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Every Thing Will Be Fine mit James Franco und Wim Wenders
Every Thing Will Be Fine mit James Franco und Wim Wenders
© Warner Bros. / Donata Wenders

Berlinale-Tagebuch - Tag 6

Ermüdung und 3D

Im Zoo Palast fand gestern Abend zur Spätvorstellung die Weltpremiere von Anton Corbijn's Film "Life" statt. Zwar begann die Vorführung über eine halbe Stunde verspätet, da noch auf das Eintreffen des Filmteams gewartet wurde. Dafür waren sie dann aber auch alle da: Corbijn selbst, seine Produzenten, die Kamerafrau, der Drehbuchautor und die Hauptdarsteller, zu denen der "Twilight"-Star Robert Pattinson gehört. Pattinson spielt in "Life" den ehrgeizigen Fotografen Dennis Stock, der 1955 den noch unbekannten James Dean kennenlernt. Stock erkennt die einzigartige Ausstrahlung Deans und will durch eine Porträtserie für das "Life"-Magazin seine eigene Karriere ankurbeln. Dabei entsteht auch die weltberühmte Aufnahme, die James Dean an einem verregneten Tag auf dem Times Square die Straße entlangschlendernd zeigt. Bis dahin ist es für Stock jedoch ein harter Kampf, denn der sensible und eigensinnige Nachwuchsstar zeigt keinerlei persönliches Interesse daran, durch Werbung seine eigene Karriere voranzubringen.

So ist "Life" einerseits ein Biopic, das James Dean in einem wichtigen Abschnitt seines Lebens zeigt. Aber noch viel mehr ist der Film das Portrait der sich entwickelnden menschlichen Beziehung zwischen dem New Yorker Karrieretypen und dem in Indiana aufgewachsenen Schauspieler. Darüber hinaus zeigt sich anhand der Beziehung dieser beiden jungen Männer, wie groß der Einfluss der Medien bei der Mythenbildung bereits damals war. Man merkt deutlich, dass Corbijn einen ganz persönlichen Bezug zu diesem Thema hat. Immerhin war der Regisseur, bevor er Filmemacher wurde, selbst bereits ein berühmter Fotograf, der Stars wie die Rolling Stones, Depeche Mode und U2 in seinen Bildern inszenierte. All dies hebt den makellos inszenierten Film trotz seiner recht konventionellen Biopic-Dramaturgie deutlich über das Gros der Filme dieses Genres empor

Am heutigen Tag startete der Wettbewerb mit einem außergewöhnlichen russischen Film mit dem internationalen Titel "Under Electric Clouds". Der sehr experimentelle Beitrag von Alexey German Jr. zeigt einen so kalten wie kargen Nicht-Ort in der nahen Zukunft. An einem unbestimmten Ufer liegen überall verstreut Teile aus Stahl und Beton: Das Skelett eines Wolkenkratzers, unfertige Autobahnbrücken, eine riesige Pferdefigur aus Metall und eine Lenin-Statue, deren ausgestreckter rechter Arm ins Nirgendwo zeigt. Ziellos bewegen sich Menschen durch diese surreale Welt, aus der jeder Sinn entschwunden zu sein scheint. Der Film ist eine Allegorie auf die gegenwärtige geistige Verfassung des Landes. Der Ansatz ist hoch originell, weshalb sich "Under Electric Clouds" deutlich von der Mehrheit sozialkritischer Dramen des Festivals abhebt. Allerdings reicht die sehr interessante Grundidee nicht aus, um einen Film von 138 Minuten Länge auszufüllen. Was ein hervorragender, maximal einstündiger, in einem Kunstkontext präsentierter Film hätte sein können, wirkt auf Spielfilm-Über-Länge aufgeblasen doch recht bald sehr ermüdend.

Alexey German Jr. kommt aus einer Kino-Familie: Sein Vater Alexei Jurjewitsch German, der 2013 verstarb, und sein Großvater Yuri German waren ebenfalls Filmregisseure und Drehbuchautoren. Bei der Pressekonferenz am Nachmittag bestätigte German, dass er in dem Film die Komplexität seines Landes habe zeigen wollen: "Wir können nicht von der nahen Zukunft sprechen, ohne die Vergangenheit zu zeigen. In Russland verläuft die Zeit nicht von A nach B, sondern wie Kreise auf dem Wasser, die in alle Seiten auslaufen."

"Under Electric Clouds" ist eine russisch-ukrainisch-polnische Koproduktion. Mit Blick auf den Konflikt in der Ukraine betonte der Regisseur: "Für mich ist es sehr wichtig, dass es in dieser tragischen Zeit ein Projekt wie diesen Film gibt, an dem Menschen zusammen arbeiten, die aus unterschiedlichen Ländern stammen."

Mittags hieß es dann erstmals im Wettbewerb: Brillen auf! Außer Konkurrenz lief "Every Thing Will Be Fine", den Wim Wenders wie zuvor "Pina" und "Kathedralen der Kultur" in 3D gedreht hat. "Ich hatte für mich entdeckt, dass 3D mehr Möglichkeiten bietet, als nur Tanz oder Architektur zu drehen", sagte der Filmemacher auf der Pressekonferenz. "Die Technik gibt Figuren eine andere Präsenz, durch 3D wirkt alles wie unter einem Vergrößerungsglas. Das wurde mir durch meinen vorangegangen Film 'Pina' klar. Deswegen habe ich nach einem Sujet gesucht für einen Spielfilm, zu dem die Technik passt."

Jetzt fehlte nur noch eine passende Geschichte. Die fand Wenders in seinem Briefkasten. Der junge, norwegische Autor Bjørn Olaf Johannessen hatte sie ihm per Post zugesendet. "Die Stimmung darin war typisch nordisch. Weil 3D die Emotionen von Figuren so vergrößert, musste es still genug sein. Und das war es", erläuterte der Regisseur, der übermorgen einen Ehren-Bären für sein Lebenswerk erhalten wird. "In meinem Film geht es um den Prozess der Heilung. Welche Verantwortung hat die Hauptfigur? Wie kann er sein Trauma überwinden?", so Wenders. "Dass die Zeit alle Wunden heilt, ist eine Lüge. Man muss für Heilung etwas tun." Er sei erst vor drei Tagen mit seinem Film fertig geworden, in den er vier Jahre Arbeit investiert habe.

Hier lesen Sie unsere Kritik zu "Every Thing Will Be Fine"

Im Spätprogramm des Panoramas gab es zum Abschluss des Tages einen ganz besonderen Leckerbissen zu genießen: 17 Jahre nach der von den damaligen Produzenten komplett verstümmelten Kinoversion von "Studio 54" erlebte der restaurierte "54: The Director's Cut" seine Weltpremiere. Der Film setzt dem legendären New Yorker Nachtclub Studio 54 - der wie kein anderer für die Discokultur der 70er-Jahre steht - ein Denkmal. Die bunte Glitterwelt von Sex, Drogen und Discomusik wird durch die Augen des jungen blondgelockten Jersey Boys Shane O’Shea (Ryan Phillippe) erlebt. Shane erkennt mit der Zeit jedoch auch die sehr düsteren Schattenseiten dieser verlockenden Parallelwelt.

Der Director's Cut zeigt den Film in der ursprünglich von Mark Christopher intendierten Fassung. Hierfür wurden 40 Minuten in der alten Kinofassung fehlendes Material neu integirert und dafür fast 30 Minuten vom Produzenten beauftragte Nachdrehs wieder entfernt. Diese Version ist dunkler, kraftvoller und bisexuell. War die alte Fassung so etwas wie die weichgespülte Disco-Version von "Boogie Nights", ist der Director's Cut ein würdiger Bruder im wilden 70er-Jahre-Geist.

Nur zwei Wettbewerbsfilme, von denen beide enttäuschten - und Wim Wenders' "Every Thing Will Be Fine" sowieso außer Konkurrenz lief: Da war es an einem 17 Jahre alten Streifen, den Berlinale-Tag zu retten.

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