Stellen Sie sich eine saftig grüne Laubdecke von Bäumen verschiedener Größen und Formen und dazu ein dichtes Bodendickicht aus wuchernden Gräsern, Moosen und Flechten vor - über allem liegt ein silbriger Nebelschleier, der sich durch den Wald und über einen großen See legt. Urtümlich geformte Steine durchbrechen die üppige Vegetation, und Klippen fallen zu unberührten und beeindruckenden Seenlandschaften ab. Willkommen in Schottland! Die mystisch wirkende Landschaft und unzählige geschichtsträchtige Burgen und Schlösser inspirierten im Laufe der Jahrhunderte die Vorstellungskraft vieler Geschichtenerzähler– einschließlich der Filmemacher der Pixar Animation Studios, die zu den kreativsten Erzählern unserer Zeit gehören.
„Unmittelbar nach meinem Studienabschluss bei CalArts bin ich durch Schottland gereist“, sagt der ausführende Produzent John Lasseter. „Ich ging nach Edinburgh, Glasgow und Inverness. Ich wanderte durch die Highlands und besuchte die traditionellen Wettkämpfe in Braemar. Ich sah das Heidekraut in voller Blüte und war von dieser atemberaubenden Schönheit tief berührt.“
Damit ist Lasseter nicht allein. Das Produktionsteam von MERIDA – LEGENDE DER HIGHLANDS beschloss, dass ihre Geschichte in Schottland spielen sollte und flog über den großen Teich, um vor Ort die besten Plätze für das epische Actionabenteuer zu finden. „Schottland steckt voller Mythen und Legenden – jeder weiß eine zu erzählen“, sagt Regisseur Mark Andrews. „Es ist ein magischer Ort – wild und majestätisch. Die Farben sind düster und trübe und gleichzeitig hell und freundlich – alles dank des verrückten Wetters.“
„Selbst wenn es regnet, ist es einem egal, weil die Landschaft so wunderschön ist“, ergänzt Produzentin Katherine Sarafian. „Und dann kommt plötzlich die Sonne wieder raus – und Nebel zieht auf. Schottland nimmt einen einfach gefangen – die Menschen sind herzlich und großzügig, und die Landschaft ist sagenhaft ausdrucksstark. Sie saugt einen förmlich auf, es ist nahezu mystisch. Man möchte ein Teil davon sein.“
„Schottland ist wild und rau mit all diesen Felsen und Bergen, Bäumen und Tälern – aber weil alles bewachsen ist, verströmt die Landschaft gleichzeitig eine gewisse Sanftheit“, sagt Regisseurin Brenda Chapman. „Die ganze Gegend erinnert mich an Merida – auch sie ist eine perfekte, aber komplizierte Kombination aus schroffen und sanften Eigenschaften.“
Das Ziel der Filmemacher war es, das Publikum in diese grandiose Landschaft hinein zu versetzen. Dazu Andrews: „Die Zuschauer sollen sich wie in Schottland fühlen, und um zu zeigen, wie abwechslungsreich das Land ist, wollten wir einfach alle Bestandteile der schottischen Natur - vom Stein bis zum Nebel – erfassen.“
DREHORTSUCHE IN SCHOTTLAND
Das Produktionsteam reiste im Spätsommer 2006 und dann noch einmal im Oktober 2007 nach Schottland und kam mit tausenden Fotos, Skizzen, Videos, Zeichnungen und Erinnerungen zurück. „Wir tauchten tief in die Kultur und die Geschichten des Landes ein“, sagt Produzentin Katherine Sarafian. „Wir unterhielten uns ausgiebig mit den Einheimischen. Wir aßen traditionelle Gerichte, verloren uns in der Landschaft und erlebten, wie wechselhaft das Wetter ist.“
Die Pixar-Mitarbeiter besuchten Sehenswürdigkeiten in Edinburgh, spazierten die Royal Mile entlang und verspeisten das traditionelle schottische Gericht Haggis, das aus Schafsinnereien (Herz, Leber, Lunge) besteht. Weiterhin besuchten sie das Volksfest „Lonarch Highland Gathering and Games“ sowie das „Braemar Gathering“, hier ließen sie sich von den Highland Games und den Bogenschießwettbewerben inspirieren, die in MERIDA – LEGENDE DER HIGHLANDS ein wichtiger Bestandteil der Geschichte sind. Außerdem informierten sie sich im National Museum of Scotland über bestimmte Waffenarten, Stoffe und Dekorationen, um für ein Höchstmaß an Authentizität zu sorgen.
„Wir waren auch lange an den Standing Stones of Callanish (auf der Isle of Lewis)“, sagt Produzentin Sarafian. „Es schien uns der perfekte Rahmen für ein wichtiges Ereignis in unserer Geschichte zu sein. Die Steine stehen in einem perfekten Kreis auf einem großen Felsen und der Himmel bildet den Hintergrund dieser beeindruckenden Szenerie. Man kann sich von diesem Anblick nur schwer wieder losreißen. Auf beiden Trips hatte ich wirklich Mühe, die Künstler zurück in den Bus zu lotsen.“
Für das Familienschloss der DunBrochs gab es gleich mehrere reale Vorbilder, hauptsächlich orientierten sich die Designer an Eilean Donan Castle in den Highlands und Dunnottar Castle, das sich südlich von Stonehaven, Aberdeenshire befindet. Dunnottar, die Ruine eines mittelalterlichen Schlosses, vermutlich aus dem 15. oder 16. Jahrhundert, inspirierte die Filmemacher sogar dazu, ihre Pläne zu ändern. Ursprünglich sollte das Familienschloss im Film eigentlich an einem See in den Highlands stehen. Doch angeregt durch Dunnottars spektakuläre Lage, verlegten sie es auf einen Felsen am Meer.
In Glen Affric, einem Tal südwestlich des Ortes Cannich in den Highlands, befindet sich einer der größten und ältesten Kiefernwälder Schottlands. Darüber hinaus gibt es dort die obligatorischen Seen, Moore und Berge. Die Filmemacher waren ganz versessen darauf, den Charme und die Geheimnisse des Landes in sich aufzusaugen. „Es ist toll, dort zu sein, die frische Luft zu atmen und den Wind im Gesicht zu spüren“, sagt Produktionsdesigner Steve Pilcher. „Das Moos in Schottland ist spektakulär. Wenn man die Hand hineintaucht, verschwindet sie gute 30 cm und kommt dann wie aus einem Schwamm wieder heraus. Das Heidekraut auf den Hügeln ist wild und weist trotzdem eine üppige, sanft geschwungene Weiblichkeit auf. Im Kontrast dazu steht die Ungeschliffenheit der ganzen Steine.“
„Wir hatten die ganze Zeit das Gefühl, wir würden durch einen Grünfilter sehen“, fügt Shading Art Director Tia Kratter an. „Als würde die Sonne durch diesen Filter scheinen und alles in grünes Licht tauchen. Wenn ich Schottland mit nur einem Wort beschreiben müsste, wäre es ’grün’.“
Aber Kratter, die u.a. für die Farb- und Oberflächenbestimmung zuständig war, fielen in der Umgebung noch viele weitere Farben auf. „Das Heidekraut schimmerte in den schönsten Abstufungen von blauroten Tönen: Purpur, Violett, Magenta. Es war überall – was für ein Glück, denn Heidekraut blüht – wie wir auf unserer Reise erfuhren - jedes Jahr nur einen Monat lang.“
Steve Pilcher und alle anderen Pixar-Mitarbeiter legen in erster Linie Wert auf die Story eines Films. „Tonalität und Emotionen bestimmen den Look des Films, aber Tonalität und Emotionen werden durch die Story vorangetrieben. Deshalb ist es so wichtig, dass wir die ganzen Details von unseren Schottland-Reisen in den Film einfließen lassen, damit die Story noch abwechslungsreicher und authentischer wird.“
FUSS GEFASST
Im Gegensatz zu Live-Action-Filmemachern, konnte das Pixar-Team nicht einfach nach Schottland zurückkehren und diese Details auf Film bannen, die sie während der Recherche entdeckt haben – stattdessen trafen sich Handwerker, Techniker und Visionäre in den Pixar-Studios in Nordkalifornien und entwarfen Baum für Baum die aufwändige und beispiellose Szenerie, wie sie im fertigen Film zu sehen ist.
„Die visuelle Komplexität von MERIDA – LEGENDE DER HIGHLANDS ist, selbst gemessen an Pixars hohen Ansprüchen, noch einmal eine ganz andere Liga“, sagt Produzentin Sarafian. „An diesem Film war wirklich gar nichts einfach. Unsere Künstler haben Höchstleistungen vollbracht, was Look und Technik angehen.“
Dazu John Lasseter: „Der Grund, warum MERIDA – LEGENDE DER HIGHLANDS so unglaublich anspruchsvoll ist, ist folgender: Computer mögen es gern perfekt, geometrisch. Doch wenn man sich mit dem mittelalterlichen Schottland beschäftigt, wird deutlich, dass jeder einzelne Gegenstand, sei es ein Stein, ein Baum oder ein Bauwerk, wahnsinnig viel Geschichte in sich trägt, versteckt unter vielen Schichten von Moos und Schmutz und verwittert von dem rauen Klima. Und dass muss alles detailliert reproduziert werden, damit die Landschaft echt und überzeugend wirkt.“
Steve Pilcher war bereit für diese große Herausforderung. „Ich liebe Natur und Fantasy, vor allem wenn ich beides miteinander verbinden kann“, sagt er. „Besonders gefällt mir die ungezähmte, wilde Natur. Ich wollte unbedingt die gesamte Farbpalette und die Beschaffenheit Schottlands einfangen - genau so, wie wir es dort erlebt haben.“
Und weiter: „Was ich an Animation - an Kunst generell – liebe, ist, dass man durch sie die Wirklichkeit verstärken kann. Dem Publikum soll es echter als echt vorkommen. So können wir uns, dank unserer Fantasie, bei Formen, Farben, Beschaffenheit und Größenverhältnissen diverse Freiheiten herausnehmen.“
Für Tia Kratter beweist der Look von MERIDA – LEGENDE DER HIGHLANDS durch die ausgeklügelte Farbgebung und dem Schwerpunkt auf die Natur vor allem eines: dass die Story einzigartig ist. „Der letzte Film, an dem ich als Shading Art Director mitgearbeitet habe, war CARS (2006)“, sagt sie. „Alles war glatt; nur grelle, leuchtende Farben und lackierte Oberflächen. MERIDA – LEGENDE DER HIGHLANDS besteht hingegen aus satten, düsteren und gedeckten Farben – überwiegend grün mit violetten Untertönen. Nichts glänzt, man erkennt den Alterungsprozess der Dinge und die vielen verschiedenen Oberflächenstrukturen.“
Es ist Kratters Spezialität, diese Texturen zu erzeugen, egal, ob sie an Kostümen, Kuchen oder Burgfluren tüftelt. Sie sagt: „Manchmal beginnt meine Arbeit mit einem Gemälde, einer Skulptur, einem Stück Seidenstoff, dem Aufbau einer Bäckerei oder einer riesigen Steinplatte. Mein Büro gleicht irgendwann dem Requisitenraum eines Realfilms – überall stapeln sich Recherche-Bücher und ein Haufen Krempel.“
Jeder einzelne Baum musste schließlich am Computer erschaffen werden – viele verschiedene Versionen von Ebereschen, Birken und schottischen Kiefern landeten zusammen mit Felsen, Steinen, Baumstämmen und allem, was man in einem schottischen Wald sonst noch finden kann, in einem Bestandskatalog, bevor es an die eigentliche, vielschichtige und komplexe Bildkomposition ging.
Kratter sagt, dass die Regeln der Natur ebenfalls für die Figuren des Films gelten. Die vielen verschiedenen Texturen, Muster und Schichten der Landschaft sollten sich auch in den Charakteren wieder finden.
Diese Verbindung sei kein Zufall, meint Produktionsdesigner Steve Pilcher. „Die Sets, der Bildhintergrund, die ganze Ausstattung und die Umgebung in einem Film sind der beste Nebendarsteller“, sagt er. „Es macht soviel aus, wenn man alles richtig macht. Das hat uns Walt Disney gelehrt. Der Hintergrund in Filmen wie PINOCCHIO (1940) oder BAMBI (1942) – die Art und Weise, wie die Figuren mit den Sets verschmelzen – transportiert die Stimmung, unterstützt die Figuren und ergänzt sie. Wenn eine Figur etwas Dramatisches erlebt, kann die Veränderung des Lichts die Interpretation des Publikums komplett beeinflussen. Es hängt alles zusammen. Das Tolle an dieser Kunstform ist, dass alles ständig fließt und alle Elemente zusammenarbeiten, um eine möglichst große emotionale Wirkung zu erzeugen.“
„Nach einer Filmvorführung bleiben uns nur Erinnerungen“, sagt Pilcher weiter. „Wir nehmen kein Buch, keine Zeichnung, kein Foto mit nach Hause, sondern nur die Bilder in unseren Köpfen. Und je stärker sie sind, desto besser haben wir unseren Job gemacht. Wenn jemand aus einer Vorführung von MERIDA – LEGENDE DER HIGHLANDS kommt und sagt, ’Wow, das war Schottland. Es gibt keinen anderen Film wie diesen’, dann haben wir unsere Botschaft rübergebracht.“
Der Regisseur geht noch einen Schritt weiter. Andrews sagt: „Wer sich MERIDA – LEGENDE DER HIGHLANDS ansieht, guckt nicht einfach nur einen Film, er ist leibhaftig in Schottland.“