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Nymphomaniac Vol.1 - Shia LaBeouf - Nymph()maniac...inale
Nymphomaniac Vol.1 - Shia LaBeouf - Nymph()maniac Premiere auf der 64. Berlinale
© 2014 Concorde Filmverleih GmbH

Berlinale 2014 - Tag 4

Christlicher Fundamentalismus und Nymphomanie

Am Sonntag hielt das Wettbewerbsprogramm zwei Filme bereit, die thematisch kaum weiter entfernt sein könnten - und überraschenderweise doch einiges gemein haben. Eingeläutet wurde der 4. Berlinale-Tag von Dietrich Brüggemanns Drama "Kreuzweg", das in 14 nach den Stationen des Kreuzwegs benannten Kapiteln von der tiefreligiösen 14-Jährigen Maria erzählt, die mit ihren drei jüngeren Geschwistern in einer Familie christlicher Fundamentalisten aufwächst. Beeinflusst von ihrer strengen, kalten Mutter und dem Pfarrer ihrer fundamental-katholischen Gemeinde entwickelt das Mädchen (grundlos) Schuldgefühle und steigert sich in den Wahn hinein, sich für den kranken Bruder aufopfern zu müssen. Gedreht in nahezu schnittfreien statischen Einstellungen wirkt das Drama spröde, ist aber dank hervorragender Darstellerleistung (inbesondere von der 14-Jährigen Newcomerin Lea van Acken in der Hauptrolle) umso eindringlicher und erntete bei der Pressevorführung entsprechend viel Applaus.

Es folgte Lars von Triers schon vor Veröffentlichung zum Skandalfilm erklärter "Nymphomaniac Vol.1", der aus dem Leben einer Nymphomanin erzählt. In der gezeigten ungeschnittenen Festivalversion enthält der Film tatsächlich einige pornographische Szenen, hauptsächlich aber erzählt er von den Schuldgefühlen, die die von der kalten Mutter allein gelassene Protagonistin wegen ihrer sexuellen Obsession plagen. Dabei ist der Film keinesfalls so düster wie man es von einem Lars-von-Trier-Film erwarten würde, sondern enthält, ganz im Gegenteil, einige brüllend komische, schwarz-humorige Szenen (z.B. von der großartigen Uma Thurman). Von der versammelten Journalisten-Schar gab es dennoch weniger Applaus als zuvor für "Kreuzweg". Die Pressekonferenz hingegen war komplett überfüllt - was Regisseur von Trier dazu veranlasste, fern zu bleiben, während es Nebendarsteller Shia LaBeouf die offenbar hochwillkommene Gelegenheit gab, sein Image als durchgeknallter Star weiter zu pflegen. Auf eine harmlose Frage (die erste, die überhaupt direkt an ihn gerichtet wurde) antwortete er mit einem Zitat von Ex-Fußballer Eric Cantona: "Wenn die Möwen dem Fischkutter folgen, tun sie das, weil sie glauben die Sardinen werden wieder ins Meer geworfen" - und verließ anschließend die Bühne. Bei der späteren Premiere stolzierte er schließlich mit einer Papiertüte mit der Aufschrift "I'm not famous anymore" über dem Kopf über den roten Teppich.



Der dritte und letzte Wettbewerbsfilm des Tages war der in Argentinien spielende "Historia del miedo" (History of Fear). Der Debütfilm des 1986 in Argentinien geborenen und in Argentinien und Frankreich ausgebildeten Regisseurs Benjamin Naishtat war nicht nur der kürzeste, sondern fraglos auch der schlechteste Wettbewerbsbeitrag des Tages. In etwas unmotiviert aneinandergereihten Szenen erzählt der Film von der absurden Paranoia der wohlhabenden Bewohner einer "Gated Community", die, bewacht von bewaffneten Sicherheitsmännern und verbarrikadiert hinter hohen Zäunen, schon von einem stinknormaler Stromausfall in Panik versetzt werden.

Weiterhin waren heute unter anderem zu sehen:
Der irisch-britische Krimi "Am Sonntag bist du tot" (Panorama Special) - ein teils trauriger, teils lakonischer und leicht zynischer Film über Schuld, Vergeltung und die Rolle der katholischen Kirche im irischen Dorfleben. Vater James Lavelle (Brendan Gleeson) wird im Beichtstuhl sein Mord angekündigt – für ein Verbrechen, das er nicht begangen hat. Tatsächlich ist er in seinem Dorf im Schatten des Benbulbin der gute Hirte in einer Herde von schwarzen Schafen. Wer ihn umbringen will, dürfte durch die charakteristische Stimme jedem sofort klar sein, ist aber eigentlich nicht allzu wichtig. Unterschwellige Aggressionen kommen ihm schließlich von allen Gemeindemitgliedern entgegen, denen wir im Laufe des Filmes begegnen. Der Film wirft ein paar interessante Fragen auf - kann man sich berufen fühlen, grauenhafte Sünden anderer auf sich zu nehmen? Kann man für das Seelenheil von Menschen hoffen, die sich absolut unmenschlich verhalten? Leider zeigt sich John Michael McDonaghs Nachfolger von "The Guard - Ein Ire sieht schwarz" in seiner Tonart ziemlich inkonsequent. Im ersten Drittel mischt der Regisseur den schockierenden Ereignissen stetig Galgenhumor und ein paar smarte Statements bei. Zum Schluss wird es dann in einigen Momenten zu sentimental. Nichtsdestotrotz ist "Calvary" ein sehenswerter, inspiriert besetzter - die Comedy-Stars Dylan Moran ("Black Books") und Chris O'Dowd ("The IT Crowd") spielen bitterernste Rollen - Film.

Michel Gondrys Dokumentation eines Gesprächs mit dem berühmten amerikanischen Sprachwissenschaftler Noam Chomsky, "Is the Man Who Is Tall Happy?" (Panorama Dokumente). Animierte Skizzen Gondrys illustieren, was von dem Gesagten beim Regisseur ankommt bzw. welche Assoziationen er damit verknüpft. Das ist sehr oft skurril und auch schön - sofern man sich für die behandelten Theorien interessiert. Was Chomsky zu sagen hat ist schwerer Stoff, seine Gedanken berühren die Erkenntnistheorie und die Wissenschaftstheorie. Ein Film für einen entspannten Abend ist die Doku deshalb nicht unbedingt.

Und schließlich, in der der Sektion Berlinale Special der auf einer lyrischen Kurzgeschichtensammlung basierende, von 18 Regisseuren, Schauspielern, Animationsfilmern und Performern inszenierte australische Episodenfilm "The Turning", der leider nicht überzeugen konnte. Zwar sind zumindest einige Episoden für sich genommen nicht schlecht - doch ist die Masse schlicht erschlagend. So hielten in der Pressevorführung denn auch allenfalls 1/3 der Zuschauer die 3 Stunden (!) Laufzeit durch.

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