Die gestrigen Sorgen um ein qualitatives Auströdeln der Berlinale am letzten Wettbewerbsfestivaltag haben sich als unbegründet erwiesen. Zum Einen gab es mit einem Animationsfilm erneut ein weiteres Genre abseits des Dramas zu sehen, und zum Anderen gehörte sowohl dieser als auch das rumänische Drama "Ana, mon amour" zu den besseren Wettbewerbsangeboten.
Gerade Letzterer, der zur Mittagszeit im Berlinale-Palast das offizielle Wettbewerbsprogramm abschloss - "Logan" am Nachmittag lief außer Konkurrenz - hätte für seine beiden Hauptdarsteller Mircea Postelnicu und Diana Cavallioti Silberne Bären verdient. Wie beide Mimen in diesem Psycho-Puzzle von Regisseur und Drehbuchautor Călin Peter Netzer ("Mutter & Sohn") die graduelle Verwandlung ihrer Figuren - sie von einer labilen, tablettensüchtigen jungen Frau zu einer selbstbewussten, fest im Leben stehenden Mutter, er von einem sympathischen, unterstützenden Freund zu einem eifersüchtigen, frustrierten Ehemann - darbieten, gehört mit zum Feinsten, was auf der Leinwand bei diesen Filmfestspielen zu sehen gewesen ist. Ein intelligenter Film, der zeigt, wie die Erwartungen des Zuschauers graduell unterlaufen werden können und sich unmerklich von Montage zu Montage der Bilder eine Wahrnehmungsänderung dessen, was zu sehen ist, ergibt. Garniert mit einer echten Sexszene und Anspielungen auf das Trauma der kommunistischen Herrschaft Rumäniens, die sich in den Generationen weiter fortpflanzt. Das führte zu wohl verdientem Applaus für "Ana, mon amour".
Den hatte am Morgen ebenso "Hao ji le" (Einen schönen Tag noch) erhalten, der einzige chinesische Beitrag im Wettbewerb. Der Animationsfilm von Jian Liu, dessen zweites Werk dies ist, legt mehr Verve hin als die meisten Realfilme der Berlinale. Für westliche Augen und Ohren sieht der Streifen mit teilweise erstaunlich animierten Bildern von Wasser, Licht und Rauch so aus, als hätte Quentin Tarantino hier Pate gestanden. Die Mischung aus schwarzem Humor, Dialogen, die um Politik, Religion, Schönheitsoperationen und Populärunterhaltung kreisen, und einer Tasche voller Geldscheine, die ständig die Besitzer wechselt, lässt an den amerikanischen Filmemacher denken, bleibt aber ganz ureigen im chinesischen Milieu einer tristen Fabrikstadt im südlichen China verhaftet. Als kleiner Randgag dröhnt Donald Trump's Stimme aus dem Radio.
Auch wenn diese zwei Werke noch im Schlussspurt auf den vorderen Plätzen der Kritikergunst gelandet sind, hat sich an dem eindeutigen Favoriten auf den Goldenen Bären nichts geändert: Aki Kaurismäki liegt mit Abstand sowohl bei den deutschen als auch den angelsächsischen Rezensenten mit seinem Drama "Toivon tuolla puolen" (Die andere Seite der Hoffnung) weit vorne. Die Ankündigung des 59-Jährigen, keine Filme mehr drehen zu wollen, könnte die Jury noch eher veranlassen, den Hauptpreis an den Finnen zu verleihen, dann auch als eine Art Abschiedsgeste und Preis für das Lebenswerk.
Das echte Blockbuster-Hollywood beendete am Nachmittag im Cinemaxx den Wettbewerbsteil der Berlinale. "Logan" führt den Handlungsstrang der Wolverine-Figur im "X-Men"-Universum zu Ende, die vor 17 Jahren für Hugh Jackman begann, der wie Professor X alias Charles Xavier alias Patrick Stewart zur Pressekonferenz erschien. Jackman, mit Nasenpflaster wegen seiner Hautkrebserkrankung, äußerte Wehmut, den Charakter, der seine Karriere begleitet hat, nun hinter sich zu lassen. Immerhin tut er dies mit einem der stärkeren Auftritte des Wolverine.