FBW-Bewertung: Der Spitzname (2024)
Prädikat wertvoll
Jurybegründung: Lasst uns mal nicht über Probleme reden! Das nimmt sich Familie Böttcher-Wittmann-Berger-König vor, als sie in DER SPITZNAME unter der Regie von Sönke Wortmann zum dritten Teil der Namen-Trilogie zusammen kommen. Dieses Mal heiraten Anna (Janina Uhse) und Thomas (Florian David Fitz) in der höchst gelegenen Kapelle in den Alpen ? weniger geht für den smarten Geschäftsmann und das aufstrebende Starlet nicht. Die Familie ist in einem schicken Alpen-Chalet untergebracht, mit Sauna, Skilift und Roof-Top-Bar. Ein angemessen dekadentes Setting, um das Ensemble aufeinander loszulassen. Und natürlich dauert es nicht lange, bis verbal die Fetzen und der Vorsatz über Bord fliegen.Mit viel Genuss für das Publikum arbeiten sich die Familienmitglieder aneinander ab, kommentieren in geschliffenen Dialogen aktuelle Diskussionen in der Gesellschaft, von Klimawandel über das Gendern, Sensitivity-Trainings, Erziehung und Anglizismen, bis zum leidigen Geld und Rollenbildern des Erfolges. Selbstkritisch, selbstzersetzend, aber nicht abwertend gegenüber den Figuren. Diese sind mit erstaunlichem Wohlwollen gezeichnet und haben alle sehr menschlich-fehlerhafte Züge, in denen man Facetten des eigenen Selbst wiedererkennt ? ob man es zugeben mag oder nicht. Der Humor generiert sich eher aus dem Aufeinanderprallen von Positionen und Lebensmodellen, gepaart mit Missverständnissen und Geheimnissen.
Alle Figuren tragen ihr Herz auf der Zunge, das gehört zur Marke der Trilogie und zu Sönke Wortmanns Regie-Stil. In diesem Sinne ist DER SPITZNAME eine gelungene Fortsetzung. Er bleibt sich treu und bringt eine Gruppe zusammen, denen man einfach gerne zuschaut. Bei Erstkontakt mit der meinungsstarken Familie ist allerdings eine Portion Durchhaltevermögen gefragt. Eine flotte Exposition aus der Perspektive des abgehalfterten Literatur-Professors Stefan (Christoph Maria Herbst) soll Überblick verschaffen über das Personal und was bisher geschah. Das setzt zwar mit den lakonischen Kommentaren und einer gut choreografierten Slapstick-Nummer den Ton, schafft es aber für Neuzugänge nicht zu etablieren, wer jetzt mit wem wie verwandt ist. Auch führt das Voice-Over in die Irre, denn Stefan ist nicht unser Erzähler, es ist auch nicht seine Geschichte. Aber wessen Geschichte ist es?
Die Frage nach der Protagonist:in ist nicht einfach zu beantworten, was natürlich auch mit der Form des Ensemblefilmes zusammen hängt. Es geht um die Gruppe, die meisten Figuren haben ihr eigenes Motiv, viele tragen ein Geheimnis mit sich herum, das im Laufe des Filmes lustvoll ans Licht gebracht werden kann. Die äußere Handlung dreht sich um Annas und Thomas? Hochzeit, die darüber (und ein Geheimnis) in eine Vor-Ehekrise geraten. Natürlich geht trotzdem alles gut aus, wir befinden uns im Genre der Komödie. Legt man aber das Kriterium der inneren Reise bei der Figurenentwicklung an, so ist es die Nebenfigur Elisabeth (Caroline Peters), die eigentlich den größten Bogen bekommt. Sie mausert sich von der Studienrätin mit Mauerblümchen-Charme zur Crypto-Brokerin und gewinnt mit ihren Handlungen nicht nur das Ansehen ihrer Tochter Antigone zurück, sondern behauptet sich auch gegenüber ihrem frustrierten Gatten Stefan. Letztlich setzt sich hier die Ungenauigkeit in der Exposition fort. Statt dieses Machtgefälle zwischen den beiden Figuren Stefan und Elisabeth nun auszuhalten und als weitere Quelle für Konflikt und Humor zu nutzen, dient alles dies nur als Hindernisse auf dem Weg zu besagter Kapelle. Und da legt der Film deutlich den Schwerpunkt auf äußere Handlungen, wie Guerilla-Protest-Aktionen, verspätete Züge und ?Dick-Pics?. Auch wirken die beiden schauspielerischen Schwergewichte Iris Berben (als Mutter/Großmutter Dorothe König) und Justus von Dohnányi (als ihr Stiefsohn und Ehemann aus Teil 2) etwas unterbeschäftigt und ihr Handlungsstrang als ziemlich angeflanscht.
DER SPITZNAME ist ein handwerklich sehr gut gemachter Film mit viel Spaß am Spiel mit Klischees und gelungenen Pointen. In seiner Figurenzeichnung hätte er nach Ansicht der Jury noch ein wenig mutiger sein können, um noch mehr aus seinem Ensemble herauszuholen. Er bleibt lieber an der Oberfläche seines Personals und fokussiert sich stattdessen auf die positive Botschaft: Es geht um das Zusammensein, egal wie unterschiedlich man ist. Und diese vermittelt der Film mit großem Unterhaltungswert und Gesellschaftskommentaren.
Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)