Universal Language (2024)
In dieser kanadischen, auf Farsi gedrehten Tragikomödie verwebt Regisseur Matthew Rankin die eigene Familiengeschichte mit seinen Vorbildern aus dem iranischen Kino.Kritiker-Film-Bewertung:User-Film-Bewertung :
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In Kanada, genauer gesagt zwischen den Provinzen Manitoba und Québec, ereignet sich Kurioses. Mitten im verschneiten Winnipeg finden die Schwestern Negin (Rojina Esmaeili) und Nazgol (Saba Vahedyousefi), die beide die Grundschule besuchen, einen im Eis eingefrorenen Geldschein. Mit der Banknote könnten sie ihrem Mitschüler Omid (Sobhan Javadi) eine neue Brille kaufen. Seine alte wurde ihm von einem Truthahn gestohlen. Beim Versuch, den Schein aus dem Eis zu befreien, werden sie jedoch vom Touristenführer Massoud (Pirouz Nemati) in die Irre geführt.
Währenddessen kündigt der unglückliche Matthew (Matthew Rankin) weiter im Osten des Landes seinen frustrierenden Regierungsjob, um zurück nach Winnipeg zu reisen und seine Mutter zu besuchen. Während der Busfahrt heult ihm der Lehrer Iraj Bilodeau (Mani Soleymanlou) die Ohren voll. Zurück in der alten Heimat, erkennt Matthew diese kaum wieder. Schlimmer noch: Bei seiner Mutter eingetroffen, muss Matthew feststellen, dass sie ihn durch einen anderen Sohn ersetzt hat.
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Filmkritik
"Universal Language": Surreal durchs Schneegestöber
Eine bei Filmhistorikern beliebte These ist die der dichotomen Geburt des neuen Mediums. Noch im Kindbett hätte sich der Weg des soeben auf die Welt gekommenen Films in eine realistische und eine eskapistische Richtung gegabelt. Auf der einen Seite standen die Brüder August (1862–1954) und Louis Lumière (1964–1948), die das frühe Kinopublikum mit bewegten Bildern von Arbeitern beim Verlassen einer Fabrik oder eines in einen Bahnhof einfahrenden Zugs zum Staunen brachten. Auf der anderen Seite regte der Kinomagier Georges Méliès (1861–1938) mit seinen auf Zelluloid gebannten Zaubertricks und mit der an Jules Verne angelehnten "Reise zum Mond" (1902) das Publikum zum Träumen an. Ganz abgesehen davon, dass diese Dichotomie einer Überprüfung nicht standhält, mit am schönsten und zauberhaftesten vermag das Kino immer dann zu sein, wenn hinter all dem Eskapismus ein Fünkchen Realismus durchscheint.
Der neue Film des kanadischen Traumfabrikanten Matthew Rankin bietet genau das und noch weitaus mehr. Uraufgeführt wurde "Universal Language" im Mai 2024 bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes, wo er in der Nebenreihe Quinzaine des cinéastes lief und den erstmals ausgelobten Publikumspreis gewann. Was die Zuschauer an der Croisette so begeisterte, zeigt sich noch vor Filmbeginn. Es ist Rankins originelles Spiel mit Realität und Fiktion. Angeblich handelt es sich bei "Universal Language" um eine "Vorführung des Winnipeg-Instituts für die intellektuelle Entwicklung von Kindern und Jugendlichen", wie eine Einblendung vorgaukelt. Warum diese zudem auf Farsi verfasst ist, irritiert nur kurz. Denn was danach folgt, ist weder ein Dokumentarfilm noch ein Lehrfilm, sondern ein humoriges Hirngespinst höchster Güte, eine filmgewordene Phantasmagorie zwischen Teheran und Manitoba.
Große Fußstapfen in einer seltsamen Zwischenwelt
Matthew Rankin wurde 1980 in Winnipeg geboren und kann nicht ohne die zwei anderen surrealistischen Regisseure genannt werden, die wie er aus der Hauptstadt der kanadischen Provinz Manitoba stammen: John Paizs ("Crime Wave", 1985) und Guy Maddin ("The Saddest Music in the World", 2003; "My Winnipeg", 2007). Beider Einfluss auf Rankin ist nicht zu übersehen und schlägt sich bereits in Rankins Kurzfilmen nieder. Sein zweiter abendfüllender Spielfilm, der auf das Debüt "The Twentieth Century" (2019) folgt, speist sich hingegen vornehmlich aus einer anderen Inspirationsquelle: jenem Teil des iranischen Kinos, den Rankin als "metarealistisch" bezeichnet. Als Vorbilder nennt er Forugh Farrokhzad, Sohrab Shahid Saless, Abbas Kiarostami, Jafar Panahi sowie die Makhmalbaf-Familie.
Wie Rankin in einem Interview zu "Universal Language" verriet, reiste er am Anfang seiner Karriere in den Iran in der Hoffnung, bei einer der genannten Größen, die noch nicht das Zeitliche gesegnet hatten, in die Lehre zu gehen. Zwar wurde seine naive Hoffnung nicht erfüllt, sie beschert dem Kinopublikum dafür aber eines der surrealsten Erlebnisse der Filmgeschichte. Denn in Rankins Version seiner Heimatstadt sprechen die Bewohner Winnipegs Farsi und bezahlen mit Riel – wohinter einer der vielen subtilen Späße steckt, die nicht jeder Zuschauer auf Anhieb entdecken wird und die ein Wiedersehen dieses Films so lohnenswert machen. Auch wenn die Geldscheine auf Farsi bedruckt sind, stammen sie keineswegs aus dem Iran. Die dortige Währung heißt Rial. Der in Rankins Film verwendete Riel ist nach Louis Riel (1844–1885), einem rebellischen Führer der Métis, Politiker und Mitbegründer Manitobas, benannt. Dessen Porträt ziert nicht nur die Banknote, an die zwei Mädchen unter einer dicken Schicht Eises herankommen wollen, sondern auch das Klassenzimmer ihrer Grundschule. Matthew Rankin entführt sein Publikum in eine seltsame Zwischenwelt, die gleichermaßen irritiert und fasziniert.
Grenzüberschreitende Filmsprache
Die Geschichte mit dem Geldschein ist übrigens von einer wahren Begebenheit inspiriert. "Während der Großen Depression fanden meine Großmutter und ihr Bruder eine gefrorene Zwei-Dollar-Note auf einem Bürgersteig in Winnipeg", gab Rankin über den Entstehungsprozess seines Films zu Protokoll. Daraus hat er zusammen mit seinen zwei engen Freunden Pirouz Nemati und Ila Firouzabadi eine abenteuerliche Story gestrickt, die durch ihren "metarealistischen" Zauber mehr als nur ans iranische Kino erinnert. Die strenge Symmetrie und die Farbgebung der von Kamerafrau Isabelle Stachtchenko auf 16-mm-Film gedrehten Einstellungen, die ikonische Architektur der gezeigten Gebäude und der von den Figuren an den Tag gelegte lakonische Humor muten wie eine Kreuzung der Filme Wes Andersons und Aki Kaurismäkis an.
Trotz all dieser Bezüge und Verweise ist Matthew Rankin ein Film geglückt, der einzigartig und nie abgekupfert ist. Wie Rankin all die kuriosen Einzelteile, die auf den ersten Blick miteinander unvereinbar scheinen, am Ende zu einer befriedigenden Handlung zusammenfügt, ist traumhaft. Ganz so, wie sich diese tragikomische Seltsamkeit ohnehin wie ein filmischer Traum ausnimmt. Besser als der Regisseur selbst könnte man "Universal Language" kaum beschreiben: "eine Art autobiografische Halluzination". Höchstens so: ein wohlig-warmer Wintertraum, in dem geografische, temporäre und linguistische Grenzen so sehr verschwimmen, dass am Ende eine universelle Filmsprache dabei herauskommt.
Fazit: "Universal Language", der neue Film des Kanadiers Matthew Rankin, entführt sein Publikum in eine surreal anmutende Zwischenwelt, die irgendwo in Raum und Zeit zwischen Teheran und Winnipeg existiert. Dem 1980 geborenen Regisseur ist ein einzigartiges Filmerlebnis geglückt, ein humorig-herzerwärmendes Hirngespinst, eine tragikomische Phantasmagorie. Einen seltsameren Film werden Sie 2025 garantiert nicht im Kino sehen!
Eine bei Filmhistorikern beliebte These ist die der dichotomen Geburt des neuen Mediums. Noch im Kindbett hätte sich der Weg des soeben auf die Welt gekommenen Films in eine realistische und eine eskapistische Richtung gegabelt. Auf der einen Seite standen die Brüder August (1862–1954) und Louis Lumière (1964–1948), die das frühe Kinopublikum mit bewegten Bildern von Arbeitern beim Verlassen einer Fabrik oder eines in einen Bahnhof einfahrenden Zugs zum Staunen brachten. Auf der anderen Seite regte der Kinomagier Georges Méliès (1861–1938) mit seinen auf Zelluloid gebannten Zaubertricks und mit der an Jules Verne angelehnten "Reise zum Mond" (1902) das Publikum zum Träumen an. Ganz abgesehen davon, dass diese Dichotomie einer Überprüfung nicht standhält, mit am schönsten und zauberhaftesten vermag das Kino immer dann zu sein, wenn hinter all dem Eskapismus ein Fünkchen Realismus durchscheint.
Der neue Film des kanadischen Traumfabrikanten Matthew Rankin bietet genau das und noch weitaus mehr. Uraufgeführt wurde "Universal Language" im Mai 2024 bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes, wo er in der Nebenreihe Quinzaine des cinéastes lief und den erstmals ausgelobten Publikumspreis gewann. Was die Zuschauer an der Croisette so begeisterte, zeigt sich noch vor Filmbeginn. Es ist Rankins originelles Spiel mit Realität und Fiktion. Angeblich handelt es sich bei "Universal Language" um eine "Vorführung des Winnipeg-Instituts für die intellektuelle Entwicklung von Kindern und Jugendlichen", wie eine Einblendung vorgaukelt. Warum diese zudem auf Farsi verfasst ist, irritiert nur kurz. Denn was danach folgt, ist weder ein Dokumentarfilm noch ein Lehrfilm, sondern ein humoriges Hirngespinst höchster Güte, eine filmgewordene Phantasmagorie zwischen Teheran und Manitoba.
Große Fußstapfen in einer seltsamen Zwischenwelt
Matthew Rankin wurde 1980 in Winnipeg geboren und kann nicht ohne die zwei anderen surrealistischen Regisseure genannt werden, die wie er aus der Hauptstadt der kanadischen Provinz Manitoba stammen: John Paizs ("Crime Wave", 1985) und Guy Maddin ("The Saddest Music in the World", 2003; "My Winnipeg", 2007). Beider Einfluss auf Rankin ist nicht zu übersehen und schlägt sich bereits in Rankins Kurzfilmen nieder. Sein zweiter abendfüllender Spielfilm, der auf das Debüt "The Twentieth Century" (2019) folgt, speist sich hingegen vornehmlich aus einer anderen Inspirationsquelle: jenem Teil des iranischen Kinos, den Rankin als "metarealistisch" bezeichnet. Als Vorbilder nennt er Forugh Farrokhzad, Sohrab Shahid Saless, Abbas Kiarostami, Jafar Panahi sowie die Makhmalbaf-Familie.
Wie Rankin in einem Interview zu "Universal Language" verriet, reiste er am Anfang seiner Karriere in den Iran in der Hoffnung, bei einer der genannten Größen, die noch nicht das Zeitliche gesegnet hatten, in die Lehre zu gehen. Zwar wurde seine naive Hoffnung nicht erfüllt, sie beschert dem Kinopublikum dafür aber eines der surrealsten Erlebnisse der Filmgeschichte. Denn in Rankins Version seiner Heimatstadt sprechen die Bewohner Winnipegs Farsi und bezahlen mit Riel – wohinter einer der vielen subtilen Späße steckt, die nicht jeder Zuschauer auf Anhieb entdecken wird und die ein Wiedersehen dieses Films so lohnenswert machen. Auch wenn die Geldscheine auf Farsi bedruckt sind, stammen sie keineswegs aus dem Iran. Die dortige Währung heißt Rial. Der in Rankins Film verwendete Riel ist nach Louis Riel (1844–1885), einem rebellischen Führer der Métis, Politiker und Mitbegründer Manitobas, benannt. Dessen Porträt ziert nicht nur die Banknote, an die zwei Mädchen unter einer dicken Schicht Eises herankommen wollen, sondern auch das Klassenzimmer ihrer Grundschule. Matthew Rankin entführt sein Publikum in eine seltsame Zwischenwelt, die gleichermaßen irritiert und fasziniert.
Grenzüberschreitende Filmsprache
Die Geschichte mit dem Geldschein ist übrigens von einer wahren Begebenheit inspiriert. "Während der Großen Depression fanden meine Großmutter und ihr Bruder eine gefrorene Zwei-Dollar-Note auf einem Bürgersteig in Winnipeg", gab Rankin über den Entstehungsprozess seines Films zu Protokoll. Daraus hat er zusammen mit seinen zwei engen Freunden Pirouz Nemati und Ila Firouzabadi eine abenteuerliche Story gestrickt, die durch ihren "metarealistischen" Zauber mehr als nur ans iranische Kino erinnert. Die strenge Symmetrie und die Farbgebung der von Kamerafrau Isabelle Stachtchenko auf 16-mm-Film gedrehten Einstellungen, die ikonische Architektur der gezeigten Gebäude und der von den Figuren an den Tag gelegte lakonische Humor muten wie eine Kreuzung der Filme Wes Andersons und Aki Kaurismäkis an.
Trotz all dieser Bezüge und Verweise ist Matthew Rankin ein Film geglückt, der einzigartig und nie abgekupfert ist. Wie Rankin all die kuriosen Einzelteile, die auf den ersten Blick miteinander unvereinbar scheinen, am Ende zu einer befriedigenden Handlung zusammenfügt, ist traumhaft. Ganz so, wie sich diese tragikomische Seltsamkeit ohnehin wie ein filmischer Traum ausnimmt. Besser als der Regisseur selbst könnte man "Universal Language" kaum beschreiben: "eine Art autobiografische Halluzination". Höchstens so: ein wohlig-warmer Wintertraum, in dem geografische, temporäre und linguistische Grenzen so sehr verschwimmen, dass am Ende eine universelle Filmsprache dabei herauskommt.
Fazit: "Universal Language", der neue Film des Kanadiers Matthew Rankin, entführt sein Publikum in eine surreal anmutende Zwischenwelt, die irgendwo in Raum und Zeit zwischen Teheran und Winnipeg existiert. Dem 1980 geborenen Regisseur ist ein einzigartiges Filmerlebnis geglückt, ein humorig-herzerwärmendes Hirngespinst, eine tragikomische Phantasmagorie. Einen seltsameren Film werden Sie 2025 garantiert nicht im Kino sehen!
Falk Straub
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Besetzung & Crew von "Universal Language"
Land: KanadaJahr: 2024
Genre: Drama, Komödie
Länge: 89 Minuten
FSK: 6
Kinostart: 23.01.2025
Regie: Matthew Rankin
Darsteller: Matthew Rankin als Matthew, Pirouz Nemati als Massoud, Amir Amiri als Musiker 1, Faraz Anoushah Pour als Tourist 3, Bernard Arene als Pharmacist
Kamera: Isabelle Stachtchenko
Verleih: Rapid Eye Movies
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