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FBW-Bewertung: September 5 - The Day Terror Went Live (2024)

Prädikat besonders wertvoll

Jurybegründung: ?Das Münchner Olympia-Attentat vom 5. September 1972 war ein Anschlag der palästinensischen Terrororganisation Schwarzer September auf die israelische Mannschaft bei den 20. Olympischen Sommerspielen. Elf der 14 israelischen Olympiateilnehmer wurden ermordet, darunter fünf Athleten?, lautet der nüchterne Einleitungssatz des deutschen Wikipedia-Eintrags zum Attentat in München. Diverse Dokumentationen gibt es bereits darüber und bislang drei Spielfilme. SEPTEMBER 5 des Schweizer Regisseurs Tim Fehlbaum ist der vierte Spielfilm zum Thema und er zeichnet sich in mehrfacher Hinsicht als besonders aus.

Schwer beeindruckt zeigte sich die Jury auch oder vielleicht gerade, weil der Stoff eigentlich bekannt ist. SEPTEMBER 5 beobachtet das Geschehen im Olympischen Dorf aus dem Blickwinkel der ABC-Sport-Redaktion. Journalisten und Mitarbeiter, die seinerzeit auf dem Olympiagelände untergebracht waren und live von dort gesendet haben. SEPTEMBER 5 konzentriert sich auf wenige, entscheidende Stunden, während der die Redaktion schwierigste Entscheidungen zu treffen hat.

Von der ersten Minute an fühlte sich die Jury förmlich hineingezogen in die Dunkelheit des Bildregieraums. Dort, wo normalerweise schnelle Entscheidungen über die richtige Kamera am richtigen Ort, über Einstellungen oder den Blickwinkel bei Weitsprung oder Hürdenlauf getroffen werden mussten, sollte mit einem Mal Nachrichtengeschehen abgedeckt werden. Wie einen Volontär lässt Regisseur Fehlbaum das Publikum mitlaufen, teilhaben an ebenso schwierigen wie notwendigen Entscheidungen. Einzigartige Aufnahmen des Attentats konnte das ABC-Team damals eingefangen, Bilder die weltweit gefragt waren. Aber sollten die Zuschauer ein Attentat im Fernsehen ansehen ? und zwar live? Sollten Angehörige der Geiseln durch die Livesendungen erfahren, was im Olympischen Dorf passiert? Sollten die Attentäter live mitverfolgen, was sich vor dem Haus der gefangenen Athleten abspielt? Unvermittelt befindet sich das Filmpublikum genau dort, wie sich seinerzeit auch das Fernsehteam befunden hat: vor dem Dilemma Ethik vs. Informationspflicht bzw. Quote.

SEPTEMBER 5 ist genauso faszinierend wie kraftvoll und dicht erzählt. Das konsequent geschriebene Drehbuch stammt aus der Hand Tim Fehlbaums und Moritz Binders. Kein Detail scheint vergessen, keine Frage unbeantwortet und dennoch ist der Film von Anfang bis zum Ende außerordentlich spannend. Hartnäckig fokussiert sich SEPTEMBER 5 auf die kleine Gruppe der Journalisten, die versucht, mit dem umzugehen, was sich ein paar hundert Meter von ihrem Standort abspielt. Die politischen Hintergründe des Blutbads bleiben dabei Randbetrachtungen, genau wie das fragwürdige Treiben der Polizei.

Aber auch das perfekte Setting trägt zur Authentizität des Films bei. Tim Fehlbaum muss lange nach einem so komplett erhaltenen Regieraum gesucht haben. Die Technik aus den 1970ern hat sogar Juroren in Erstaunen versetzt, die sie annähernd noch erlebt haben, denn vor rund 50 Jahren konnte nicht einfach ein Funkspruch abgenommen werden, da musste noch gelötet werden, um Dialoge aus dem Äther zu den Zuschauern zu bringen.

Den weitaus größten Anteil daran, dass SEPTEMBER 5 kein historisches Kammerspiel geworden ist, hat aber sicherlich die intensive, lebendige Darbietung des großartigen Casts. Allen voran Peter Sarsgaard als Roone Arledge, der für die Übertragung der Münchner Spiele von 72 verantwortlich war. Ben Chaplin als chronisch gereizter Einsatzleiter Marvin Bader, John Magaro als Producer und Leonie Benesch als eine Dolmetscherin, die an diesem Tag für wesentlich mehr verantwortlich war als bloße Übersetzungen vom Deutschen ins Englische. Sie alle erscheinen in dieser stresserfüllten Situation so überzeugend und echt wie der eigene Sitznachbar gleich nebenan.

Weil SEPTEMBER 5 weder die Opfersicht noch die der Behörden einnimmt, sondern das Geschehen aus Sicht der ABC-Mitarbeiter in ihrem Regieraum zeigt, kann er dem Geschehen so außerordentlich nahe sein. Tatsächlich wirkt Fehlbaums Film wie ein echtes Zeitdokument. Die düsteren, entsättigten Farben und die handgeführte Kamera vermitteln das Gefühl einer Anspannung und Unsicherheit, wie sie auch die Berichterstatter empfunden haben müssen. Gleichzeitig aber konzentriert sich der Film mit einer Genauigkeit auf die Akteure, wie man sie eigentlich nur aus zeitgenössischen Produktionen kennt.

Auch etwas anderes macht SEPTEMBER 5 ziemlich deutlich. Denn ganz nebenbei zeigt der Film, wie sehr Deutschland, keine 30 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, versuchen wollte, sein Nazi-Image abzulegen. Als sich die ?heiteren Spiele? von München zu einem Desaster entwickeln, sind die alten (Vor-)Urteile fast wieder zum Greifen nah. All das ist wahrlich ganz, ganz großes Kino. In der Diskussion ist sich die Jury einig, SEPTEMBER 5 genauso gerne wie einstimmig das Prädikat BESONDERS WERTVOLL verleihen zu wollen.



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