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FBW-Bewertung: Juror #2 (2024)

Prädikat wertvoll

Jurybegründung: Clint Eastwoods 42. Film JUROR #2 stellt sich einer Reihe großer, ethischer Fragen: Kann sich ein Mensch zum Guten verändern? Was bedeuten Schuld und Vergebung im Kontext der Justiz? Und zu welchem Preis wird Gerechtigkeit erlangt? In diesem klassischen Gerichtsdrama kehrt Eastwood in ein zeitloses, symbolisches Amerika zurück und beschäftigt sich mit dem Thema eines Femizids, der auf einem weiteren grundlegenden moralischen Konflikt beruht.
Die Exposition führt das Publikum in einen Mordfall ein, in dem der Geschworene Justin (Nicholas Hoult) während einer Risikoschwangerschaft seiner Frau (Zoey Deutch) zur Teilnahme an der Verhandlung berufen wird. Der Fall dreht sich um den Angeklagten James Style (Gabriel Basso), der behauptet, seine Freundin nicht ermordet zu haben. Im Verlauf des Prozesses entfaltet sich eine dynamische Beziehung zwischen den beiden Hauptfiguren, der ehrgeizigen Staatsanwältin Killebrew (Toni Collette) und dem ehemaligen Trinker Justin, die beide auf ihre Weise in moralische Konflikte geraten.
Eastwood gelingt es, mit einer effizienten Exposition das Publikum in ein breites Ensemble von Charakteren einzuführen. Dabei werden die menschlichen Schwächen und Ideale der Figuren geschickt beleuchtet. Killebrew ist eine machtbewusste Frau, die sich für ein sichereres Amerika einsetzen möchte, während Justin sich mit seinem eigenen Gewissen auseinandersetzt. Die Spannung zwischen den beiden ? zwischen einem Mann, der mit seiner Vergangenheit kämpft, und einer Frau, die auf die Macht hinarbeitet ? ist eines der tragenden Elemente des Films. Besonders bemerkenswert sind die Szenen zwischen den Geschworenen, in denen Eastwood ein faszinierendes gesellschaftliches Mosaik amerikanischer Werte und Konflikte entfaltet. Diese Szenen tragen den zentralen moralischen Diskurs des Films, die Frage, wem wir Rechenschaft schuldig sind ? uns selbst oder einer höheren Instanz?
Trotz der hohen Qualität in der Darstellung und Inszenierung der Charaktere lässt die Spannung des Films nach der frühen Offenbarung von Justins Beteiligung am Fall merklich nach. Ab der Mitte des Films zeigt das Drehbuch von Jonathan Abrams für die Jury deutliche Schwächen. Es wird offensichtlich, dass JUROR #2 eine sehr traditionelle Annäherung an das Gerichtsdrama wählt, ohne wesentliche Neuerungen oder Risiken einzugehen, was in Anbetracht des hochklassigen Casts und der vielversprechenden Ausgangslage als verschenktes Potenzial betrachtet wird. Auch die plötzliche Wendung um den Charakter des pensionierten Polizisten Harold, gespielt von J.K. Simmons, wirkt für die Jury ein wenig zu abrupt.
Inhaltlich erscheint der Film an einigen Stellen nicht mehr ganz zeitgemäß ? insbesondere in der Darstellung von Justins Frau Allison, deren Charakterzeichnung auf veralteten Stereotypen zu beruhen scheint. Dies trägt zur Entfremdung der Zuschauer:innen bei und schwächt das emotionale Engagement für die Figuren.
Am Ende, so die Ansicht der Jury, fehlt dem Film die notwendige Stringenz und Glaubwürdigkeit des Plots, um das Publikum wirklich in das moralische Dilemma der Charaktere hineinzuziehen. Die finale Auflösung, die beinahe nüchtern abgehandelt wird, steht im Gegensatz zur emotionalen Fallhöhe, die der Film zuvor aufgebaut hat.
Aufgrund der inszenatorischen Qualität und des gesellschaftskritischen Anliegens des Films und in Abwägung aller aufgeführten Argumente vergibt die Jury das Prädikat ?wertvoll?.



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