Der Montag war der bisher stärkste Tag der Berlinale: Erstmals konnten alle drei Filme an einem Tag restlos überzeugen...ein Traum für Kritiker und hoffentlich auch für das Publikum und die Jury.
Es ging schon gut am Morgen los - mit einem sehr starken Beitrag aus Chile. Pablo Larraín's Drama "El Club" widmet sich auf äußerst drastische Weise der zur Zeit immer stärker werden filmischen Kritik an der Katholischen Kirche. In einem kleinen, windigen Ort, irgendwo an der chilenischen Küste steht ein Haus, welches aufgrund von schweren Vergehen exkommunizierte Priester beherbergt. Als die seltsame Gemeinschaft - irgendwo zwischen Gefängnis und WG - einen Neuzugang verzeichnet, erschießt sich dieser Padre, als ihn ein Fremder auf der Straße schlimmer Sünden bezichtigt. Daraufhin schickt die Kirche einen eigenen Ermittler, der die Wahrheit herausfinden und die Ordnung wiederherstellen soll. Der ausgebildete Psychologe stellt nicht nur viele unangenehme Fragen, sondern bringt auch das Gemeinschaftsleben zwischen Zocken beim Hunderennen und gemütlichen Beisammensein bei einem kräftigen Schlückchen ordentlich durcheinander. Die tragikomische Entwicklung sorgt für manche böse Überraschung.
"El Club" ist Katholizismuskritik, so ätzend wie Säure, und einer der bisher stärksten Wettbewerbsfilme auf der diesjährigen Berlinale. "Für den Film habe ich mit den Betroffenen gesprochen - mit Kindern, die von Priestern sexuell missbraucht wurden", berichtete Regisseur Larraín auf der Pressekonferenz. "Sie beschrieben ihre Geschichte genau so, wie ich es in dem Film zeige."
Eine sehr positive Überraschung war auch der folgende deutsche Wettbewerbsbeitrag von Andreas Dresen. Das auf dem gleichnamigen Debütroman von Clemens Meyer basierende Drama "Als wir träumten" zeigt das Leben von vier jungen Freunden in Leipzig. Wir verfolgen die Kindheit von Rico, Dani, Paul und Mark in der DDR und ihren Weg ins Erwachsenenalter kurz vor bis nach der Wiedervereinigung. Der Film verbindet eine für den Regisseur typische realistische Sozialstudie mit schmissig inszenierten Genreelementen zu einem wilden Cocktail, der nur so vor prallem Leben vibriert. Die Darstellung einer jugendlichen Lebenswelt, zwischen Alkohol, Technoklub und Kriminalität erinnert stark an den vorherigen deutschen Wettbewerbsbeitrag "Victoria". Doch im direkten Vergleich hat Dresen's "Als wir träumten" eindeutig die Nase vorne. Der Film ist mit seiner authentischen Milieuschilderung fast so etwas wie das jugendliche, ostdeutsche Äquivalent zu Martin Scorsese's frühem Mafia-Drama "Mean Streets".
"Es ist ein wildes, anarchisches und chaotisches Buch. Gleichzeitig ist es zärtlich und liebevoll", erklärte Dresen anschließend auf der Pressekonferenz. Dem rbb sagte er: "Ich bin froh, dass die Geschichte ideologiefrei daher kommt, dass es eben nicht um Stasi-Verwicklungen und Ähnliches geht, sondern dass hier eine Generation beschrieben wird, die diese Zeit als Chance begreift und die Welt um sie herum herausfordert."
Und da aller guten Dinge drei sind, wusste auch der einzige polnische Vertreter zu überzeugen: "Cialo" (Körper) von Małgorzata Szumowska ("Das bessere Leben") wurde mit sehr freundlichem Applaus bedacht. Zwar ist es müßig zu lamentieren, dass auf Filmfestivals oft drei Viertel der gezeigten Streifen Dramen sind, und "Cialo" macht da keine Ausnahme, aber immerhin ist es ein überraschender, warmherziger und teilweise auch schwarzhumoriger Streifen.
Regisseurin Szumowska verriet auf der Pressekonferenz, ursprünglich habe sie einen Film über magersüchtige Mädchen machen wollen. Doch am Ende sei es ein Werk über den Körper im Allgemeinen und über die Seele geworden. "Manche sagten zu uns, der Film hätte auch 'Seele' heißen können, doch das erschien uns etwas überheblich", so die 41-Jährige. Die magersüchtige Tochter wird gespielt von einer Laiendarstellerin, die vom Filmteam auf Facebook entdeckt worden war. Justyna Suwala berichtete den Journalisten: "Ich habe so etwas zwar noch nie zuvor gemacht", sagte Suwala auf der Pressekonferenz, "doch das hat mich nicht nervös gemacht. Ich habe ja nie vorgegeben, eine Schauspielerin zu sein."
Hier lesen Sie unsere Kritik zu "Body"
Große Entrüstung herrschte bei der Verkündung der Oscar-Nominierungen, dass Ava DuVernay's Film "Selma" nur zweimal berücksichtigt wurde – als "Bester Film" und für den "Besten Song". Nach der Sichtung im Rahmen der Berlinale-Specials-Reihe lässt sich festhalten, dass insbesondere die Nicht-Nominierung von David Oyelowo nicht zu verstehen ist. Der Film verlässt sich voll und ganz auf seine Darstellung, und er trägt diesen Film scheinbar mühelos. Insgesamt ist "Selma" jedoch ein ziemlich konventionelles Drama, das in bekannter amerikanischer Manier von den Ereignissen im Rahmen des Marsches von Selma nach Montgomery in den sechziger Jahren erzählt und routiniert auf eine emotionale und bisweilen pathetische Erzählweise setzt.
Weltpremiere feierte der isländische Film "Virgin Mountain" in der Berlinale Special. In dem Film erzählt Regisseur und Drehbuchautor Dagur Kári von Fúsi, einem 43-jährigen Mann, der immer noch bei seiner Mutter wohnt – und ein herzzerreißend stiller, lieber Mensch ist. Bei einem Tanzkurs lernt er eine Frau kennen, die sein Leben verändert. Dank seiner ruhigen Inszenierung und des sehr guten Scores ist "Virgin Mountain" ein berührender Film mit lustigen und sehnsüchtigen Momenten, der viele Themen anspricht und mit Gunnar Jónsson in der Hauptrolle sehr gut besetzt ist.
Das ist doch mal erfreulich: Nach "Victoria" überzeugt mit "Als wir träumten" auch der zweite der zwei deutschen Wettbewerbsbeiträge ("Everything Will Be Fine" von Wim Wenders und "Elser" von Oliver Hirschbiegel laufen ja außer Konkurrenz). Aber auch "El Club" und "Body" können ein Wörtchen um den Goldenen Bären mitreden.