"High Life im Mormonenstaate"Wenn es den Jet-Set in die Kälte
zieht, dann in die Kleinstadt Park City im Bundesstaat Utah. "Happy
Sundance" heißt es dort es alljährlich. Dann verdoppelt sich die
Einwohnerzahl, die Zimmerpreise verdreifachen sich, Pelz- und
Juwelierhändler haben Hochsaison, und selbst der New Yorker
Luxusclub Marquee öffnet in der kleinbürgerlich anmutenden
Hauptstraße seine Pforten. Paris Hilton kommt extra zum Shoppen
vorbei, schmeißt eine flauschige Society-Party, und wegen der
vielen geschlossenen Veranstaltungen beschwert sich selbst Josh
Hartnett, er habe in dutzenden von Restaurants vergeblich nach
einem Platz gesucht.
Kein Wunder also, dass das ursprünglich als Bastion gegen den
Kommerz konzipierte Sundance-Filmfestival seit einigen Jahren auch
heftiger Kritik ausgesetzt ist. Vom Ausverkauf des ursprünglichen
Independent-Gedanken ist die Rede, Schampus und Gourmethäppchen
seien wichtiger als die Qualität der einzelnen Programmfilme.
Pünktlich zum 25-jährigen Jubiläum hagelt es also Kritik von
Cineasten, und als Festival-Gründer und -Präsident Robert Redford
zum Pressetermin antritt, merkt auch er, dass er Stellung beziehen
muss: "Wenn Sie an Partys und Stars interessiert sind, werden Sie
das mit Sicherheit finden", gesteht der inzwischen 68-Jährige ein.
"Aber das ist eben nur die eine Seite: wenn Sie sich nämlich
wirklich auf die Filme konzentrieren wollen, bieten wir Ihnen dafür
die beste Plattform. Aus unserer Sicht hat sich daran nichts
geändert. Wir bieten talentierten Filmemachern ein interessiertes
Publikum. Es ist ein Ort der Entdeckung - für Zuschauer wie für
Künstler."
Vom beschaulichen "Zwei Kino"-Festival in einen öden
Schneelandschaft entwickelte sich Sundance in den letzten 25 Jahren
zu einer regelrechten Maschinerie: Ingesamt 120 Spielfilme und
Dokumentationen aus 32 Ländern standen dieses Jahr auf dem
Festivalprogramm, das von Nicole Holofceners "Friends with Money"
eröffnet wurde. Jennifer Aniston diskutiert sich in der prominent
besetzten Ensemble-Komödie gemeinsam mit ihren Freundinnen durch
die Menopause, hat zwischen Wollmäusen und Putzutensilien Sex im
knappen Mini und jammert über nicht vorhandenes Geld. Im wirklichen
Leben sieht die steinreiche Schauspielerin ihr Verhältnis zu
materiellen Dingen eher gelassen: "Die schlimmste Versuchung ist,
seinen Reichtum nicht ausgeben zu wollen".
Von zu wenig Schlaf kann auch der deutsche Schauspieler Christian
Oliver ein Lied singen. Erschöpft von seiner Hauptrolle in der
deutschen TV-Serie "Alarm für Cobra 11", ging der heute 33-Jährige
nach Hollywood und produzierte nach zahlreichen kleineren
Filmauftritten seine eigene Interpretation von Horror: "Subject
Two", die Story um einen verrückten Professor in den Bergen Aspens,
eröffnete die Mitternachtsreihe und feierte seine Premiere im
Traditionskino "Egyptian", in dem vor Jahren bereits das "Blair
Witch Projekt" den Durchbruch schaffte. "Eine Achterbahn der
Emotionen" nennt Christian Oliver seinen derzeitigen Gemütszustand,
und so manch einer kann die anhaltende Spannung vor Ort am eigenen
Leib nachvollziehen.
Denn irgendwie versucht hier jeder, sein Glück zu finden: Ein
junger "Selfmade-Man" macht sich mit einem Video-iPod auf die Suche
nach Geldgebern für seinen Erstlingsfilm, ausgehungerte
Journalisten jagen die Star-Meute, und Metallica-Fans zahlen den
Premierengästen des Films "Darwin Awards" bis zu 500 Dollar pro
Karte, um das Privatkonzert der Heavy-Metal-Band Metallica
miterleben zu dürften. Einfacher hätte man es da bei der "Homos
Away From Home Party": haben können: Das Codewort "Mickey"
verschaffte Zutritt zur schillernden Party in der "Queer Lounge",
die untertags als Panelforum für schwule Filmemacher fungierte und
als fester Bestandteil des Festivals die Integration homosexueller
Thematiken fördern sollte.
Bei soviel High Life im Mormonenstaate Utah wirkte die Auswahl der
Siegerfilme fast schon wie ein regulierendes Element: Gewonnen
haben schließlich nämlich doch die kleinen Produktionen mit Herz,
wie etwa Richard Glatzers und Wash Westmorelands Underdog-Drama
"Quinceanera" oder die packende Dokumentation "God Grew Tired of
Us", die junge sudanesische Bürgerkriegsopfer auf ihrer Reise ins
übersättigte Amerika folgt. Dass letztgenannter Film nur unter
Produzentendeckung von Blockbustergarant Brad Pitt enstehen konnte,
sei hier nur am Rande erwähnt. Man will den immanent präsenten
Independent-Traum dieses Festivals ja nicht unnötig
zerstören.
Johannes Bonke / RICOPRESS