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FBW-Bewertung: Milchzähne (2024)

Prädikat besonders wertvoll

Jurybegründung: ?Der Himmel zwischen den Baumwipfeln sieht manchmal aus wie ein Fluss?, sagt die Mutter von Skalde. Eine Metapher der ortlosen Sehnsucht. Denn der wahre Fluss bildet eine schier unüberwindliche Grenze. Diesseits dieser Grenze hat sich eine verrohte irgendwie degenerierte Dorfgemeinschaft mit rigiden Gesetzen gebildet. Der Film MILCHZÄHNE von Sophia Bösch ist das Langfilmdebüt der Regisseurin, nach einem gemeinsam mit Roman Gielke verfassten Drehbuch. Das Filmgeschehen adaptiert literarisch einen Roman von Helene Bukowski. Skalde, gespielt von Mathilde Bundschuh, hat sich, anders als ihre Mutter (Susanne Wolff), den Dorfregeln angepasst. Denn sie kann nur dazugehören, wenn sie sich anders verhält als ihre Mutter. Aber ein quasi epiphanisches Ereignis verändert ihre Gesinnung. Im Wald erscheint ein fremdes Kind (Viola Hinz), welches Skalde anfangs wieder im Wald aussetzt. Schließlich entschließt sie sich jedoch, das vereinsamte Kind aufzunehmen. Ganz gegen die Gesetze der Dorfgemeinschaft, ganz gegen den Willen der Einheimischen, die ihre Drohungen in einem ?offiziellen Besuch? verkünden und abergläubisch das Kind als Wolfskind betrachten. Der angesprochene Argwohn wird verstärkt, als das Kind von sich selbst sagt, es sei ein Wolf. Aus kindlichem Leichtsinn? Die Herkunft des Kindes bleibt dunkel. Über verbrannte Felder sei es gekommen, die Eltern seien gestorben. Irgendetwas sei mit diesem Kind, wird gesagt. Vieh verschwindet. Dann die beiden Kinder eines Nachbarn. Im Dorf sind alle Hunde ausgerissen. Der Dorfpatriarch (Ulrich Matthes) weiß: Unsere Kinder werden uns nach und nach alle verlassen. Das Kind muss also verschwinden, um größeres Unheil abzuwehren.

Ein allegorischer Film, der, so die Anmerkung der Regie im Presseheft, ?von Müttern und Töchtern erzähle, von der Angst vor dem Fremden und von der Sehnsucht nach Zugehörigkeit?.? In der Jury wurde der Film wegen seiner mythischen Komplexität, atmosphärischen Dichte und Düsternis gelobt. Als kritischer Einwand wurde das Casting in einzelnen Fällen als etwas problematisch empfunden, ebenso das teils ?artifizielle? Kostümdesign. Auch inhaltlich bleibt der Film stellenweise nebulös. Vieles bleibe unklar. Dies aber, zu diesem Schluss kam die Jury in ihrer Diskussion, womöglich gerade im Sinn der gewollten Mystik. Die Darstellenden agieren nicht tatsächlich wie auf der Bühne. Sie bringen die Retardation ihrer Figuren zum Ausdruck, die dort irgendwo im ?Gehölz? hausen. Gleichermaßen wurden die guten darstellerischen Leistungen von der Jury hervorgehoben, ebenso die vielen trefflichen Bilder einer ausgesprochen souveränen Kameraarbeit von Aleksandra Medianikova. Sehr eindrucksvoll besonders in den Nahaufnahmen zu Beginn des Films. Auch die Filmmusik von Rahel Zimmermann und Moritz Widrig wurde gewürdigt. Und selbstverständlich ist das Kind kein erscheinendes mythisches Wesen. Seine mögliche Tötung bestimmt auch nicht das dramaturgische ?Gebälk? oder ?Fachwerk? des Films. Der Wald beherbergt in ihrer primitiven Zurückgebliebenheit eine irgendwie auch faschistoide Gemeinschaft mit degoutanten Neigungen, ohne Zugehörigkeiten zuzulassen, gefühlskalt, starrsinnig und besserwisserisch. Die Allegorie bezog die Jury eher auf Geisteszustände der kulturellen und politischen Gegenwart. Im Anschluss an eine spannende und ausführliche Diskussion verleiht die FBW-Jury dem Film das höchste Prädikat BESONDERS WERTVOLL.



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