Die 53. Filmfestspiele in Cannes sind am Sonntagabend mit der
Verleihung der Palm d´Or an das umstrittene Musical "Dancer in the
Dark" des nicht weniger umstritteneren dänischen Regisseurs Lars
von Trier ("Idioten") zu Ende
Die 53. Filmfestspiele in Cannes sind am Sonntagabend mit der
Verleihung der Palm d´Or an das umstrittene Musical "Dancer in the
Dark" des nicht weniger umstritteneren dänischen Regisseurs Lars
von Trier ("Idioten") zu Ende gegangen. Für von Trier war es die
zweite Hauptauszeichnung beim Festival in Südfrankreich nach seinem
Gewinn mit "Breaking the Waves" 1996. Die Jury unter dem Vorsitz
von Luc Besson ("Johanna von Orléans") gab damit dem von "Variety"
als "künstlerische Bankrotterklärung in jeder Beziehung"
verrissenen Werk den Vorzug vor gerühmten Konkurrenten wie
"Faithless" von Liv Ullmann, "O Brother, Where Art Thou" der Coen
Brothers ("The Big Lebowski") und "Eureka" von Aoyama Shinji.
"Dancer in the Dark" erzählt die Geschichte der tschechischen
Einwanderin Selma, die im Amerika der sechziger Jahre auf dem Land
arbeitet. Sie erblindet langsam und spart für eine Operation ihres
Sohnes, dem ebenfalls der Verlust des Augenlichts droht. Als ein
Nachbar ihr Erspartes raubt, wird Selma in einen Alptraum
hineingezogen, an deren Ende die Todesstrafe für sie steht. Da es
sich ja um ein Musical handelt, singt Selma noch auf dem Schafott.
Die melodramatische Geschichte entzweite die Kritiker, und die
Dreharbeiten zu dem Film hatten für mehr Aufsehen gesorgt als der
Streifen selbst. Von bösen Auseinandersetzungen zwischen der
Hauptdarstellerin Björk und ihrem Regisseur war da berichtet
worden, die in zahlreichen Nervenzusammenbrüchen der isländischen
Sängerin gemündet seien. Das zerrüttete Verhältnis der Zwei war
noch vor Beginn der Preisverleihung deutlich sichtbar, als beide,
sich im gehörigen Abstand ignorierend, den Roten Teppich
hinaufgingen. Wie anders sieht die Welt aber doch nach einem
solchen Triumph aus: Nach von Triers Überraschungserfolg und Björks
Preis als "Bester Darstellerin" umarmten die Beiden sich bei
stehendem Applaus des Publikums, und auf der anschließenden
Pressekonferenz kicherte Björk und knuffte Lars, der vor Glück
strahlte. Die Sängerin gab aber zu, dass die Dreharbeiten sehr hart
für sie gewesen seien, weil sie eine "unheimliche Nähe" zu ihrer
Figur empfunden habe. Wie für Selma sei auch für sie Musik die
einzige Fluchtmöglichkeit aus einer grausamen Welt: "Es war sehr
schmerzhaft, den Film zu drehen, und alle meine Platten sind immer
sehr fröhlich gewesen. Es hat bei mir eine Weile gedauert, bis ich
mich an das Leiden gewöhnt habe." Aber Ende gut, alles gut: "Einen
sehr guten Zaubertrank habt Ihr hier in Cannes", lobte Björk, deren
Darstellung von allen Seiten gepriesen worden war, und bei manchen
sogar die Tränen kullern ließ. Auch Lars von Trier war um
Versöhnung mit seiner Akteurin bemüht: "Vielen Dank an Dich, Björk.
Ich weiß, dass sie es mir nicht glaubt, aber wenn Sie sie treffen,
sagen Sie ihr, dass ich sie sehr liebe." Auf Nachfrage relativierte
er seine Liebeserklärung aber wieder: "Ich habe das so gemeint, wie
es die Amerikaner sagen." Für die Festivalleitung hatte der
44jährige, der schon so manches Skandälchen in Cannes vom Zaun
gebrochen hat, allerdings eine bittere Pille zum Schluss übrig.
Über Gilles Jacob, den Leiter der Filmfestspiele, meinte von Trier:
"Das ist ein sehr netter Mann. Ich weiß nicht, ob er viel vom Film
versteht, aber er ist netter Mensch." Während Hollywood bis auf den
Preis für das "Beste Drehbuch" für "Nurse Betty" in die Röhre
guckte, war das asiatische Kino der eigentlich große Gewinner der
Filmfestspiele. Der zweite Preis, der Grand Prix, ging an den
chinesischen Regisseur Jiang Wen für seine Tragikomödie "Guizi Lai
Le" (Der Teufel auf der Türschwelle), die in einem chinesischen
Dorf während der japanischen Besetzung spielt. Auch dies war keine
unumstrittene Entscheidung, weil viele den Film, bis auf die
schockierenden letzten 20 Minuten, als langweilig empfunden hatten.
Als "Bester Hauptdarsteller" wurde der Hongkong-Star Tony Leung in
dem Film "In the Mood for Love" prämiert, und der Taiwanese Edward
Yang gewann als "Bester Regisseur" für "Yi Yi" (Eine Eins und eine
Zwei). Eine Spezialauszeichnung ging an das Ensemble des russischen
Beitrags "La Noce" (Die Hochzeit). Aus den asiatischen Gewinnern
ragte das iranische Kino hervor: Als beste Regiedebutanten bekamen
Hassan Yektapanah für "Djomeh" und Bahman Ghobadi für "A Time for
Drunken Horses" die Goldene Kamera. Bei den Preisen der Jury
teilten sich der Schwede Roy Andersson für "Sanger fran andra
vaningen" (Lieder aus dem zweiten Stock), seinem ersten Film seit
25 Jahren, und die Iranerin Samira Makhmalbaf für "Takthé Siah"
(Die Schultafeln) den Gewinn. Die Iranerin, die bislang jüngste
Regisseurin in Cannes, hielt eine aufsehenerregende Dankesrede, die
sie in ihrer Heimat in Gefahr bringen könnte: "In meinem Heimatland
gibt es Hoffnung. Ich nehme diesen Preis an, um die heldenhaften
Bemühungen einer jungen Generation zu ehren, die um Demokratie und
das Verheißen einer besseren Zukunft im Iran kämpft." Der beim
Publikum beliebteste Film war "Dancer", eine rührselige britische
Produktion, der Erstling des Regisseurs Stephen Daldry, der im
Nebenwettbewerb gezeigt wurde. Zwar gewann der amerikanische
"Boxer" über Frauenboxen den Preis, aber am meisten bejubelt und
beschluchzt wurde die Geschichte eines Dorfjungen, der sich dem
Wunsch seines Vaters widersetzt, dass er ein Boxer wird, und
stattdessen zum Ballett geht. Als er schließlich ins Königliche
Ballett aufgenommen wird, gewinnt er seinen Daddy zurück.
Hier die Liste der Auszeichnungen im Hauptwettbewerb: Palm d'Or:
"Dancer in the Dark" von Lars von Trier (Dänemark) Grand Prix:
"Guizi Lai Le" von Jiang Wen (China) Beste Regie: Edward Yang für
"Yi Yi" (Taiwan) Bestes Drehbuch: John Richard und James Flamberg
für "Nurse Betty" (USA) Beste Hauptdarstellerin: Björk für "Dancer
in the Dark" (Dänemark) Bester Hauptdarsteller: Tony Leung für "In
the Mood of Love" (China) Beste Kamera und Schnitt: Christopher
Doyle, Mark Li Ping Bing und William Chang Suk Pin für "In the Mood
of Love" (China) Jury Preis: "Takthé Siah" von Samira Makhmalbaf
(Iran) und "Sanger fran andra vaningen" von Roy Andersson
(Schweden) Spezialpreis: Das Ensemble von "La Noce" (Russland)
Bester Kurzfilm: "Anino" von Raymond Red (Philippinen)