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Berlinale 2015: Erste Filme im Panorama

Geschichte erzählen, um Zukunft zu gestalten

Die elf bisher ausgewählten Spiel- und acht Dokumentarfilme reflektieren bereits zu diesem frühen Zeitpunkt der Programmgestaltung einen vielfältigen Vorgeschmack auf Inhalte und globale Themen des 36. Panorama-Programms.

Ostasien wird 2015 wieder prominent vertreten sein, bereits bestätigt sind große Arbeiten bekannter Regisseure aus Taiwan und Südkorea. "Jüngere Geschichte" könnte die Überschrift lauten, oder auch "Nationale Traumata". Regisseur Doze Niu Chen-Zer aus Taiwan zeigt mit Paradise in Service ein schwieriges, bislang unverfilmtes Kapitel der ostasiatischen Geschichte: die Einrichtung von Bordellen zur Moralerhaltung der Kriegstruppen im Kampf "gegen Mao". Südkorea, die Hälfte des immer noch geteilten Landes, nähert sich im epischen Ode to My Father von JK Youn den Auswirkungen des Koreakrieges und spürt seinen Folgen bis heute nach.

Die USA setzen jetzt schon besondere Spitzen: Kultfilmer Hal Hartley, Ikone aus der großen Zeit des amerikanischen Indie-Kinos der 1980er Jahre, zeigt nach Henry Fool und Fay Grim (Panorama 2007) ein Meisterwerk als Abschluss dieser Trilogie: Ned Rifle. Mit I Am Michael liefert Justin Kelly ein ungewöhnliches Debüt, koproduziert von Gus Van Sant, in dem James Franco einen Schwulenaktivisten der emanzipatorisch wichtigen 1980er Jahre darstellt, der den Versuch der Heterosexualisierung unternimmt. In den 1980ern spielt auch ein Film, der ein Beispiel für die außerordentliche Ausdauer eines Filmemachers ist, dem das eigene Werk durch die Eingriffe der Geldgeber zur Unkenntlichkeit verschnitten wurde: 17 Jahre nach der Uraufführung von 54, dem Film zur legendären New Yorker Disco "Studio 54", stellt Regisseur Mark Christopher seinen 54 – The Director's Cut der Öffentlichkeit vor.

Gewinner des Panorama Publikums-Preises 2009 waren "The Yes Men", Satiriker, Anarchos und spaßhafte Ankläger des gewissenlosen Profitstrebens. 2015 kommen sie zum dritten Mal nach Berlin mit The Yes Men Are Revolting. Diesmal nehmen sie u.a. die Kopenhagener Klimakonferenz aufs Korn und sorgen für ordentliche Verwirrung beim Ölriesen Shell.

Raoul Peck stellt sein neuestes Werk im Panorama vor: Die haitianisch-französisch-norwegische Ko-Produktion Murder in Pacot (Drehbuch Pascal Bonitzer). Ein Charakterstück im Freien gibt vor dem Hintergrund der Erdbebenkatastrophe in Port-au-Prince einen bitterbösen Blick frei auf die Klassenunterschiede der haitianischen Gesellschaft.

Aus Lateinamerika ist bislang eine Ko-Produktion aus Uruguay, Chile und Nicaragua bestätigt: El hombre nuevo (The New Man) von Aldo Garay. Auch hier ein Blick in die jüngere Geschichte: Während der Kämpfe von Tupamaros und Sandinisten gegen die Militärdiktaturen ihrer Länder landet der junge Roberto aus Nicaragua bei Pflegeeltern in Uruguay. Als er sich zu einer Geschlechtsanpassung entscheidet, stößt auch die linke Gesellschaft an ihre Toleranzgrenzen.

Missbrauch von Kindern ist das Thema mehrerer Werke – im eben erwähnten El hombre nuevo ebenso wie in Filmen aus Österreich (Der letzte Sommer der Reichen von Peter Kern), der Schweiz (Dora oder die sexuellen Neurosen unserer Eltern von Stina Werenfels), Kanada (Chorus von Francois Delisle) und Tschechien (Danieluv svet von Veronika Liskova). Es ist offensichtlich an der Zeit, dieses schwierige Thema erneut und mit größerer Risikobereitschaft anzugehen.

Eine zeitgeistige Männerparabel über Identität und Lebenslust ist der norwegische Spielfilm Mot Naturen (Out of Nature) von Ole Gi?ver und Marte Vold. Ein junger Vater braucht eine Auszeit vom Elternglück: Er zieht sich auf eine Bergwanderung zurück und überdenkt, was er vom Leben will.

Im schwedischen Beitrag Dyke Hard von Bitte Anderson werden alle Register der Indie-Kinolust gezogen, in einem wilden Quasi-Musical von Post-Punk-Lesbo-Rock'n'Roll-Kaliber: Das ist Undergroundspaß pur.

Neben El Hombre Nuevo, The Yes Men Are Revolting und Danieluv svet sind fünf weitere Panorama Dokumente bereits bestätigt:

Die neue Lust an den 1980ern greift auch B-Movie – Lust & Sound in West-Berlin von Jörg A. Hoppe, Klaus Maeck und Heiko Lange auf: Es ergießt sich ein Füllhorn an ungezügelter Kreativität aus einem Zeitabschnitt Berlins, der als ein Höhepunkt bezeichnet werden darf. Neben fast schon vergessenen Perlen sind Tonwerke von u.a. Gudrun Gut, Blixa Bargeld und Nick Cave mit von der Partie.

Skandal im Zoo Palast: So begann R.W. Fassbinders Eroberung der Berlinale, im Wettbewerb 1969 mit Liebe ist kälter als der Tod. Der Däne Christian Braad Thomsen öffnet in Fassbinder – lieben ohne zu fordern sein Archiv und schenkt uns einen kontemplativen Nachmittag mit dem endlos inspirierenden Filmemacher in einem Hotelzimmer in Cannes.

Zu den afrikanischen Staaten, in denen unter Einflussnahme evangelikaler US-Organisationen tödlicher Hass auf die homosexuelle Bevölkerung geschürt wird, gehört auch Kenia. In Stories of Our Lives gibt Jim Chuchu einer Reihe mutiger Menschen das Wort. Der in seinem Ursprungsland verbotene Film zeigt auch vorchristliche Riten, die die Selbstbestimmung weit mehr respektierten, als dies heute der Fall ist.

Die 3D-Dokumentation Iraqi Odyssey des Iraki-Schweizers Samir entblättert in 162 Minuten meisterlich die hochkomplexe jüngere Geschichte des Irak anhand von Ereignissen innerhalb einer Familie.

Und noch eine Feier-Nachricht zum Schluss: Der Teddy Award wird am 13. Februar 2015 zum zweiten Mal in der Komischen Oper Berlin verliehen. Udo Kier erhält im Rahmen der Feierlichkeiten den Special Teddy 2015. Kaum ein Schauspieler hat mit solcher Leichtigkeit die verschiedenen Grenzen der Filmkunst übersprungen, verbunden, neu gezogen und entfesselt.

54: The Director's Cut
USA
Von Mark Christopher
Mit Ryan Phillippe, Salma Hayek, Mike Myers, Sela Ward, Mark Ruffalo
Weltpremiere

Chorus
Kanada
Von François Delisle
Mit Sébastien Ricard, Fanny Mallette, Pierre Curzi, Genevi?ve Bujold
Europapremiere

Der letzte Sommer der Reichen (The Last Summer of the Rich)
Österreich
Von Peter Kern
Mit Amira Casar, Nicole Gerdon, Winfried Glatzeder
Weltpremiere

Dora oder Die sexuellen Neurosen unserer Eltern (Dora or The Sexual Neuroses of Our Parents)
Schweiz / Deutschland
Von Stina Werenfels
Mit Victoria Schulz, Jenny Schily, Lars Eidinger, Urs Jucker
Weltpremiere

Dyke Hard
Schweden
Von Bitte Andersson
Mit Alle Eriksson, Peggy Sands, M. W?gensjö, Iki Gonzales Magnusson, Lina Kurttila
Internationale Premiere

Gukje Shijang (Ode to My Father)
Republik Korea
Von JK Youn
Mit Hwang Jung-min, Kim Yunjin
Europapremiere

I Am Michael
USA
Von Justin Kelly
Mit James Franco, Zachary Quinto, Emma Roberts
Internationale Premiere

Jun Zhong Le Yuan (Paradise in Service)
Taiwan / Volksrepublik China
Von Doze Niu Chen-Zer
Mit Ethan Juan, Wan Qian, Chen Jianbin, Chen Yi-Han
Europapremiere

Meurtre ? Pacot (Murder in Pacot)
Frankreich / Haiti / Norwegen
Von Raoul Peck
Mit Ayo, Alex Descas, Thibault Vinçon, Lovely Kermonde Fifi, Joy Olasunmibo Ogunmakin
Europapremiere

Mot Naturen (Out of Nature)
Norwegen
Von Ole Gi?ver, Marte Vold
Mit Ole Gi?ver, Marte Magnusdotter Solem, Rebekka Nystadbakk, Ellen Birgitte Winther, Sievert Giaever Solem
Europapremiere

Ned Rifle
USA
Von Hal Hartley
Mit Liam Aiken, Martin Donovan, Aubrey Plaza, Parkey Posey, Thomas Jay Ryan
Europapremiere

Panorama Dokumente
B-Movie: Lust & Sound in West-Berlin
Deutschland
Von Jörg A. Hoppe, Klaus Maeck, Heiko Lange
Mit Mark Reeder, Marius Weber
Weltpremiere

Danieluv svet (Daniel’s World)
Tschechische Republik
Von Veronika Liskova
Internationale Premiere

El hombre nuevo (The New Man)
Uruguay / Chile / Nicaragua
Von Aldo Garay
Weltpremiere

Fassbinder – lieben ohne zu fordern (Fassbinder – To Love without Demands)
Dänemark
Von Christian Braad Thomsen
Mit Rainer Werner Fassbinder, Irm Hermann, Harry Baer, Lilo Pempeit
Weltpremiere

Iraqi Odyssey
Schweiz
Von Samir
Europapremiere

Stories of Our Lives
Kenia / Südafrika
Von Jim Chuchu
Mit Kelly Gichohi, Paul Ogola, Tim Mutungi, Mugambi Nthinga, Rose Njenga
Europapremiere

The Yes Men Are Revolting
USA
Von Laura Nix, Andy Bichlbaum, Mike Bonanno
Europapremiere


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