Nach drei großen, internationalen
Produktionen, kehren Sie jetzt nach Deutschland zurück, kommt Ihnen
hier jetzt alles sehr klein vor?
Diesen Unterschied merkt man gar nicht, wenn man an einem Film
arbeitet, weil man in diesem Tunnel steckt, der bei allen Filmen
ähnlich ist. Im inneren Zirkel von rund zwanzig Leuten um die
Kamera fühlt sich das immer ähnlich an, nur wenn man um die Ecke
schaut, merkt man vielleicht, dass da noch fünfzig LKWs mehr
stehen. Der größte Unterschied bei komplexeren Produktionen liegt
in der längeren Vorbereitung, da kann man eben nicht wie hier, drei
Monate nachdem das Buch fertig ist, mit dem Dreh anfangen. Wenn
alle Drehorte mehr oder weniger in Fußweite sind, und man auch
nicht so viel umbauen muss, weil man vieles so haben möchte wie es
ist, reduziert das den Aufwand.
Angefangen hat alles damit, dass
Sie mal wieder in Deutschland drehen, und diesem Land auf den Puls
fühlen wollten. Was war konkret der Anfang dieser
Geschichte?
So einen konkreten Ausgangspunkt hatte ich gar nicht, vor allem
hatte ich das Bedürfnis, mal wieder in der eigenen Sprache zu
drehen. Auch wenn ich Englisch inzwischen wirklich gut und fließend
beherrsche, ist es trotzdem nicht meine Sprache und wird es auch
nie werden. Ich wundere mich immer über diese Erzählungen von Billy
Wilder, der nach einem Jahr morgens aufwacht und merkt, dass er auf
Englisch geträumt hat, und wusste, dass er jetzt wirklich
angekommen ist. Mir ist das so nie passiert, was nicht heißt, dass
ich darunter leide, das hat ja auch Vorteile. Wenn man immer noch
so eine bestimmte Art von Übersetzung leisten muss, entsteht eine
analytische Distanz, die das Gesagte auch präziser macht. Was
dagegen fehlt, ist das ganz direkte, suchende, frei assoziierende
Sprechen, diese Art wie man beim Denken nach Worten sucht, und im
Gespräch gemeinsam mit den Schauspielern nach etwas sucht. Dazu
kommt natürlich, dass mir diese Menschen von vornherein vertrauter
sind, weil sie aus meiner Kultur, und in diesem Fall sogar aus
meiner Generation kommen und einen ähnlichem Background haben wie
ich. Ich wollte einfach mal wieder genauer wissen, von wem da
eigentlich die Rede ist.
Was bei Ihnen ja Methode hat: Über
die Jahre sind Ihre Helden mit Ihnen reifer geworden.
Für mich ist das nahe liegend, Konflikte zu thematisieren, die mit
der eigenen Lebenssituation zu tun haben, unter Menschen, die
ungefähr aus der eigenen Generation kommen. Selbst wenn ich mich
beispielweise mal mit einem Teenager befassen sollte, würde ich das
wahrscheinlich auch in irgendeiner Weise biografisch koppeln, sonst
würde mir einfach der Bezug fehlen.
Dieser Film ist der Versuch einer
Bestandsaufnahme, und zugleich ein ziemlich provokantes Spiel mit
den Möglichkeiten moderner Beziehungen, fast so eine Art
Versuchsanordnung zum Thema Beziehung...
Diese Betonung des Experiments ist für mich sehr befreiend, denn
darin wird der verspielte Charakter des Films hervorgehoben. Jede
Situation, jede Begegnung ist ein Konstrukt, das von unglaublich
vielen, unberechenbaren Parametern bestimmt ist, von all den
Zufällen, die uns ständig widerfahren. Da ist allein schon die
ungeheuer wichtige Frage des Timings: Wann trifft man jemanden, in
welcher Situation? Was wäre passiert, wenn man einer Person zu
einer anderen Zeit, bei anderer Gelegenheit begegnet wäre? Wie
anders wäre das Leben verlaufen? All die Umstände, von denen es
abhängt, ob man von einem Attraktivitätssignal getroffen wird.
Manche Menschen hat man schon zehn Mal gesehen, und dann entdeckt
man beim elften Mal plötzlich etwas, das einem vorher noch nie
aufgefallen ist, und man nimmt jemanden ganz überraschend erotisch
wahr. Diese überwältigende und mich manchmal auch einschüchternde
Willkür der emotionalen und affektiven Irrungen und Wirrungen
fasziniert mich.
Gibt es konkrete, persönliche
biografische Anknüpfungspunkte?
Biografisch in dem Sinne ist das nicht, es ist eher so, dass ich
mich mit den Gefühlen auskenne, die da herrschen, weil mir die
Menschen vertraut sind, ich kenne sie, verstehe sie und weiß woher
es kommt, was sie tun und sagen und fühlen. Jeder Film ist der
Versuch, die persönlichen Themen und Erfahrungen auf ein anderes
Spielfeld zu rücken.
Haben Sie selbst die Midlife
Crisis, um die es da auch geht, schon gestreift?
Zumindest weiß ich, was es bedeutet, eines Morgens mit dem
Bewusstsein aufzuwachen, dass man das Leben nicht mehr von der
Geburt weg, sondern auf den Tod hin lebt. Wenn man den etwas
unbedarften Glauben an die Vorwärtsbewegung des Lebens, diesen
Unendlichkeitsgestus verliert, entdeckt man darin eine bisher
unbekannte Unsicherheit, was ja gleichbedeutend mit einer Krise
ist. Bei manchen Menschen stellt sich dieses Bewusstein, dass die
Zeit abläuft eher ein, bei mir war es relativ spät. Manchmal wird
das durch konkrete Einschnitte ausgelöst, wie hier der Tod der
Mutter oder eine schwere Krankheit. Aber es kann auch passieren,
dass man sich auf unerwartete Weise mit jemandem verstrickt, und
sich einem dadurch plötzlich ganz andere Möglichkeiten eröffnen,
dass man ein ganzes Feld entdeckt, das man nie bestellt hat, und
das ist ja immer einigermaßen verunsichernd und dadurch auch
krisenträchtig.
Im Vergleich zu Ihren früheren
Filmen, wirkt dieser sehr viel leichter, freier und verspielter:
Hat das vielleicht auch mit einer Entspanntheit und Lässigkeit zu
tun, die sich mit zunehmender Reife einstellt?
Das kann ich gar nicht sagen, ich bin nur erstaunt, dass ich
plötzlich selbst soviel über meinen eigenen Film lache. Ich weiß
natürlich nicht, ob das anderen genauso geht, Humor ist ja auch
Geschmackssache, und in dem Film kommt er manchmal sehr drastisch
daher. Das ist ja das klassische Prinzip der Komödie: Wenn den
Menschen gerade besonders grauenvoll mitgespielt wird, bringt man
eine lakonische Wendung rein, eine liebevolle Ironie, die dem Drama
die Schärfe nimmt und von der Last und Schwere unserer Existenz
befreit. Darum können wir Lubitsch und Sturges immer wieder
sehen.
Nun haben Sie selbst Lubitsch
genannt. Entfernt erinnert diese luftige Mènage a Trois an seine
„Serenade zu Dritt“, oder auch an Truffauts
„Jules et Jim“: Gab es solche Inspirationen aus der
Filmgeschichte?
Nicht so konkret, aber natürlich trage ich die Filme, die ich
gesehen habe in mir. Für mich ist es selbstverständlich, dass sie
sich, hoffentlich auf natürliche Weise, in unserem kollektiven
cineastischen Gedächtnis einnisten, und auf diesem Weg auch in
meinem Kino präsent sind. Aber bewusste Zitate gibt es keine,
abgesehen von dem einen Film, der sehr explizit vorkommt. Im
Kontext des Mutterverlustes taucht eine Szene aus DAS WUNDER VON
MAILAND auf, weil diese Übermutter, die dort in ihrer ganzen
Mütterlichkeit so drastisch ausgestellt ist, das klischeehafte
Gegenbild zu der modernen Mutter ist, die in unserer Generation
vorherrscht, eine Mutter, die in der Mitte ihres Lebens dem
Feminismus über den Weg gelaufen ist, sich damit vom Mütterlichen
abgewandt hat und die Kinder eher als Partner ernst nimmt, was
viele Vorteile aber auch einige Nachteile hat. Angela Winkler
spielt das totale Gegenbild zu der Mutter in DAS WUNDER VON
MAILAND, bekommt dann aber trotzdem diesen Auftritt als schwebender
Engel, der wie bei Vittorio de Sica vom Himmel
heruntergleitet.
In DREI gibt es ein ganzes
kulturelles Bezugssystem, mit der Ballettszene am Anfang, dem
Theaterbesuch, den Skulpturen, dem Kinobesuch. Wie ist es dazu
gekommen?
In meinen Augen ist die Alltagspräsenz von Kultur und kulturellen
Ereignissen im Kino völlig unterrepräsentiert, diese natürliche
Art, auf die wir uns über die Auseinandersetzung mit Kultur
miteinander verständigen. Das ist die Basis unseres
Gesprächstoffes, ständig sprechen wir über kulturelle Phänomene
oder Ereignisse, das ist auch zumindest in der westlichen Welt
nichts Schichtspezifisches. Doch in Filmen findet das kaum statt,
da geht man vielleicht mal ins Kino, aber darüber hinaus kommt
Kultur als alltäglicher Austausch- und Begegnungsraum kaum
vor.
Im Film vertritt Adam sozusagen
die Wissenschaft und Simon die Kultur, sind das auch die beiden
Seelen in Ihrer Brust?
Im Film ging es mir aber doch eher um eine dramaturgisch
interessante Entwicklung. Es ist Teil der Konstruktion, dass sich
die Frau von jemandem angezogen fühlt, der außerhalb ihres
typischen Alltags liegt. Sie gestaltet ihr Leben, wie wir alle, in
einem begrenzten Rahmen, in einer bestimmten Routine, und plötzlich
trifft sie auf überraschende Weise auf einen Mann, der eine ganz
andere Sozialisation, einen anderen Background hat, und damit
eröffnet sich für sie ein neuer Zugang zu bisher ausgeklammerten
Ideen, Gedanken und Positionierungen zur Welt.
Adam hat etwas sehr Entrücktes und
wirkt manchmal fast wie ein Engel: Welche Regieanweisung haben Sie
Devid Striesow dafür gegeben?
Wichtig war mir, diesen Film sehr intuitiv anzugehen, wir haben die
Texte gelesen und zumindest bei der Probearbeit durchaus
improvisiert, haben an den Texten entlang das eine oder andere noch
weiterentwickelt. Bei Devid war es so, dass wir oft einen Satz
weggelassen haben und ihn stattdessen nur auf so eine bestimmte,
vieldeutige Weise schauen lassen. Er kombiniert eine
offensichtliche Intelligenz mit einer seltsamen Triebhaftigkeit und
kann sehr rätselhaft und mehrdeutig reagieren, oder auch einfach
nur passiv sein, so dass man sowohl verunsichert als auch angezogen
von ihm ist. Mit diesen sehr eigenwilligen Qualitäten ist er gar
nicht so leicht zu fassen.
In welchen Maße sehen Sie ihn auch
ein bisschen als Engelswesen, das diesem Paar hilft?
Das würde ihn zu stark von seiner vorhandenen Substanz als Person
wegrücken. Am Anfang nimmt man ihn vielleicht so wahr, weil er wie
so ein magisches Element in diese mit viel größerer Erdung
ausgestattete Beziehung eingeschleust wird. Nach den üblichen
Kriterien entscheidet sich der Film erst sehr spät, dieser Figur
eine Substanz und eine biografische Verankerung zu geben. Nachdem
er am Anfang eher geheimnisvoll und unnahbar, aber faszinierend
wirkt, wird er dann doch noch ganz diesseitig. Am Anfang ist er vor
allem für das Paar sicher eine Projektionsfläche, rückt aber mit
der Zeit davon ab und wird doch zu einem kompletten Menschen.
Insofern kommt er vielleicht als Engel zur Tür rein, aber er
verlässt den Film als Mensch, als Person.
Insbesondere bei Sophie Rois hat
man das Gefühl, dass die Dialoge gar nicht geschrieben sind,
sondern einfach aus ihr heraussprudeln. Hatten Sie schon beim
Schreiben diese Besetzung vor Augen?
Ja, das war ganz klar für sie geschrieben, ich wusste, dass ich bei
diesen Texten nur mit ihr klarkommen würde. Sie bringt eine
Impulsivität, Intelligenz und Vitalität mit und verleiht den Texten
dadurch einen besonderen Schliff, aber auch so eine Lusthaftigkeit.
Sie hat eine Lust mit Texten zu arbeiten, die ihrem Niveau
entsprechen. Gleichzeit spielt sich diese Rolle ja nicht nur über
den Text ab, sondern ist auch in der Stille sehr nuancenreich, da
wird sehr viel über Blicke erzählt. In meinen Augen hat sie eines
der schönsten, aber auch nuancenreichsten Gesichter, das wir hier
in Deutschland haben. Sie ist eine attraktive Frau, wie ich sie für
meinen Geschmack viel zu selten im Kino sehe, und sie schafft es,
das Liebenswerte dieser Figur hervorzubringen, die ja von der
Anlage auch eine sehr anstrengende Seite hat. Was Devid Striesow
betrifft, der kam mir zumindest sehr früh in den Sinn, auch wenn
ich da nicht so festgelegt war wie bei Sophie.
Angela Winkler vertritt als
sterbende Mutter ja auch die vorhergehende Generation der
Filmemacher: Ist das auch eine Hommage, oder vielleicht auch ein
Abschied?
So habe ich das nicht gesehen, sie steht für mich eher für eine
bestimmte Mutterfigur, für ein bestimmtes Bild der
bildungsbürgerlich komplizierten Frau um die sechzig, die einem
sehr vertraut, und auch durchaus unmütterlich erscheint, die sich
unserer Generation schon sehr angenähert hat, allein schon in der
Art, wie sie sich kleidet. Darüber hinaus ist sie eine der tollsten
Schauspielerinnen ihrer Generation; mit ihr arbeiten zu können, war
für mich sehr beglückend.
Und Sebastian Schipper, der ja in
dieser Riege nicht das ist, was man einen Vollblutschauspieler
nennt?
Obwohl er ja schon in drei meiner Filme mitgespielt hat, war das
für mich eine so überraschende wie - im Nachhinein - einleuchtende
Entdeckung. Es gibt keinen Regisseur, der ihn öfter eingesetzt hat
als ich, gleichzeitig bin ich mit ihm natürlich noch viel mehr über
seine Regiearbeiten verbunden, die ich alle begleitet habe. In
erster Linie sind wir Regisseure, die befreundet sind. Als es dann
an die Besetzung dieser Rolle ging, habe ich immer gesagt,
„wir bräuchten so jemanden wie Sebastian Schipper“, mit
dieser besonderen Form der Attraktivität, jemanden der zwar kein
klassischer Beau ist, keiner der einen mit seinem Superstarlook
erschlägt, aber doch eine Intensität hat, eine Lässigkeit und
Intelligenz, aber auch Selbstironie. Danach haben wir gesucht und
gesucht und gesucht, bis ich irgendwann dachte, warum frage ich
eigentlich nicht Sebastian, schließlich ist er ja Schauspieler. Als
wir uns im Café getroffen haben, wusste er sofort, was auf ihn
zukommt und hat sich bereitwillig darauf eingelassen.
Gibt es da auch eine Art
Seelenverwandtschaft zwischen Ihnen beiden?
Auf jeden Fall haben wir ein sehr vertrautes Verhältnis, was mir
auch wichtig war für diese Rolle, die ja keineswegs leicht zu
spielen ist. Er muss da schon Einiges können, das lässt sich nicht
einfach so runterspielen. Das Vertrauen, das wir zueinander haben,
hat da sehr geholfen, diese Sicherheit zu wissen, worauf es dem
anderen im Kino ankommt und welche Nuancen man aus den Figuren
herausholen möchte. Diese Nähe hat damit zu tun, dass wir schon so
oft gemeinsam über Drehbüchern gesessen haben. Nachdem wir seit
vielen Jahren in sehr engem Kontakt stehen, war es jetzt für uns
beide ein ganz irres Experiment, das sozusagen mal am eigenen Leib
auszuprobieren.
Womit wir bei den schwulen
Sexszenen wären, die in DREI sehr selbstverständlich wirken: Wie
können Sie Ihren Schauspielern zu dieser Unbefangenheit
verhelfen?
Die sind auch nicht schwieriger als andere Sexszenen. Die Frage,
wie hetero wir überhaupt alle sind, drängt sich in solchen
Zusammenhängen gleich wieder auf - und ob es nicht anachronistisch
ist, das überhaupt noch in diesen Kategorien zu sehen. Hinzu kommt,
dass ja im Kino und im Fernsehen, von „Six Feet Under“
bis SHORTBUS unglaublich viele Filme Sexualität auf eine sehr
entspannte und schöne Weise zeigen, bei den Schwulenszenen in
„Six Feet Under“ geht es unglaublich zur Sache, und das
in einer Fernsehserie! Dazu kommt, dass ich in einer Zeit
aufgewachsen bin, in der Filme wie TAXI ZUM KLO populär waren.
Schwule Szenen im Film sind für mich das Normalste der Welt, was
vielleicht auch damit zu tun hat, dass ich Schüler von Rosa von
Praunheim war. Jedenfalls habe ich nie einen besonders starken
Unterschied empfunden, ob man es mit hetero- oder homosexuellen
Sexszenen zu tun hat. Diese Art von Intimität herzugeben ist immer
ein bisschen eigentümlich, immer eine Herausforderung. Schön ist
eine Sexszene für mich immer dann, wenn sie mich nicht peinlich
berührt, wenn ich mich nicht als Spanner fühle, wenn ich das Gefühl
habe, dass sich die Schauspieler trotz allem wohlgefühlt haben. Und
wohlfühlen heißt ja nur, dass es ein entspannter Moment war, und
dass die Körper auf eine Art und Weise gezeigt werden, die mir
vertraut ist, nicht übertrieben schön, aber auch nicht hässlich.
Erotik entsteht im Kino ja nicht dadurch, dass man alles frontal
und krass zeigt, sondern indem man das Geheimnis des Körpers
bewahrt, eines normalen, erwachsenen Körpers, der sehr schön
aussieht, aber eben nicht nach sechs Monaten Fitnessstudio.
Denken Sie, dass der Film mit
seinen liberalen Haltungen zu Homosexualität und zur Mènage á Trois
den Stand der Beziehungsmöglichkeiten heute
wiedergibt?
Zumindest stellt er etwas zur Disposition, das sich Gott sei Dank
in unserem Alltagsdenken durchaus verbreitet hat. Im Grunde wissen
wir alle, dass unsere Kategorien von sexuellen Zuordnungen,
geschlechterspezifischen Haltungen und all diese Verbindlichkeiten,
die wir uns pädagogisch aufzwingen lassen, zu einem System gehören,
das irgendwie abgelaufen ist. Gleichzeitig haben wir aber auch noch
keine tolle, neue Alternative zu bieten. Also vollführen wir diesen
eigentümlichen Spagat: Einerseits sind da noch die bürgerlichen
Modelle, mit denen wir groß geworden sind. Und gleichzeitig sind
wir gedanklich schon sehr viel weiter, offener und auch
entspannter, was diese kategorischen Zuordnungen betrifft, was man
darf und was nicht. Der Film versucht, genau diesen Zwischenraum zu
beschreiben, ohne dabei einen besonders starken Vorschlag zu
machen. Es geht einfach darum, den Figuren dabei zuzuschauen wie
sie in dieser Desorientierung irgendwohin taumeln, in einer sehr
offenen, eben nicht klar zu Ende erzählten Geschichte. Der Film
kommt zwar irgendwo an, doch das Ende ist ja eher ein Anfang.
Würden Sie dem Trio eine Chance
einräumen?
Ja, da bezieht der Film am Ende ja schon eindeutig Stellung. Aber
das heißt nicht, dass er dafür plädiert, dass wir jetzt alle
Dreierbeziehungen unterhalten. Er richtet sich nur gegen den
modellhaften, und quasi religiös verankerten Glauben an diese
verbindliche Form der Beziehungsnormen. Das Verfallsdatum dieses
Systems ist einfach überschritten. Mangels Alternativen machen wir
zwar überwiegend weiter, aber das stimmt hinten und vorne nicht
mehr.
Auf geradezu zauberhaft
märchenhafte Weise behauptet der Film, dass die Affäre der
Liebesgeschichte nichts nimmt, sondern ihr im Gegenteil sogar neue
Funken gibt...
Ich halte es einfach für einen Schmarren, dass eine Liebe sämtliche
Gefühle auf sich versammeln kann. Diese Exklusivität aller Gefühle
in einer einzigen Beziehung ist in meinen Augen emotionaler
Faschismus. Jeder weiß das, trotzdem halten wir an diesem Muster
fest, aus vielen Gründen, die mit Verbindlichkeit zu tun haben, mit
Notwendigkeiten, die sich im Alltag aus der Lebensgestaltung
ergeben. In Wirklichkeit ist das Spektrum unserer Gefühle unendlich
viel reicher, als das was eine Beziehung abdecken kann. Das ist es,
was der Film ausdrückt.
DREI spielt in Berlin, aber
jenseits der bekannten Wahrzeichen der Stadt: Wie sind Sie an die
Locationsuche herangegangen?
Im Unterschied zu beispielsweise LOLA RENNT ist das ja kein Film,
der die Stadt geografisch erforscht, sondern er nähert sich über so
eine bestimmte, gesellschaftliche Gruppierung. In dem Moment, in
dem wir uns entschieden hatten, von welcher Art von Leuten wir
erzählen wollten, ergaben sich die Orte relativ organisch, wie von
selbst. Es ging nie darum, spektakuläre oder visuell sensationelle
Schauplätze zu finden, sondern darum, dass die Orte stimmige
Aufenthaltsorte der Figuren sind - in welchen Kneipen sitzen sie,
in was für einem Haus wohnen sie, in welches Theater gehen sie. Das
haben wir mit Hilfe eines Locationscouts gesucht, auch der
Szenenbildner trägt dazu bei, wir wissen ja alle, dass das nicht
mein Film ist, sondern dass viele Leute dazu beitragen.
Darunter ist eine ganze Reihe von
Leuten, mit denen Sie immer wieder zusammenarbeiten, Frank Griebe
als Kameramann, Uli Hanisch als Szenenbildner, Mathilde Bonnefoy
als Cutterin...
...das ist so wie mit tiefen Freundschaften, wenn sie halten, sind
sie meistens auch ewig fruchtbar. Sind sie es einmal nicht mehr,
dann sollte man sie beenden. Doch ich habe nicht das Gefühl, dass
wir anfangen uns abzunutzen. Die letzten drei Filme, die wir
zusammen gemacht haben, DAS PARFUM, THE INTERNATIONAL und jetzt
DREI könnten kaum unterschiedlicher sein, und trotzdem denke ich,
dass man uns eindeutig in jedem einzelnen von ihnen erkennt.
Sie komponieren Ihre Musiken immer
mit Johnny Klimek und Reinhold Heil: Wie muss man sich diese
Zusammenarbeit vorstellen?
Wir haben eigentlich immer eine wichtige Session vor dem Dreh, denn
ich bin ein Gegner der sogenannten Temp-Musiken, die im
Schneideraum temporär auf die im Schnitt befindlichen Filme
angelegt werden. Das hat in den letzten fünfzehn Jahren dazu
geführt, dass sich die Scores immer ähnlicher werden, weil in den
Schneideräumen nur ein begrenztes Kontingent von CDs steht, das ist
meistens AMERICAN BEAUTY und irgend etwas von James Horner. Wenn
dann der Komponist einberufen wird, um für den fertig geschnittenen
Film eine Musik zu liefern, dann wird er gebeten, einen möglichst
ähnlichen Score zu liefern. Das ist dann so, als wäre die Musik ein
Topping , das am Ende einfach drübergegossen wird, als wäre die
Idee von Musik die der Zierde. Musik ist ein dramaturgisch
wichtiger Baustein und ein emotionales Wirkungsmittel eines Films,
da ist es doch geradezu grotesk, sie am Ende noch auf die Schnelle
zuzufügen, statt sie mit dem Film zusammen zu entwickeln. Aus
diesem Grund treffen wir uns früh, spielen viele Sachen schon ein,
entwickeln Themen auf der Basis des Drehbuchs und schreiben davon
ausgehend die ersten Stücke, die dann während des Drehs weiter
gemixt und verfeinert werden. Dazu setzen wir uns in einen Raum,
mit einem Computer, einem Klavier und ein paar Instrumenten und
spielen los. Meistens habe ich schon beim Schreiben mindestens vier
oder fünf Ideen zu bestimmten Themen. Bei DAS PARFUM und THE
INTERNATIONAL war es sogar so, dass wir die Musik schon vor dem
Dreh mit großem Orchester aufgenommen haben, so dass wir sie beim
Drehen schon hören konnten.
Was bedeutet Ihnen persönlich die
Zahlenmystik, die im Film durchgespielt wird?
Die Zahlenmystik ist dem Kino verwandt, das einerseits unheimlich
technisch ist, mit den Tausenden von Codes des digitalen
Zeitalters, und gleichzeitig steckt in den Filmen aber auch etwas
völlig Diffuses, Amorphes, Geheimnisvolles und Fließendes. In
diesem Fall war sie aber vor allem etwas, das diese Mutter
charakterisiert.
Wie stehen Sie persönlich zum
Thema Stammzellenforschung, das der Film am Rande thematisiert?
Schlagen Sie sich eher auf die Seite der vorwärts drängenden
Forscher, oder der bremsenden Moralisten?
So einfach lässt sich das nicht umreißen. Das fasziniert mich, weil
sich darin unsere Idee vom Menschsein spiegelt, was für uns der
Begriff Leben bedeutet, was Leben ausmacht, und ab wann es
schützenswert ist. Wir wollen unser Leben mit einem größtmöglichen
Freiraum gestalten, haben aber Bedenken, wenn es darum geht, das
physische Leben de facto zu konstruieren. Das erscheint uns
unheimlich, und zwar nicht zu Unrecht. Mit unseren immer größeren
Möglichkeiten, unser Leben zu beeinflussen, bewegen wir uns in
einem Spannungsfeld, das sich vom Psychologischen bis zum faktisch
Wissenschaftlichen spannt. Um diesen Zwischenraum geht es im
Ethikrat, und den wollte ich auch im Film ausloten.
Womit wir ja fast schon bei den
CGI-Effekten sind, mit denen Sie sich als Regisseur die
Wirklichkeit nach Ihren Vorstellungen modellieren...
Das Kino ist von jeher eine Maschine, die der künstlichen Welt
Leben einhaucht, mit Frankenstein als der Urgeschichte für uns
Filmemacher. Im Grunde jagen wir Strom durch irgendwelche Monster
und dann laufen sie durch unsere Filme und sind trotzdem nur
erfunden und fiktiv, auferstanden aus unseren psychologischen
Gräbern. Zu diesen Technologien habe ich ein sehr entspanntes
Verhältnis, ich mache mir jede Technik zunutze, solange sie nicht
selber zum Thema wird, das sich in den Vordergrund drängt. Das Kino
ist seit seiner Geburtsstunde ein sehr technischer Apparat. Das ist
eine Maschine, die versucht, das Leben einzufangen, daran ändert
auch die digitale Technik nichts.
Wie sehen Sie das Verhältnis von
Realität und Fiktion im Kino?
Das sind siamesische Zwillinge, zumindest in dem Kino, das mich
interessiert: Ich möchte belogen werden und möchte aber trotzdem
glauben, dass die Lüge mit der Wirklichkeit verwandt ist.