Ein erstes Highlight des Tages war die skandinavische Koproduktion "Kraftidioten" von Hans Petter Moland. Die in Norwegen spielende Krimikomödie mit dem sehr sprechenden englischen Titel "In Order of Disappearance" zeichnet sich durch typisch nordischen rabenschwarzen Humor aus. Nils (Stellan Skarsgård) ist ein Paradebeispiel für einen vollkommen in Norwegen integrierten Einwanderer. Mit mächtigen Schneepflügen hält er die Wege und Bergpässe in der unwirtlichen norwegischen Winterlandschaft frei. Als ihn die Nachricht ereilt sein Sohn sei an einer Überdosis Heroin gestorben, glaubt er nicht an diese offizielle Todesursache. Er fängt an eigene Nachforschungen anzustellen und sich zu einem geheimnisvollen, gefürchteten Rächer in der Unterwelt zu entwickeln. Schließlich hat Nils mit den Machenschaften sowohl der norwegischen, als auch der serbischen Mafia (mit Bruno Ganz als "Papa"!) zu kämpfen. "Kraftidioten" ist kein Wunder an filmischer Innovation, aber nach vielen eher slapstickartigen skandinavischen Krimikomödien, ist dies endlich wieder ein rundum gelungenes Exemplar des Genres. Der Film ist langsam und hart und der Humor extrem trocken und böse. Deshalb ist es kein Wunder, dass es im Publikum erst viele Lacher und am Ende einen anständigen Applaus gab.
Im Wettbewerb lief auch "Aimer, boire et chanter" ("Life of Riley"), der neue Film des Altmeisters Alain Resnais. Der Film ist die bereits dritte Adaption eines Theaterstücks des britischen Autors Alan Ayckbourn durch den französischen Regisseur. Mitten in die Proben zu einem Theaterstück, das Colin und Kathryn mit ihrer Amateurgruppe aufführen wollen, platzt die Nachricht dass ihr Freund George nur noch wenige Monate zu leben hat. Diese schlechte Neuigkeit sorgt sowohl bei Georges Freunden, als auch bei seiner Frau und weiteren Damen für große Bestürzung. Resnais hat die Theaterthematik visuell innovativ umgesetzt. Auf eine gefilmte Anreise zu einem Haus eines der mit George in Verbindung stehenden Ehepaare, folgt eine farbige Zeichnung des Gebäudes. Alle gespielten Szenen finden in hochstilisierten Kulissen statt, die zu einem Teil einen Ausschnitt des jeweiliges Hofes oder Hauses nachbilden, während die Wände nur aus farbigen Stoffbahnen bestehen, die an Theatervorhänge erinnern. Ein weiterer Clou ist, dass George selbst während der gesamten Handlung niemals ins Bild kommt. Man lernt die Hauptperson des Films folglich nur über die Reaktionen kennen, die er bei seinen Freunden auslöst. Das klingt leider alles wesentlich interessanter, als es tatsächlich ist. Der gut gefüllte Saal begann sich noch während der Vorführung sichtlich zu leeren und zwischenzeitlich waren sowohl mein linker, als auch mein rechter Sitznachbar am Schlafen. Kein Wunder, denn dieser Film ist unnötig verkünstelt und darüber hinaus zu großen Teilen schlicht langweilig.
Schließlich lief im Wettbewerb noch die chinesisch französische Produktion "Tui Na" ("Blind Massage"). Der Film handelt von dem jungen, nach einem Unfall erblindeten Ma, der sich in einer Massageschule für Blinde ausbilden lässt und dort andere (Halb-)Blinde kennenlernt. Leider ist der Film sehr dialoglastig, und da chinesisch sehr schnell gesprochen wird, war es schwer den deutschen Untertiteln vollständig zu folgen. Auffallend ist die wenig schmeichelhafte Darstellung der Männer als notgeile Belästiger mit Hang zu melodramatischen Selbstverletzungen und weinerlichem Selbstmitleid. Die Frauen erscheinen als reine Verfügungsmasse, die sich wahlweise ihren Eltern oder ihren Männer fügen und sogar so dumm sind, sich ausgerechnet in ihre Belästiger zu verlieben. Optisch und akustisch ist der Film recht gelungen. Häufig versucht Regisseur (Es ist ein Fehler aufgetreten) filmisch nachzuempfinden, wie seine Protagonisten sehen. Nicht alle Figuren sind von Geburt an komplett blind, viele haben eine Restsehkraft. Diese wird mit partiellen Unschärfen, geringer Tiefenschärfe und ähnlichen Spielereien imitiert. Auch die Tonspur, die das Klackern der Blindenstöcke oder auch von Kastagnetten, extrem laut wiedergibt, dient der Erfahrbarmachung der verstärkten akustischen Wahrnehmung von Blinden. Der mäßige Applaus deutet darauf hin, dass dies insgesamt zu wenig war, um im Wettbewerb ernsthaft punkten zu können.
Rundum gelungen, aber auch sehr brutal und blutig, ist hingegen der ebenfalls chinesische "Mo Jing" ("Devil Within"), der im Panormama Special lief. Der Film dreht sich um einen Polizisten, der, ohne zu wissen wen er vor sich hat, einem verletzten Schwerverbrecher mit einer Blutspende das Leben rettet. Als er schließlich erfährt, wem er da das Überleben ermöglicht hat, löst das schwerste Schuldgefühle und ein obsessives Verhalten aus. Seine Emotionen spiegeln sich in der Kameraarbeit wider - so werden Kamerabewegungen beispielsweise schneller und ruckartiger, wenn er bei einer Schießerei nervös wird; wenn er wütend wird, färben sich die Bilder rot usw.
In der Berlinale Special Gala lief "A Long Way Down", die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Nick Hornby: Vier Menschen treffen sich in der Neujahrsnacht auf einem Londoner Hochhaus, um von dort aus ungestört in den Tod zu springen. Doch dann beschließen sie bis zum Valentinstag mit gegenseitiger Unterstützung am Leben zu bleiben. Was bereits im Roman ab diesem Punkt reichlich konstruiert wirkt, ist im Film sogar noch unplausibler, da sich trotz der Extremsituation zunächst kaum eine menschliche Beziehung zwischen den Charakteren entwickelt. Aaron Paul spielt eine cleane, oberflächliche Version seines "Breaking Bad"-Charakters Jesse Pinkman, dessen Grund für den Selbstmordversuch nie ganz geklärt wird. Toni Collettes Talent verschenkt der Film mit ihrer oft comicartigen Figur fast völlig, während Pierce Brosnan die gesamte Bandbreite seines Könnens - etwa anderthalb besorgte Gesichtsausdrücke - zeigt. Bleibt Imogen Poots als reiche Göre Jess, die dank ihres ungehemmten Humors die sympathischste Protagonistin des Films ist.
Ebenfalls in der Berlinale Special Gala lief "Two Faces of January", das Regiedebüt von Hossein Amini, dem Drehbuchautor von "Drive". Doch gerade der rechte Drive geht dieser müden Hitchcock-Hommage vollkommen ab. Dabei punktet die Verfilmung einer Patricia-Highsmith-Geschichte zunächst mit dem stilechtem Setting im Griechenland der 60er-Jahre und dem an Hitchcocks Stammkomponist Bernhard Hermann angelehnten Soundtrack von Alberto Iglesias. Doch selbst das aus Viggo Mortensen, Oscar Isaac und Kirsten Dunst bestehende Protagonistentrio kann nicht verhindern, dass einem die gut 90-minutige Laufzeit schnell wie zwei Stunden vorkommt. Das lächerliche Ende verdirbt endgültig den Gesamteindruck, der bis dahin immerhin noch lauwarm war. Applaus blieb bei diesem Film folgerichtig ganz aus.
Ein weiterer Film, der innerhalb der Berlinale Special Gala lief zeigte, dass französische Filme, die als Zentrum ihrer Handlung den Innenhof eines Hauses haben, im Gegensatz zu Resnais' "Aimer, boire et chanter" durchaus gelungen und unterhaltsam sein können. Pierre Salvadoris Tragikomödie "Dans la cour" verbindet skurrilen Humor mit Tiefsinn und einer großen Menschlichkeit. Der Film zeigt wie der Musiker Antoine in einer Lebenskrise alles hinschmeißt und einen Job als Hausmeister in einem Pariser Wohnhaus annimmt. In dem Hinterhof lernt er die skurrilen Bewohner kennen und trotz seiner depressiven Neigung auch aus sich heraus zu kommen. Mit der Zeit zeigt sich immer mehr, dass auch die meisten anderen Bewohner mit verschiedenartigen Ängsten, Sorgen, Neurosen und weiteren psychologischen Problemen zu kämpfen haben. "Dans la cour" ist ein so schöner, wie humaner Film. Entsprechend groß war der Applaus des Publikums.
Der 5. Berlinale-Tag war durch viel Licht und viel Schatten gekennzeichnet. Langeweile kam so keine auf.