Die Retrospektive der 65. Internationalen Filmfestspiele Berlin bietet ein opulentes Farbspektakel. Sie feiert den 100. Geburtstag eines Farbfilm-Verfahrens, das weit über Hollywood hinaus zu einem Mythos wurde: Color by Technicolor. Die Retrospektive präsentiert rund 30 spektakuläre, zum Teil aufwendig restaurierte Technicolor-Filme aus den Anfängen bis 1953, darunter sechs britische Filme.
"Das lodernde Rot des Südstaatenhimmels in 'Vom Winde verweht' oder das ekstatische Gelb der Regenmäntel in 'Singinʼ in the Rain' – dramaturgisch überhöhte Farbspiele waren damals eine Sensation. Im Zusammenwirken des Technicolor-Verfahrens mit kulturellen und ökonomischen Strömungen entstanden große Filmkunstwerke, die auch heute noch das Publikum begeistern", so Berlinale-Direktor Dieter Kosslick.
Die Erfinder Herbert T. Kalmus, Daniel Comstock und W. Burton Wescott entwickelten ab 1915 in ihrer eigens gegründeten Firma, der Technicolor Motion Picture Corporation, das Zwei-Farben-Verfahren Technicolor Nr. I. Hierbei kamen ein Strahlenteiler sowie ein roter und ein grüner Filter zum Einsatz, um einen Film aufzuzeichnen und zu projizieren. Das Spektrum der Farbwiedergabe auf der Leinwand war folglich noch begrenzt.
Zuschauer und Filmkritiker reagierten auf die ersten Filme mit ihren flackernden Farbsäumen eher zurückhaltend. Doch die Skepsis der Kinobetreiber und die eigenen Ansprüche trieben Kalmus und sein Team in den kommenden Jahren und Jahrzehnten zu immer neuen Verbesserungen an. Mit Technicolor Nr. IV, das ab 1932 mit den drei Farben Grün, Rot und Blau zum Einsatz kam, war dann jene Qualität erreicht, der Technicolor seine Strahlkraft verdankt: Erstmals konnte das gesamte Farbspektrum wiedergegeben werden. Technicolor Nr. V, eingeführt 1952, war nur mehr ein Kopier-, kein Aufnahmeverfahren.
Technicolor war nicht auf einen Stil festgelegt, wenn es auch im Vergleich zur Transparenz anderer Farbfilmverfahren eine eher gesättigte Anmutung besaß. Vielmehr war es der Anspruch, Farbe sehr bewusst einsetzbar zu machen. Zu besonderer Wirkung gelangte Technicolor in (Melo‑)Dramen, Musicals und Abenteuerfilmen.
In Richard Boleslawskis Drama "The Garden of Allah" (Der Garten Allahs, USA 1936) wird die einsame Wüste in warmen Rotbrauntönen zur Seelenlandschaft. In dem Abenteuerfilm "The Three Musketeers" (Die drei Musketiere, USA 1948) in der Regie von George Sidney kämpfen tollkühne Männer in leuchtendem Rosa und Hellblau in einer gänzlich stilisierten, künstlichen Natur.
Ein Kassenhit war das MGM-Musical "The Wizard of Oz" (Das zauberhafte Land, Victor Fleming, USA 1939). Es nahm die Konkurrenz zu den Technicolor-Filmen der Walt Disney Productions auf. Bei "The Wizard of Oz" kommt Farbe so exzessiv zum Einsatz, dass die Schauspieler in ihren Fantasiekostümen wie Kunstfiguren wirken. Marilyn Monroe ist in "Gentlemen Prefer Blondes" (Blondinen bevorzugt, USA 1953) von Howard Hawks vor sattrotem Hintergrund in ein unwiderstehliches Pink gehüllt, wenn sie singt "Diamonds are a girlʼs best friend".
Überwältigende Naturpanoramen prägen die Western in Technicolor. In "Duel in the Sun" (Duell in der Sonne, USA 1946) von King Vidor werden unter der sengend orangeroten Wüstensonne Hass und Liebe ausgelebt. In John Fords "She Wore a Yellow Ribbon" (Der Teufelshauptmann, USA 1949) liefert das Monument Valley in seinen erdigen Tönen die malerische Kulisse, mit der leuchtende Uniformen und Kostümdetails kontrastieren.
1953 war schließlich das Jahr, in dem der konkurrierende Farbnegativfilm zu boomen begann. Heute gilt es, sich den gloriosen Filmen in Technicolor möglichst originalgetreu anzunähern. "Der Kooperation mit dem George Eastman House in Rochester ist es zu danken, dass wir Filmkopien aus einer der weltweit größten und besterhaltenen Sammlungen von Technicolor-Filmen präsentieren können – und dies von der Originalkopie bis zu modernen Farbfilmkopien. Dank der Unterstützung weiterer Filmarchive und -studios zeigen wir auch zahlreiche restaurierte Fassungen", kommentiert Rainer Rother, Leiter der Retrospektive und Künstlerischer Direktor der Deutschen Kinemathek.
Zur Retrospektive erscheint im Bertz + Fischer Verlag die reich bebilderte Publikation "Glorious Technicolor". Die Essays von renommierten Autoren – darunter Scott Higgins, Barbara Flückiger und Susanne Marschall – vertiefen erstmals in deutscher Sprache das Phänomen Technicolor in seinen vielfältigen, bisher teils unberücksichtigten Aspekten.
Das Filmprogramm der Retrospektive wird ergänzt durch Veranstaltungen in der Deutschen Kinemathek. Das George Eastman House in Rochester, New York, initiierte das Thema der Retrospektive. Entwickelt wurde es in Partnerschaft zwischen der Deutschen Kinemathek, The Museum of Modern Art und dem Österreichischen Filmmuseum. Dank dieser Kooperation wird die Filmreihe 2015 auch in Wien (April 2015) und New York (Sommer 2015) präsentiert.
Unterstützt werden Retrospektive und Hommage bereits im zweiten Jahr von ihrem Sektionspartner, der traditionsreichen Uhrenmanufaktur Glashütte Original, Co-Partner der Berlinale seit 2011.