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Blinder Fleck (2025)
Dokumentarfilm über organisierten rituellen Missbrauch in DeutschlandKritiker-Film-Bewertung:User-Film-Bewertung :
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Bei der Aufarbeitung (institutioneller) sexueller Gewalt ist in den letzten Jahren zweifellos vieles passiert. Es gibt aber auch den Bereich organisierter ritueller Gewalt, der für viele Gesellschaften weiterhin ein großes Tabuthema darstellt, aus unterschiedlichen Gründen. "Blinder Fleck" möchte hier für Aufklärung sorgen.
"Ritualisierte Gewalt" beschreibt in der Regel von durch Tätergruppen ausgeübte, geplante Gewaltakte, die oft sexuellen Missbrauch und Folter umfassen. Sie finden im Kontext (pseudo-)religiöser Rituale statt, zu den Opfern zählen nicht selten Kinder. Viele der Taten sind so grausam und unfassbar, dass den Betroffenen Unglauben entgegenschlägt. "Blinder Fleck" nähert sich dem Themenkomplex über Berichte von (ehemaligen) inzwischen erwachsenen Opfern und bittet Fachleute aus verschiedenen Professionen um eine Einordnung.
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Filmkritik
Gesellschaften sind durchdringen von Tabus, die sie vielleicht auch brauchen, um als Kollektiv existieren zu können. Höchst problematisch wird es dann, wenn diese Tabus dazu führen, dass große und relevante Bereiche der Wirklichkeit ausgeblendet werden. Klassischerweise umfassen diese Tabus gerade Themen, die besonders sensibel sind und/oder kollektiv verbreitete, in der Gesellschaft fest verankerte Vorstellungen herausfordern: Ein typisches Beispiel ist sexueller Missbrauch in Kirchen, der jahrzehntelang tabuisiert und unter den Teppich gekehrt wurde. Hier kamen institutionelle Macht, ein sensibles Thema und die für viele undenkbare Vorstellung, dass "Gottesmänner" zu Bösem fähig sind, zusammen.
"Blinder Fleck" blickt auf den in der Öffentlichkeit oft unterrepräsentierten und gewissermaßen auch tabuisierten Bereich ritueller Gewalt: Die Verbrechen, um die es hier geht, sind nicht selten so schlimm, dass es für viele Menschen angenehmer ist, sie auszublenden. Es geht dabei etwa um religiöse Kulte, die gezielt Kinder entführen, gefügsam machen und sie für rituelle (oft auch sexuelle) Zwecke ausbeuten.
Die Folgen für viele Opfer sind dramatisch: Alle Interviewpartnerinnen (nur Frauen wurden gefragt) berichten von einer dissoziativen Identitätsstörung (früher: "Multiple Persönlichkeitsstörung) als Folge ihrer Erfahrungen, was durch Psychologen und Therapeuten untermauert wird. Hier ist zum einen schade, dass männliche Opfer nicht zu Wort kommen. Zum anderen ist die implizierte, verallgemeinerte Aussage, "alle Opfer ritueller Gewalt entwickeln eine DIS" falsch: Wie menschliche Organismen und Personen auf traumatische Erfahrungen reagieren, ist individuell und hängt von vielen Faktoren ab. Bei besonders schwerwiegenden Traumatisierungen im Kindesalter ist die Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung zwar wahrscheinlich, die schwerwiegendste Form einer Traumafolgestörung wie die dissoziative Identitätsstörung aber nicht die Regel. Die Betroffenen in "Blinder Fleck" vermitteln hingegen ein sehr homogenes Opfer-Bild.
Was "Blinder Fleck" hingegen gut macht, ist die Abbildung verschiedener (fachlicher) Perspektiven auf das Problem, die auch illustriert, warum es Opfer ritueller Gewalt so schwer haben: Einerseits klären Psychiater und Therapeuten über die Spaltungsmechanismen im Gehirn auf, in denen sich Traumata manifestieren. Man müsse "Kindern glauben" und dürfe Geschichten über grausame "Kapuzenmänner" (als ein Beispiel) nicht als Spinnerei oder überbordende Fantasie abtun, so die zentrale Message.
Andererseits berichtet aber auch ein ehemaliger Ermittler darüber, dass er Zweifel ob der Geschichten Betroffener hegt(e), da er in einem konkreten Fall von Ermittlungen schlicht keine Beweise für die Aussagen eines Opfers finden konnte. Und daher dazu tendierte, nicht zu glauben - ein großes Problem. Ein Polizist, der anonym bleiben will, berichtet außerdem, dass man von Kollegen schnell gemobbt und ausgegrenzt werde, wenn man Betroffenen mit besonders "schlimmen" Geschichten Glauben schenkt, man wäre "zu persönlich involviert", hieße es dann. Täter würden geschützt, Opfer ignoriert. Es scheint für viele einfacher, das Unfassbare als Lüge darzustellen, als dessen Tatsächlichkeit anzuerkennen. Womit sich der Kreis zum Thema Tabu schließt.
Fazit: "Blinder Fleck" ist zugute zu halten, eine Diskussion über ein relevantes, wichtiges Thema anzustoßen und zu öffnen. Der Film plädiert für Empathie, genaues Hinschauen und Zuhören und dafür, gerade Kindern, die Schutz und Hilfe brauchen, immer zu glauben. Zugleich ist das gezeichnete Bild gerade in Bezug auf die Psychopathologie von Opfern ritueller Gewalt etwas verkürzt und unvollständig.
Christian Klosz
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Besetzung & Crew von "Blinder Fleck"
Land: DeutschlandJahr: 2025
Genre: Dokumentation
Länge: 80 Minuten
Kinostart: 24.04.2025
Regie: Liz Wieskerstrauch
Darsteller: Alina Levshin, Axel Petermann
Kamera: Jürgen Heck
Verleih: Flemming Postproduktion
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