"12 Years a Slave", Pro7, 20:15 Uhr
In den Jahren vor dem Amerikanischen Bürgerkrieg wird Soloman Northup (Chiwetel Ejiofor), ein gefeierter afro-amerikanischer Geiger im US-Bundesstaat New York, in Washington D.C. entführt und in die Sklaverei in den Südstaaten verkauft.
Nach seinen eher intimen Dramen "Hunger" und "Shame" (beide mit Michael Fassbender, der auch in diesem Film eine Nebenrolle übernehmen sollte), wollte der englische Regisseur Steve McQueen eine Geschichte epischeren Ausmaßes erzählen und bekundete sein Interesse am Thema der Sklaverei in den USA. Seine Ehefrau Bianca Stigter tat die Memoiren "Twelve Years a Slave" von Soloman Northup aus dem Jahr 1853 auf, die in den Vereinigten Staaten erstmals 1968 in größerer Auflage einer breiten Leserschaft bekannt gemacht worden waren. McQueen war begeistert und verglich das Werk mit "Das Tagebuch der Anne Frank" hinsichtlich einer authentischen, aus Ich-Perspektive erzählten Leidensgeschichte zu einer spezifischen Zeit: "Ich habe es mir zur Leidenschaft gemacht, dieses Buch auf die Leinwand zu bringen."
Dass dies nicht einfach werden würde, war aufgrund des schwierigen Materials klar: "12 Years a Slave" ist kein angenehmes Seherlebnis, sondern eine unbeirrt brutale Darstellung der amerikanischen Sklaverei - also kein Kino für die ganze Familie oder für Popcorn kauende Teenager. Dass das Budget von 22 Millionen Dollar schließlich gestemmt werden konnte, war zu keinem kleinen Teil Brad Pitt und seiner Produktionsfirma Plan B zu verdanken, die sich hinter McQueen und sein Projekt stellte und so mühsam die Finanzierung durch verschiedene Filmstudios sicher stellen konnte. Um die kommerziellen Aussichten des Streifens zu verbessern, übernahm Pitt selbst eine Nebenrolle, damit sein Gesicht in den Trailern und sein Name auf den Postern mehr Zuschauer anlocken würden.
Im Sommer 2012 drehte man in New Orleans und auf vier alten Plantagen, von denen eine unweit der lag, auf welcher Northop rund 160 Jahre zuvor tatsächlich hatte schuften müssen. McQueen gelang ein brillantes und essentielles Stück Kino, das von der Kritik gefeiert wurde und dank der Wucht seiner Qualität auch sein Publikum fand: Mit weltweit 188 Millionen Dollar Umsatz wurde die Independent-Produktion 2013 ein Erfolg.
Die größte Weihe folgte dann bei der "Oscar"-Verleihung im folgenden Jahr: Das Werk wurde als "Bester Film" des Jahres ausgezeichnet, Nebendarstellerin Lupita Nyong'o erhielt den Academy Award ebenso wie Drehbuchautor John Ridley für sein adaptiertes Skript. Nominiert waren dazu noch Regisseur Steve McQueen, Hauptdarsteller Chiwetel Ejiofor, Nebendarsteller Michael Fassbender, der Schnitt, die Kostüme und die Ausstattung, auf die man sehr viel Wert in ihrer Authentizität gelegt hatte. Auch der Golden Globe und der Britischen Filmpreis gingen an das Werk.
Kritiker Michael Arbeiter schrieb für "Hollywood.com": "Ja, wir sind alle schon über die erschöpfende Hölle, die die Ära der amerikanischen Sklaverei gewesen ist, aufgeklärt worden. Aber noch nie sind wir so lebendig zwischen den Menschen ausgesetzt worden, welche sie zu erleiden hatten."
"Die Spielregel", Arte, 21:55 Uhr
Das bürgerliche Leben in Frankreich am Vorabend des Zweiten Weltkriegs: Die Reichen treffen sich in einem Schloss, ihre Bediensteten im Schlepptau.
Dieser französische Film von 1939 ist das perfekte Beispiel für ein Werk, das bei seiner Premiere floppte, um dann 20 Jahre später als "Meisterwerk" wieder entdeckt zu werden. Ein Sittengemälde, das den Zuschauern den Spiegel vorhielt, was diese nicht ertragen wollten, und dessen Genie erst in der Nachsicht anerkannt wurde. "La règle du jeu" (so der Originaltitel) wird noch heute von Filmhistorikern und Kritikern zu Jean Renoir's besten Streifen und zu den besten Filmen des Kinos überhaupt gezählt wird.
Der französische Regisseur und Drehbuchautor stand 1938 im Zenit seiner Karriere: Nach drei Erfolgen hintereinander, von denen "La Grande Illusion" 1937 die Filmfestspiele von Venedig gewonnen hatte, erwartete man mit Spannung und Vorfreude die nächste Produktion des damals 44-Jährigen. Renoir wollte sich mit seiner Komödie an eine "rekonstruierte Dokumentation" wagen, wie er es selbst bezeichnete, und den damaligen Zustand der französischen Gesellschaft einfangen. Nur war die Gesellschaft für diese Zustandsbeschreibung offenkundig nicht empfänglich, wie sich zeigen sollte, und der Staat dann noch weniger.
Jean arbeite mit einem Ensemble, das nach einem Drehbuch spielte, welches nur zu einem Drittel mit Dialogen ausformuliert war, der Rest grobe skizziert. Der Filmemacher, der auch selbst einen Part übernahm, ermutigte dann während der Dreharabeiten in der Sologne in Zentralfrankreich seine Darsteller ausdrücklich, Dialoge zu improvisieren. Er selbst balancierte während des Drehs die Charaktere, ihre Beziehungen, die Handlung und die Nebenhandlungen immer wieder neu aus. Das verlieh seinem Streifen eine unmittelbare Frische; die Kehrseite war, dass die Dreharbeiten neun Wochen länger als geplant und doppelt so teuer wurden. Mit 5 Millionen Francs wurde "La règle du jeu" der bis dahin teuerste französische Film.
Inhaltlich bietet das Werk unter seiner komödiantischen Oberfläche Zeitkritik und bittere Skepsis ob einer abgebrühten und gefühllosen Oberschicht, die angesichts des aufziehenden Faschismus nicht nur untätig bleibt, sondern diesen anscheinend sogar begrüßt. Die unsichtbare "Spielregel" der Gesellschaft birgt den Nukleus zu ihrer Selbstzerstörung. Technisch beeindruckten Renoir und sein Kamermann Jean Bachelet mit ihrer für die damalige Zeit innovativen Photographie mit Tiefenschärfe und langen Einstellungen mit einer beweglichen Kamera.
Die erste Version des Films hatte eine Spieldauer von drei Stunden; Jean kürzte diese auf 113 Minuten. Sein Produzent Jean Jay verlangte eine weitere Kürzung von 13 Minuten. Als der Streifen im Juli 1939 von Kritikern und Zuschauern zum Teil geradezu feindselig aufgenommen wurde, versuchte Renoir durch weitere Kürzungen auf 90 und dann 85 Minuten sein Werk noch zu retten. Doch schlussendlich büßte der Streifen dadurch zu viel an Substanz ein und wurde unzusammen hängend. Die Kinos blieben leer.
"La règle du jeu" wurde als "unpatriotisch, frivol und unverständlich" kritisiert. Als Frankreich dann Deutschland den Krieg erklärt hatte, verbot die Regierung den Film im Oktober 1939 gar, weil er "bedrückend, morbide, unmoralisch" sei und "einen unerwünschten Einfluss auf die Jugend hat".
Ein Werk, das so sehr aus seiner Zeit heraus zu verstehen ist und auf seine Zeit abzielte, erfuhr die verdiente Würdigung ironischer Weise erst, als diese Zeit Vergangenheit war. Schon 1952 wählten Filmkritiker bei der alle zehn Jahre durchgeführten Befragung nach den besten Filmen aller Zeiten für das Magazin "Sight and Sound" den Film auf den zehnten Platz. Bei der Wahl 2012 belegte "La règle du jeu" den vierten Platz. Er ist der einzige Streifen, der auf allen sieben Listen seit 1952 auftaucht. 1959 wurde eine restaurierte Fassung auf den Filmfestspielen von Venedig aufgeführt, wo der Streifen als ein Meisterwerk gefeiert wurde.
Ein Zuschauer aus Portland im US-Bundesstaat Maine schreibt: "So nah wie dieser Film ist das Kino der Perfektion einer Mozart-Oper wohl nicht mehr gekommen. Wie die Opern 'Die Hochzeit des Figaro' und 'Cosi fan tutte' ist dieser Streifen eine meisterhaft ausgewogene Mischung frechen Humors und tiefem Pathos. Hinter jeder Situation in der verschachtelten Handlung steckt eine alles durchdringende Traurigkeit über eine verblassende Zivilisation, die in zwei Stunden filmischen Himmels perfekt eingefangen wird."
Hier geht es zum kompletten TV-Programm