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FBW-Bewertung: Flow (2024)

Prädikat besonders wertvoll

Jurybegründung: Der Animationsfilm FLOW von Gints Zilbalodis ist ein beeindruckendes Werk, das mit seiner visuellen und erzählerischen Kraft einen universellen Appell für Gemeinschaft und Zusammenhalt richtet. Über 85 Minuten entfaltet sich ohne ein gesprochenes Wort eine fesselnde Fabel, die nicht nur durch ihre eindrucksvolle Animation und ihr starkes Sounddesign überzeugt, sondern auch durch ihre tiefgreifenden Themen von Umweltzerstörung, Vergänglichkeit und zwischenmenschlichen Beziehungen.
Die Handlung beginnt mit einer katastrophalen Flut, die die Heimat der Hauptfigur ? einer Katze ? zerstört. Als Einzelgänger wider Willen sucht sie Zuflucht auf einem Boot, das von verschiedenen Tieren bewohnt wird. Diese Tiere, deren Verhalten menschliche Charakterzüge widerspiegelen, müssen lernen, ihre Unterschiede zu überwinden und als Gemeinschaft zu agieren. Dabei navigieren sie durch mystische, überflutete Landschaften, die die Überreste einer lange vergangenen menschlichen Zivilisation offenbaren ? Kunstwerke, Ruinen und Alltagsgegenstände. Diese Relikte schaffen eine melancholische Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart und verstärken die Themen von Vergänglichkeit und Überleben.
FLOW nutzt die Mittel eines mit einer Games-Engine hergestellten Animationsfilms auf meisterhafte Weise. Die bewusst abstrahierten Figuren stehen in starkem Kontrast zu den fotorealistischen Hintergründen, was eine Balance zwischen emotionaler Identifikation und kritischer Distanz ermöglicht. Diese Kontraste unterstreichen die narrative Tiefe und verhindern, dass das Publikum vollkommen in die künstliche Welt eintaucht, wodurch ein reflektiertes Seherlebnis gefördert wird. Gleichzeitig bietet der Film zahlreiche visuelle Details, die auch beim wiederholten Ansehen neue Aspekte offenbaren ? etwa das Boot, das zu Beginn bereits in den Bäumen hängt, oder die subtilen Veränderungen in den Landschaften.
Die musikalische Gestaltung mit einem elektronischen Score betont die fantasievollen Elemente des Films und verstärkt die emotionale Wirkung der Geschichte. Die Kombination von Ton- und Bildebene schafft ein immersives Erlebnis, das die Zuschauer:innen auf eine meditative Reise mitnimmt. Die bewusste Entscheidung für diese ästhetische Herangehensweise macht FLOW zu einer formal wie inhaltlich beeindruckenden Perle der europäischen Filmkunst.
Die Erkundung grundlegender Konflikte wie Neid, Freundschaft und das Recht des Stärkeren verleiht dem Film eine politische Dimension, die sowohl Kinder als auch Erwachsene anspricht. FLOW gelingt das Kunststück, niemanden zu bevormunden oder auszuschließen, wodurch der Film für alle Zielgruppen geeignet ist. Die biblischen Anspielungen, wie die Parallelen zur Arche Noah, sowie der Bezug auf aktuelle Themen wie den Klimawandel und die Folgen von Staudamm-Projekten verleihen dem Werk eine zeitlose und zugleich hochaktuelle Relevanz.
Besonders hervorzuheben ist die Entscheidung, auch weniger bekannte Tierarten einzusetzen, was die Konventionen klassischer Tierfabeln bricht und die universelle Botschaft des Films unterstreicht. Die Katze als Hauptfigur ist nicht nur ein sympathischer Protagonist, sondern auch eine kraftvolle Metapher für den Einzelnen in einer globalisierten Welt: Wir müssen lernen, zusammenzuarbeiten, um Herausforderungen zu überwinden und eine (gemeinsame) Zukunft zu gestalten.
Mit FLOW setzt Gints Zilbalodis einen neuen Maßstab für das lettische Kino und das Animationsgenre insgesamt. Die Weltpremiere in Cannes und der Gewinn beim Europäischen Filmpreis unterstreichen die internationale Strahlkraft des Films. FLOW ist ein seltenes Juwel, das sowohl durch seine technische Perfektion als auch durch seine tiefgehenden Themen besticht und einen bleibenden Eindruck hinterlässt.
Die Jury zeichnet FLOW einstimmig mit dem Prädikat "besonders wertvoll? aus.



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