Zwölf Jahre lang filmte Richard Linklater Boyhood: In jedem Sommer drehte er neue Szenen mit Ethan Hawke, Patricia Arquette, seiner Tochter Lorelei Linklater und Ellar Coltrane, um eine einzigartige, gleichzeitig epische und banale Coming-of-Age-Geschichte zu erzählen, die in seiner Heimat Texas angesiedelt ist. Madison (Coltrane) ist im Jahr 2002 sechs Jahre alt. Seine Eltern haben sich scheiden lassen, die alleinerziehende Mutter ist gestresst, seine ältere Schwester nervt, wieder einmal steht ein Umzug bevor. Sein Vater weiß nicht, wohin mit seinem Leben, seine Mutter datet Alkoholiker. Als wir uns von Madison verabschieden, ist er achtzehn und beginnt seine Zeit am College.
Mit "Boyhood" hat Linklater, wie schon mit der "Before"-Reihe – in welcher ebenfalls Hawke auftritt – ein authentisches und humorvolles Drama geschaffen, welches sich verblüffend lebensecht anfühlt. Dass die Schauspieler vor der Kamera altern, gibt dem Ganzen eine besonders rührende und schließlich nostalgische Note. Der Film zeigt einen Ausschnitt davon, wie es sich anfühlt, zu Beginn dieses Jahrtausends in den amerikanischen Südstaaten aufzuwachsen. "Boyhood" gehört zweifellos zu den bisher stärksten Wettbewerbsbeiträgen und hat gute Aussichten, am Samstag einen Preis zu gewinnen.
In der Sektion Panorama lief die US-Dokumentation The Dog. Sie zeichnet den Lebensweg von John Wojtowicz nach, der 1972 mit einem Banküberfall berühmt wurde, mit dem er Geld für die Geschlechtsumwandlung seines transsexuellen Freundes erbeuten wollte. Der überaus laienhaft ausgeführte Überfall, endete für den ehemaligen konservativen Vietnamveteranen, der sich in nur wenigen Jahren zum Aktivisten für Schwulenrechte gewandelt hatte, direkt im Gefängnis, brachte aber dennoch das Geld für die Geschlechtsumwandlung ein. Die Geschichte diente Sidney Lumet 1975 als Vorlage für dessen Thriller Hundstage. Der erste Teil der Dokumentation berichtet von Wojtowicz' erstaunlicher innerer Wandlung und von dem missratenen Überfall und ist recht amüsant. Der 2. Teil widmet sich der Zeit von Wojtowicz' Inhaftierung und den auf die Haft folgenden Jahren und fällt deutlich ab. Einige Minuten weniger wären hier mehr gewesen.
Freunde des makaberen, spröden Humors sei die Verfilmung von Jonas Jonassons Bestseller Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand ans Herz gelegt, die in der Reihe Berlinale Special lief: Der Schwede Allan Karlsson folgt dem Rat seiner jung verstorbenen Mutter und beschließt, seinem Leben zu seinem hundertsten Geburtstag noch einmal eine neue Richtung zu geben, indem er heimlich aus dem Fenster seines Altersheims verschwindet. Mehr zum Inhalt zu verraten würde den Genuss seiner skurrilen Abenteuer trüben, daher nur so viel: Vor Allans Fenster beginnt eine Reise, von der Forrest Gump träumen könnte, wenn Emir Kusturica seine Träume inszenieren würde... ein witziger Lichtblick der – wie üblich – eher schwermütigen Berlinale-Beiträge.