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FBW-Bewertung: The Room next Door (2024)

Prädikat besonders wertvoll

Jurybegründung: Pedro Almodóvars erster englischsprachiger Spielfilm ist eine Meditation über das Leben und das Sterben, Freiheit und Freundschaft, Liebe und Sex. Die Adaption des Romans von Sigrid Nunez besteht zum einem großen Anteil aus den Dialogen der beiden Protagonistinnen Ingrid und Martha, die von Julianne Moore und Tilda Swinton mit einer bewundernswerten Tiefe und Intensität verkörpert werden. THE ROOM NEXT DOOR ist auch ein Plädoyer für die Sterbehilfe. Aber Almodóvar ist ein zu guter Filmemacher, um diese kontrovers diskutierte Thematik zu sehr in den Vordergrund kommen zu lassen. Stattdessen erzählt er ganz konkret von den beiden Freundinnen, die sich nach vielen Jahren wiedersehen. Martha ist unheilbar an Krebs erkrankt und bevor dadurch ihre Lebensumstände so dezimiert werden, dass von ihrem Leben nichts mehr außer der Krankheit übrig bleibt, will sie selber entscheiden, wann sie sterben wird. Ingrid soll ihr dabei zur Seite stehen, und obwohl diese eine große Angst vor allem hat, das mit dem Sterben zusammenhängt, stimmt sie zu, im ?Raum nebenan? zu sein, wenn ihre Freundin eine Giftpille nimmt. Die beiden ziehen dazu in ein Haus auf dem Land, wo sie gemeinsam philosophieren und sich gegenseitig ihre Lebensgeschichten erzählen. Martha war Kriegsreporterin (Martha Gellhorn wird hier als Inspiration direkt zitiert), und wenn ihre Erinnerungen in einigen kurzen Rückblenden dramatisiert werden, bieten diese eine geschickt gesetzte Erweiterung des Horizonts, ohne die der Film leicht zu einem klaustrophobischen Kammerspiel hätte werden können. Auch die Sequenzen, in denen Ingrid das Haus verlässt, um sich etwa mit Damian, dem ehemaligen Liebhaber der beiden Frauen, zu treffen (John Turturro spielt ihn als am Niedergang der amerikanischen Politik und Kultur Verzweifelnder), bietet Almodóvar damit eine Öffnung, die die Welthaltigkeit des Films erhöht. Denn für Almodóvar ist Amerika wie eine neue Spielkiste, aus der er schöpfen kann. Seine beiden Protagonistinnen sind als Schriftstellerin und Journalistin typische Vertreterinnen der amerikanischen Intelligenzia des 20. Jahrhunderts und er zelebriert die amerikanische Literatur (Hemingway und Faulkner), Architektur (das Haus im Stil der klassischen Moderne) und das Kino (Buster Keaton). Außerdem zitiert er meisterlich, wenn er zuerst seine Quellen offenbart, um sich dann bei ihnen zu bedienen. So zeigt er zuerst das Gemälde von Edward Hopper, das ihn zu seiner Einstellung von der friedlich gestorbenen Martha im sonnenbeschienenen Liegestuhl inspiriert hat. Und wenn sich Ingrid und Martha die Schlusssequenz von THE DEAD von John Huston ansehen, kopiert Almodóvar diese später als die letzte Einstellung seines eigenen Films. Auch diese Verspieltheit macht THE ROOM NEXT DOOR zu einem großartigen Kunstwerk, in dem Almodóvar seine Stärken als einer der großen Stilisten und Erzähler des Kinos wieder voll ausspielen kann.



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