Matrose (Orson Welles) an der bizarren Kreuzfahrt mit einer Yacht teil und verstrickt sich in einen komplexen Mordplan.
"The Lady from Shanghai" repräsentiert in einer Nussschale all das, was Orson Welles' gesamte Karriere auszeichnete: Kreatives Genie, Einmischung des Filmstudios und dadurch entstehendes Produktionschaos, Verstümmelung des Films, Fehlschlag an der Kinokasse und die langsame Wiederentdeckung und Wertschätzung des Films im Lauf der Jahrzehnte.
Orson Welles benötigte mal wieder Geld. Diesmal waren es 55 000 Dollar für sein ausladendes Broadway-Musical "Around the World in Eighty Days". In seiner Not wandte er sich an Columbia Pictures-Chef Harry Cohn und versprach ihm, für diese Summe als Vorschuss einen Film zu produzieren, zu schreiben, zu inszenieren und auch die Hauptrolle zu übernehmen. Als Sahnehäubchen brachte er noch seine damalige Frau und Columbia-Star Rita Hayworth mit. "The Beauty and the Brain", wie die Presse das Promi-Paar damals nannte, sollten Columbia einen Erfolgsfilm bescheren.
Welles machte sich daran, den Kriminalroman "If I Die Before I Wake" von Sherwood King aus dem Jahr 1938 zu bearbeiten und machte das Buch durch zahlreiche Änderungen zu seinem eigenen Werk. Der damals 31-Jährige brachte wieder einige Schauspieler seiner Mercury Theatre-Truppe wie Everett Sloane und Erskine Sandford mit. Der Star der Produktion war allerdings Rita Hayworth, die gerade mit dem Kriminalfilm "Gilda" in der Titelrolle in die Star-Stratosphäre schoss. Als Welles ihr für ihre Rolle als Femme Fatale in "The Lady from Shanghai" ihre berühmte rotblonde Mähne abschneiden ließ, waren 16 Photographen anwesend, um das Ganze im Bild festzuhalten. Dann wurde die verbliebene Haarpracht knallblond gefärbt.
Welles drehte nicht nur im Studio, sondern vor Ort in San Francisco und in Acapulco, dazu an Bord von Errol Flynn's Yacht "Zaca", die sein Freund ihm zur Verfügung gestellt hatte. Stilistisch spielte Welles wieder die ganze Klaviatur, die ihn seit seinem Debüt von "Citizen Kane" bekannt gemacht hatte: Ungewöhnliche Kameraperspektiven, extreme Nahaufnahmen, große Tiefenschärfe, die Vorder- wie Hintergrund gleich scharf wirken ließ. Besonders die Nahaufnahmen verschärfen das Gefühl von Paranoia und Verhängnis. Teilweise wirkt das Ganze auch durch die stilisierten Darstellungen wie expressionistisches Theater. Welles schuf so einen einfallsreichen und dynamischen Kriminalfilm und ersann einige brillante Szenen. Im Frühjahr 1947 legte er dem Studio seine 150 Minuten lange Schnittfassung vor.
Aus der ersten Vorführung für Studio-Boss Harry Cohn stürmte dieser wutentbrannt und bot jedem, "der mir die Handlung erklären kann", 1000 Dollar. Auch war er entsetzt, wie der Regisseur seine Hauptdarstellerin in Szene gesetzt hatte: Nach seiner Meinung zu unvorteilhaft. Cohn verdonnerte Orson zu Nachdrehs, die das Budget des Films sprengten. Schließlich wurde Welles der Film ganz aus den Händen genommen und durch Cutterin Viola Lawrence um ein Drittel auf 81 Minuten heruntergekürzt. Der Filmemacher distanzierte sich von dieser Version, der auch eine neue Filmmusik aufgezwungen wurde, die Welles als "Donald Duck-Musik" disqualifizierte. Das herausgeschnittene Material aus "The Lady from Shanghai" gilt als zerstört und damit für immer verloren. Besonders für die berühmte Schusswechselszene in einem Spiegelkabinett, die Woody Allen 1993 in seiner Komödie "Manhattan Murder Mystery" noch einmal aufleben ließ, bedauerte Welles dies. Ursprünglich dauerte die ganze Sequenz rund 20 Minuten, von denen nun nur doch drei übrig gelassen wurden.
Als "The Lady from Shanghai" mit großer Verzögerung 1948 endlich in den USA anlief - die Uraufführung hatte bereits in Frankreich stattgefunden - eilte ihm schon der Ruf einer Katastrophe voraus. Und die selbsterfüllende Prophezeiung schlug sich in einem Flop an den Kinokassen nieder. Für Orson Welles bedeutete dies das Ende seiner Hollywood-Karriere. Für seine nachfolgenden Filme besorgte er sich das Kapital in Europa.
Über die Jahrzehnte ist "The Lady from Shanghai" von der Kritik wiederentdeckt und neu wertgeschätzt worden. Vergangenes Jahr hat ihn die US-Library of Congress als "kulturell, historisch oder ästhetisch bedeutsames Werk" in das National Film Registry aufgenommen, um es der Nachwelt zu erhalten.
Ein Zuschauer befindet: "Die etwas verrückte, etwas unlogische, etwas - oder sehr - bizarre Konstruktion ist genau das, was den Film wirken lässt. Die Art und Weise, wie er sich vom Erzählen zum bloßen Suggerieren der Geschichte wandelt; die Art und Weise, wie er Reaktionen so vergrößert zeigt, das es fast wie surreales Drama wirkt; die Art und Weise, wie unglaubwürdige und unrealistische Szenen fabelhaft wie eine Art Traum inszeniert werden, all das ist großes Kino. Photographie und Beleuchtung sind unglaublich, wirklich phänomenal. So ist der Film alleine schon wegen seines Aussehens großartig."
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