Das 46. Berlinale Forum zeigt 44 Filme im Hauptprogramm, davon 34 als Welt- und neun als internationale Premiere. Die diesjährigen Special Screenings werden in einer weiteren Pressemitteilung bekanntgegeben.
Einen regionalen Schwerpunkt des diesjährigen Programms bilden Filme aus dem arabischen Raum. Zwischen Ägypten und Saudi-Arabien beschäftigen sich die oft jungen Regisseurinnen und Regisseure mit Gegenwart und Geschichte ihrer Heimat.
In A Magical Substance Flows into Me spürt die Künstlerin Jumana Manna der musikalischen Vielfalt der Region Palästina nach. Tamer El Said lässt in seinem Spielfilm Akher ayam el madina (In the Last Days of the City) sein Alter Ego Khalid durch seine Heimatstadt Kairo wandern, die sich in Aufruhr befindet. Maher Abi Samra dokumentiert in Makhdoumin (A Maid for Each) das im bourgeoisen Libanon allgegenwärtige, gleichwohl versteckte Phänomen von Dienstmädchen aus Ländern des Globalen Südens. Barakah yoqabil Barakah (Barakah Meets Barakah) von Mahmoud Sabbagh zeigt in bemerkenswert freimütiger Weise eine saudi-arabische Liebesgeschichte, die den Widrigkeiten, mit denen das Paar zu kämpfen hat, bissigen Humor entgegensetzt.
Auch der Krieg schlägt sich auf das Programm nieder. In Manazil bela abwab (Houses without Doors) filmt der syrisch-armenische Regisseur Avo Kaprealian über mehrere Jahre hinweg aus dem Fenster seines Wohnblocks die Kämpfe auf den Straßen Aleppos. Dabei verknüpft er das Porträt seiner vorwiegend armenischen Nachbarschaft mit Spiel- und Dokumentarfilmbildern vom Völkermord an den Armeniern.
Bürgerkriege, erzwungene Migration und die Auswirkungen ausbeuterischer Arbeitsverhältnisse werden auch in anderen Regionen zum Thema, wobei sich die Filmemacherinnen und Filmemacher unterschiedlichster filmischer Formen bedienen. Den Alltag eines eher unbekannten Konflikts zeigt die Dokumentation Ta’ang des Chinesen Wang Bing. Während Teile der De’ang-Minderheit mit der burmesischen Armee an der chinesischen Grenze um Unabhängigkeit kämpfen, suchen Frauen und Kinder in provisorischen Zelten in den Tälern des Grenzgebietes Unterschlupf.
Nicht weit entfernt, vor dem Hintergrund andauernder Kampfhandlungen zwischen der burmesischen Armee und der Kachin Independence Army, folgt Regisseur Midi Z in Fei cui zhi cheng (City of Jade) seinem Bruder in die titelgebende Jadestadt. Weil die Bergbauunternehmen vor den Kämpfen geflohen sind, suchen in den Minen nun junge Männer auf eigene Faust ihr Glück. Opium lässt sie die riskante Arbeit leichter ertragen.
Was bringt Menschen dazu, die so gefährliche Minenarbeit aufzunehmen? Diese Frage stellt Eldorado XXI der Portugiesin Salomé Lamas. Im peruanischen La Rinconada erstreckt sich auf 5.100 Metern Höhe am Rand einer Goldmine eine dystopische Welt, die nicht dem 21. Jahrhundert anzugehören scheint. In einer formal radikalen Montage von Bildern und Tondokumenten offenbart der Film das Ausmaß der Minenlandschaft und der körperlichen Anstrengung.
Ein formales Experiment geht auch Philip Scheffners Havarie ein, der sich mit der Erfahrung und Erfahrbarmachung von Flucht beschäftigt. Ein dreiminütiger Videoclip eines winzigen, im Mittelmeer treibenden Schlauchbootes, aufgenommen von einem irischen Touristen auf einem Kreuzfahrtschiff, wird hier auf Spielfilmlänge ausgedehnt. Während im Off der Funkverkehr der Küstenwache, mögliche Bootsinsassen und der Hobbyfilmer mit ihren eigenen Erfahrungen zu Wort kommen, hinterfragt die Dokumentation gängige visuelle Darstellungen von Krisensituationen.
Um Repräsentation von Menschen, denen diese oft verwehrt wird, geht es in einem zweiten Beitrag von Scheffner. Der deutsche Regisseur reicht die Kamera an den Roma Colorado Velcu weiter, und dieser dokumentiert das neue Leben seiner Familie in Berlin: And-Ek Ghes… ist das Porträt eines Neuanfangs, von Velcu mit Witz und Selbstironie in Szene gesetzt.
Um Bilder und Eigenbilder kreist auch Andrea Bussmann und Nicolás Peredas Film Tales of Two Who Dreamt, der in einem Hochhaus in Toronto spielt. Eine Familie, auch diese Roma, studiert die Geschichten ihrer Vergangenheit für eine Anhörung über ihren Aufenthaltsstatus ein. Die Geschehnisse im Hochhaus werden hier zu Legenden gesponnen, und die Grenzen von Fiktion und Realität, von Gespieltem und Dokumentiertem lösen sich auf.
Mit zwei weiteren Filmen zeigt sich das mexikanische Kino in seiner ganzen Vielfalt. Joaquín del Pasos utopischer Spielfilm Maquinaria Panamericana (Panamerican Machinery) porträtiert eine Fabrik an der Peripherie von Mexico City, in der Produktivität und Fortschritt Fremdwörter sind. Als der Chef des Kleinbetriebs stirbt und die Belegschaft feststellt, dass dieser ihre Gehalte jahrelang aus eigener Tasche zahlte, greift sie zu drastischen Maßnahmen.
Eine Frau landet in einem von Drogenkartellen betriebenen Gefängnis, eine andere verliert ihre Tochter: Über Bilder einer Reise durch Mexiko verbindet die Regisseurin Tatiana Huezo in Tempestad zwei Berichte zur sturmbewölkten Erzählung eines Landes im Griff der organisierten Kriminalität.
Das US-amerikanische Independent-Kino ist mit drei Filmen im diesjährigen Programm vertreten. Robert Greene lässt in Kate Plays Christine die Schauspielerin Kate Lyn Sheil in die Rolle der Fernsehmoderatorin Christine Chubbuck schlüpfen, die sich 1974 vor laufender Kamera erschoss. Recherchen, Interviews, Perücke und Kontaktlinsen, nachgestellte Szenen: wann fängt man an zu spielen?
Das Telegramm eines verschwundenen Malers führt in Fantastic von Offer Egozy einen ehrgeizigen Sheriff, eine ehemalige Geliebte und zwei alte Bekannte zusammen. Es entsteht ein von Filmgeschichte durchtränkter Noir, in dem Stimmung und nicht Handlung die Spannung erzeugt.
Ted Fendts Spielfilm Short Stay wird der einzige auf 35mm-Film gezeigte Beitrag des 46. Forums sein. Mike wohnt noch bei seiner Mutter und lässt sich durch die Vororte New Jerseys treiben. Als ihm eine Arbeit und Wohnung in Philadelphia in den Schoß fallen, sieht das zunächst nach einem Neuanfang aus. Doch sein Umfeld kann man ändern, sich selbst eher weniger.
Der Franzose Guillaume Nicloux schickt in seinem neuen Film Gérard Depardieu als einsamen Jäger in den Wald. In Dans les bois (The Wandering) verliert dieser erst seinen Hund und anschließend seinen Weg. Ein Sommerspaziergang wird zu einer fantastischen Wanderung, aus der es kein Entrinnen gibt.
Um eine Suche geht es auch in Eug?ne Greens wortgewandtem Le Fils de Joseph (The Son of Joseph), einer weiteren französischen Produktion im diesjährigen Forum. Vincent, der mit seiner alleinerziehenden Mutter aufwächst, will herausfinden, wer sein Vater ist. Seine Recherchen führen ihn zur Gottesfigur der Pariser Literaturwelt, einem machiavellistischen Fiesling, gespielt von Mathieu Amalric.
Ein Regiedebüt ist Rachel Langs Spielfilm Baden Baden. Nach einem gescheiterten Job kehrt Ana, Mitte 20, nach Straßburg in die Nähe ihrer geliebten Großmutter und ihres besten Freundes zurück. Zwischen einer hoffnungslosen Affäre, einer selbstgestellten Aufgabe und Abschiednehmen sucht sie ihren Platz in der Welt.
Bence Fliegauf, der vor 13 Jahren im Forum sein Debüt Rengeteg zeigte, kehrt mit dem Spielfilm Liliom Ösvény (Lily Lane) ins Programm zurück. Geschichten und Fantasie sind aus der Beziehung zwischen Rebeka und ihrem jungen Sohn Danny nicht wegzudenken. Der Film erzählt von einer Kindheit, in der Zeit und Raum ineinander fließen und Scheidung, Tod und Wiederbegegnung nah beieinander liegen.
Auch der Österreicher Nikolaus Geyrhalter hat im Forum bereits mehrere seiner Werke vorgestellt. Sein fantastischer Dokumentarfilm Homo sapiens zeichnet in einer leeren, von der Natur zurückeroberten, aber doch einst von Menschen gemachten Welt ein unbehagliches Szenario: er ist sowohl Science-Fiction als auch Dokument, zugleich Postapokalypse und Gegenwart.
Die Filme des 46. Forums:
A Magical Substance Flows into Me von Jumana Manna, Palästinensische Autonomiegebiete / Großbritannien / Vereinigte Arabische Emirate - WP
Akher ayam el madina (In the Last Days of the City) von Tamer El Said, Ägypten / Deutschland / Großbritannien - WP
And-Ek Ghes... von Colorado Velcu, Philip Scheffner, Deutschland - WP
Aru michi (A Road) von Daichi Sugimoto, Japan - IP
Baden Baden von Rachel Lang, Belgien / Frankreich - IP
Barakah yoqabil Barakah (Barakah Meets Barakah) von Mahmoud Sabbagh, Saudi-Arabien - WP
Bein gderot (Between Fences) von Avi Mograbi, Israel / Frankreich - WP
Dans les bois (The Wandering) von Guillaume Nicloux, Frankreich - WP
Deadweight von Axel Koenzen, Deutschland / Finnland - WP
Dubina dva (Depth Two) von Ognjen Glavonić, Serbien - WP
Eldorado XXI von Salomé Lamas, Portugal / Frankreich - WP
Elixir von Daniil Zinchenko, Russische Föderation - IP
Fantastic von Offer Egozy, USA - WP
Fei cui zhi cheng (City of Jade) von Midi Z, Taiwan / Myanmar - WP
Le Fils de Joseph (The Son of Joseph) von Eug?ne Green, Frankreich / Belgien - WP
Die Geträumten von Ruth Beckermann, Österreich - WP
Havarie von Philip Scheffner, Deutschland - WP
火Hee von Kaori Momoi, Japan - WP
Homo sapiens von Nikolaus Geyrhalter, Österreich - WP
How Heavy This Hammer von Kazik Radwanski, Kanada - IP
Ilegitim (Illegitimate) von Adrian Sitaru, Rumänien / Polen / Frankreich - WP
Inertia von Idan Haguel, Israel - IP
Kate Plays Christine von Robert Greene, USA - IP
Landstück von Volker Koepp, Deutschland - WP
Lao Shi (Old Stone) von Johnny Ma, Volksrepublik China / Kanada - WP
Liliom Ösvény (Lily Lane) von Bence Fliegauf, Ungarn - WP
Makhdoumin (A Maid for Each) von Maher Abi Samra, Libanon / Frankreich / Norwegen - WP
Manazil bela abwab (Houses without Doors) von Avo Kaprealian, Syrien / Libanon - WP
Maquinaria Panamericana (Panamerican Machinery) von Joaquín del Paso, Mexiko / Polen - WP
Nikdy nejsme sami (We Are Never Alone) von Petr Vaclav, Tschechische Republik / Frankreich - WP
P.S. Jerusalem von Danae Elon, Kanada - EP
Posto avançado do progresso (An Outpost of Progress) von Hugo Vieira da Silva, Portugal - WP
The Revolution Won’t Be Televised von Rama Thiaw, Senegal - WP
Rio Corgo von Maya Kosa, Sergio da Costa, Schweiz / Portugal - IP
Les Sauteurs (Those Who Jump) von Moritz Siebert, Estephan Wagner, Abou Bakar Sidibé, Dänemark - WP
Short Stay von Ted Fendt, USA - WP
Ta’ang von Wang Bing, Hongkong, China / Volksrepublik China / Frankreich - WP
Tales of Two Who Dreamt von Andrea Bussmann, Nicolás Pereda, Kanada / Mexiko - WP
Tempestad von Tatiana Huezo, Mexiko - WP
Toz bezi (Dust Cloth) von Ahu Öztürk, Türkei / Deutschland - IP
Triviṣa von Frank Hui, Vicky Wong, Jevons Au, Hongkong, China - WP
Vlažnost (Humidity) von Nikola Ljuca, Serbien / Niederlande / Griechenland - WP
Yarden (The Yard) von M?ns M?nsson, Schweden / Deutschland - IP
Zhī fán y? m?o (Life after Life) von Zhang Hanyi, Volksrepublik China - WP
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