Die Saat des heiligen Feigenbaums (2024)
Daneh Anjeer Moghadas
Iranisches Drama, das die aktuelle politische Lage des Landes mit dem Konflikt innerhalb einer Familie verflicht.Kritiker-Film-Bewertung:User-Film-Bewertung :
Filmsterne von 1 bis 5 dürfen vergeben werden, wobei 1 die schlechteste und 5 die beste mögliche Bewertung ist. Es haben bislang 0 Besucher eine Bewertung abgegeben.
Der regimetreue Staatsdiener Iman (Missagh Zareh) wird zum Ermittlungsrichter am Revolutionsgericht in Teheran befördert. Zu seinem Schutz wird ihm eine Pistole ausgehändigt, die er fortan immer bei sich trägt und nachts in einer Schublade seines Nachttischs verwahrt.
Während Imans Frau Najmeh (Soheila Golestani) nun noch mehr auf das öffentliche Bild ihrer Familie bedacht ist und ihren beiden Töchtern Rezvan (Mahsa Rostami) und Sana (Setareh Maleki) einimpft, sich stets korrekt zu verhalten und nichts Unbedachtes auf Social-Media-Plattformen zu veröffentlichen, werden Rezvan und Sana von den landesweiten Protesten, die den Iran im Oktober 2022 erfassen, mitgerissen.
Als Imans Waffe spurlos verschwindet, ist der Familienvater zunächst ratlos, wen er des Diebstahls verdächtigen soll. Als sich sein Verdacht schließlich auf seine Ehefrau und seine Töchter richtet, greift er zu ungewohnten Mitteln, die schließlich in einen katastrophalen Roadtrip in Imans alte Heimat münden.
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Filmkritik
"Die Saat des heiligen Feigenbaums": Die Waffen der Frauen
Wer an politischen Filmen oder einfach nur an gutgemachten Dramen interessiert ist, kommt am iranischen Kino nicht vorbei. Zu dessen prominentesten und derzeit besten Vertretern zählt der 1972 geborene Regisseur Mohammad Rasoulof. Seine jüngsten drei Werke wurden allesamt bei großen Filmfestivals ausgezeichnet. "A Man of Integrity" erhielt 2017 in Cannes den Hauptpreis in der Sektion Un Certain Regard. "Doch das Böse gibt es nicht" wurde 2020 bei der 70. Berlinale mit dem Goldenen Bären bedacht. Und "Die Saat des heiligen Feigenbaums" gewann 2024 in Cannes gleich fünf Preise, darunter den Sonderpreis der Jury, der letzten Endes aber als eine Art Trostpreis gelten muss. Denn im internationalen Pressespiegel lag Rasoulofs Film vorn und galt somit als Favorit im Wettbewerb um die Goldene Palme.
Die hat bekanntlich der US-Amerikaner Sean Baker mit "Anora", einer an alte Screwballkomödien erinnernden Beziehungskiste über eine Sexarbeiterin, gewonnen. Dafür darf sich Rasoulof nun Chancen auf einen Oscar ausrechnen. Als regimekritisches Familien- und Gesellschaftsdrama geht "Die Saat des heiligen Feigenbaums" freilich nicht für den Iran ins Rennen um einen Oscar als Bester Internationaler Film, sondern für Deutschland. Möglich macht das die Tatsache, dass der Film von einer deutschen Produktionsfirma mitproduziert wurde. Weil darin allerdings kein Wort Deutsch gesprochen wird, die Handlung komplett im Iran spielt und vom Regisseur bis zu den Darstellern alle von dort stammen, stieß die Entscheidung, ausgerechnet diesen Film als Deutschlands Oscar-Beitrag auszuwählen, nicht einhellig auf Gegenliebe. Ungeachtet der Diskussionen und des Umstands, ob das Drama überhaupt für einen Oscar nominiert werden wird (was sich am 17. Januar 2025 entscheidet), ist dessen Qualität unbestritten.
Das Patriarchat wird begraben
Im Zentrum der Handlung steht eine symbolträchtig aufgeladene Waffe. Sie wird dem von Missagh Zareh gespielten Ermittlungsrichter und Familienvater Iman ausgehändigt, kommt ihm abhanden und wird schließlich – ganz im Sinne des Dramatikers Anton Tschechow (1860–1904) – im letzten Akt abgefeuert; allerdings ganz anders, als man zunächst vermuten könnte. Im übertragenen Sinn steht sie nicht nur für die Gewalt, die das iranische Regime gegenüber seinen Bürgern ausübt, sondern auch für die über Generationen tradierte Gewalt von Männern gegenüber Frauen. In einer Szenerie, die an den Italowestern erinnert und mit einem einprägsamen Schlussbild versehen, wird dieses überkommene Patriarchat in den Ruinen seiner eigenen Geschichte begraben. Zu diesem Zeitpunkt liegen beinahe drei Stunden aufwühlender Handlung hinter dem Kinopublikum.
Nicht perfekt, aber notwendig und dringlich
"Die Saat des heiligen Feigenbaums" ist weit davon entfernt, perfekt zu sein. Mit einer Laufzeit von 168 Minuten ist das Drama noch einmal 18 Minuten länger als "Doch das Böse gibt es nicht", dessen Handlung sich zudem auf vier Episoden verteilte. Ohne Längen kommt der Film folglich auch nicht aus. Das von Rasoulof selbst verfasste Drehbuch nimmt einen sehr langen Anlauf, bevor die Handlung zum Absprung ansetzt und das Publikum gebannt mitverfolgt, wo sie letztlich aufkommen wird. Und obwohl der Regisseur dieses Mal nur von einer einzigen Familie erzählt, wird er beim Erzählen den episodischen Charakter nicht los. Der als Hauptfigur eingeführte Iman kommt dem Film alsbald abhanden, je mehr er sich in seiner Arbeit verliert. Fortan geistert er nurmehr als leere Hülle durch die eigenen vier Wände. Derweil verschiebt Rasoulof den Fokus vom Familienoberhaupt auf die drei Frauen des Hauses, kann sich aber auch hier nie recht entscheiden, auf wen er sich konzentrieren will. Was dazu führt, dass nicht jede der von den Figuren getroffenen Entscheidungen überzeugt.
Dass die von Soheila Golestani verkörperte Mutter Najmeh beispielsweise ihre religiös-politischen Überzeugungen so einfach über Bord wirft, um ihren von Mahsa Rostami und Setareh Maleki gespielten, in die öffentlichen Proteste verwickelten Töchtern Rezvan und Sana beizustehen, kommt überraschend, ist aber noch nachvollziehbar. An der Volte, die das Drehbuch dann jedoch im letzten Akt schlägt, scheiden sich die Geister. Während die Solidarität unter den drei Frauen glaubwürdig erscheint, weil inzwischen auch Najmeh am eigenen Leib erfahren musste, dass das Regime keine Gefangenen macht, bleibt die Radikalisierung Imans die große Schwachstelle dieses Films. Mohammad Rasoulof lässt sein Publikum schlicht zu wenig in Imans Kopf blicken, um schlüssig zu erklären, wie aus einem eingangs durchaus kritisch gezeichneten Geist mit gerechtfertigten Gewissensbissen solch ein fanatischer Verfechter eines Unrechtsstaats werden konnte. Für das furiose Finale ist diese Entwicklung freilich unabdingbar.
Ein kleines Wunder
Trotz dieser Schwächen ist "Die Saat des heiligen Feigenbaums" ein unglaublich starkes Stück Kino. Dass es überhaupt zustande kam, grenzt an ein Wunder. Denn der Film wurde ohne Genehmigung im Verborgenen gedreht, weil Mohammad Rasoulof – wie so viele andere kreative Köpfe im Iran – mit einem Berufsverbot belegt ist. Kurz vor der Premiere in Cannes glückte Rasoulof zudem die Flucht aus dem Iran. Weil ihm dort eine Haftstrafe drohte, hat er sein Heimatland schweren Herzens verlassen.
Letzten Endes erzählt der Regisseur von all dem, von der Frustration über den Zustand des Irans, der von einer mächtigen alten Elite im Würgegriff gehalten wird, auf der einen Seite und auf der anderen Seite von der Hoffnung auf ein baldiges Ende dieser Elite, die sich aus den Protesten jüngerer Generation speist. Je weiter die mit langem Atem erzählte Handlung voranschreitet, desto heftiger wird ihr Sog. Der letzte Akt und das grandiose Finale verknüpfen das Politische und das Private mit einer Wucht und Dringlichkeit, die im zeitgenössischen Kino eine Seltenheit ist.
Fazit: Mohammad Rasoulof, der bereits mit "Auf Wiedersehen" (2011) und "A Man of Integrity" (2017) internationale Erfolge feierte, lässt seinem Meisterwerk "Doch das Böse gibt es nicht" (2020) ein weiteres folgen. Auch wenn nicht alles an diesem Drama, das die Politik mit dem Privaten untrennbar miteinander verflicht, durchweg überzeugend geschrieben ist, entwickelt die Handlung einen solchen Sog, dass "Die Saat des heiligen Feigenbaums" zu einer Pflichtlektüre des politischen Kinos gerät.
Wer an politischen Filmen oder einfach nur an gutgemachten Dramen interessiert ist, kommt am iranischen Kino nicht vorbei. Zu dessen prominentesten und derzeit besten Vertretern zählt der 1972 geborene Regisseur Mohammad Rasoulof. Seine jüngsten drei Werke wurden allesamt bei großen Filmfestivals ausgezeichnet. "A Man of Integrity" erhielt 2017 in Cannes den Hauptpreis in der Sektion Un Certain Regard. "Doch das Böse gibt es nicht" wurde 2020 bei der 70. Berlinale mit dem Goldenen Bären bedacht. Und "Die Saat des heiligen Feigenbaums" gewann 2024 in Cannes gleich fünf Preise, darunter den Sonderpreis der Jury, der letzten Endes aber als eine Art Trostpreis gelten muss. Denn im internationalen Pressespiegel lag Rasoulofs Film vorn und galt somit als Favorit im Wettbewerb um die Goldene Palme.
Die hat bekanntlich der US-Amerikaner Sean Baker mit "Anora", einer an alte Screwballkomödien erinnernden Beziehungskiste über eine Sexarbeiterin, gewonnen. Dafür darf sich Rasoulof nun Chancen auf einen Oscar ausrechnen. Als regimekritisches Familien- und Gesellschaftsdrama geht "Die Saat des heiligen Feigenbaums" freilich nicht für den Iran ins Rennen um einen Oscar als Bester Internationaler Film, sondern für Deutschland. Möglich macht das die Tatsache, dass der Film von einer deutschen Produktionsfirma mitproduziert wurde. Weil darin allerdings kein Wort Deutsch gesprochen wird, die Handlung komplett im Iran spielt und vom Regisseur bis zu den Darstellern alle von dort stammen, stieß die Entscheidung, ausgerechnet diesen Film als Deutschlands Oscar-Beitrag auszuwählen, nicht einhellig auf Gegenliebe. Ungeachtet der Diskussionen und des Umstands, ob das Drama überhaupt für einen Oscar nominiert werden wird (was sich am 17. Januar 2025 entscheidet), ist dessen Qualität unbestritten.
Das Patriarchat wird begraben
Im Zentrum der Handlung steht eine symbolträchtig aufgeladene Waffe. Sie wird dem von Missagh Zareh gespielten Ermittlungsrichter und Familienvater Iman ausgehändigt, kommt ihm abhanden und wird schließlich – ganz im Sinne des Dramatikers Anton Tschechow (1860–1904) – im letzten Akt abgefeuert; allerdings ganz anders, als man zunächst vermuten könnte. Im übertragenen Sinn steht sie nicht nur für die Gewalt, die das iranische Regime gegenüber seinen Bürgern ausübt, sondern auch für die über Generationen tradierte Gewalt von Männern gegenüber Frauen. In einer Szenerie, die an den Italowestern erinnert und mit einem einprägsamen Schlussbild versehen, wird dieses überkommene Patriarchat in den Ruinen seiner eigenen Geschichte begraben. Zu diesem Zeitpunkt liegen beinahe drei Stunden aufwühlender Handlung hinter dem Kinopublikum.
Nicht perfekt, aber notwendig und dringlich
"Die Saat des heiligen Feigenbaums" ist weit davon entfernt, perfekt zu sein. Mit einer Laufzeit von 168 Minuten ist das Drama noch einmal 18 Minuten länger als "Doch das Böse gibt es nicht", dessen Handlung sich zudem auf vier Episoden verteilte. Ohne Längen kommt der Film folglich auch nicht aus. Das von Rasoulof selbst verfasste Drehbuch nimmt einen sehr langen Anlauf, bevor die Handlung zum Absprung ansetzt und das Publikum gebannt mitverfolgt, wo sie letztlich aufkommen wird. Und obwohl der Regisseur dieses Mal nur von einer einzigen Familie erzählt, wird er beim Erzählen den episodischen Charakter nicht los. Der als Hauptfigur eingeführte Iman kommt dem Film alsbald abhanden, je mehr er sich in seiner Arbeit verliert. Fortan geistert er nurmehr als leere Hülle durch die eigenen vier Wände. Derweil verschiebt Rasoulof den Fokus vom Familienoberhaupt auf die drei Frauen des Hauses, kann sich aber auch hier nie recht entscheiden, auf wen er sich konzentrieren will. Was dazu führt, dass nicht jede der von den Figuren getroffenen Entscheidungen überzeugt.
Dass die von Soheila Golestani verkörperte Mutter Najmeh beispielsweise ihre religiös-politischen Überzeugungen so einfach über Bord wirft, um ihren von Mahsa Rostami und Setareh Maleki gespielten, in die öffentlichen Proteste verwickelten Töchtern Rezvan und Sana beizustehen, kommt überraschend, ist aber noch nachvollziehbar. An der Volte, die das Drehbuch dann jedoch im letzten Akt schlägt, scheiden sich die Geister. Während die Solidarität unter den drei Frauen glaubwürdig erscheint, weil inzwischen auch Najmeh am eigenen Leib erfahren musste, dass das Regime keine Gefangenen macht, bleibt die Radikalisierung Imans die große Schwachstelle dieses Films. Mohammad Rasoulof lässt sein Publikum schlicht zu wenig in Imans Kopf blicken, um schlüssig zu erklären, wie aus einem eingangs durchaus kritisch gezeichneten Geist mit gerechtfertigten Gewissensbissen solch ein fanatischer Verfechter eines Unrechtsstaats werden konnte. Für das furiose Finale ist diese Entwicklung freilich unabdingbar.
Ein kleines Wunder
Trotz dieser Schwächen ist "Die Saat des heiligen Feigenbaums" ein unglaublich starkes Stück Kino. Dass es überhaupt zustande kam, grenzt an ein Wunder. Denn der Film wurde ohne Genehmigung im Verborgenen gedreht, weil Mohammad Rasoulof – wie so viele andere kreative Köpfe im Iran – mit einem Berufsverbot belegt ist. Kurz vor der Premiere in Cannes glückte Rasoulof zudem die Flucht aus dem Iran. Weil ihm dort eine Haftstrafe drohte, hat er sein Heimatland schweren Herzens verlassen.
Letzten Endes erzählt der Regisseur von all dem, von der Frustration über den Zustand des Irans, der von einer mächtigen alten Elite im Würgegriff gehalten wird, auf der einen Seite und auf der anderen Seite von der Hoffnung auf ein baldiges Ende dieser Elite, die sich aus den Protesten jüngerer Generation speist. Je weiter die mit langem Atem erzählte Handlung voranschreitet, desto heftiger wird ihr Sog. Der letzte Akt und das grandiose Finale verknüpfen das Politische und das Private mit einer Wucht und Dringlichkeit, die im zeitgenössischen Kino eine Seltenheit ist.
Fazit: Mohammad Rasoulof, der bereits mit "Auf Wiedersehen" (2011) und "A Man of Integrity" (2017) internationale Erfolge feierte, lässt seinem Meisterwerk "Doch das Böse gibt es nicht" (2020) ein weiteres folgen. Auch wenn nicht alles an diesem Drama, das die Politik mit dem Privaten untrennbar miteinander verflicht, durchweg überzeugend geschrieben ist, entwickelt die Handlung einen solchen Sog, dass "Die Saat des heiligen Feigenbaums" zu einer Pflichtlektüre des politischen Kinos gerät.
Falk Straub
FBW-Bewertung zu "Die Saat des heiligen Feigenbaums"Jurybegründung anzeigen
Mahammad Rasoulofs Film lässt das Publikum in jedem Fall nicht unberührt. Mit beeindruckender Konsequenz und Intensität erzählt der iranische Regisseur in DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS vom Würgegriff der Diktatur und davon, wie er nicht nur [...mehr]TrailerAlle "Die Saat des heiligen Feigenbaums"-Trailer anzeigen
Besetzung & Crew von "Die Saat des heiligen Feigenbaums"
Land: Iran, Frankreich, DeutschlandWeitere Titel: The Seed of the Sacred Fig
Jahr: 2024
Genre: Drama, Krimi
Originaltitel: Daneh Anjeer Moghadas
Länge: 168 Minuten
Kinostart: 26.12.2024
Regie: Mohammad Rasoulof
Darsteller: Mahsa Rostami, Setareh Maleki, Niousha Akhshi, Missagh Zareh, Soheila Golestani
Kamera: Pooyan Aghababaei
Verleih: Alamode Film