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FBW-Bewertung: Shahid (2024)

Prädikat besonders wertvoll

Jurybegründung: Eine der auffälligsten Entwicklungen des Mediums Film in jüngster Vergangenheit ist die zunehmende Auflösung der Trennschärfe zwischen Dokumentarfilm und Spielfilm. Vermischungen zwischen den beiden filmischen Gattungen hat es schon immer gegeben, aber die gezielte Hybridisierung als künstlerisches und ästhetisches Konzept ist doch eher neu. In diese Tendenz hinein spielt auch das Erzählkonzept der Autofiktionalität, die auch und vor allem in der Literatur anzutreffen ist. Erhoffen kann man daraus neue Erkenntnisse für komplexe Zusammenhänge, die nur mit den Mitteln des Dokumentarfilms oder denen des Spielfilms möglicherweise nicht zufriedenstellend reflektiert werden können.

SHAHID ist ein Film, der Hybridisierung als Autofiktionalität auf mutige Art und Weise für die Darstellung eines komplexen kulturellen Feldes anwendet. Es geht um weibliche Identität im Iran, um die Anerkennung der kulturellen weiblichen Identität in Deutschland und um das, was diese Identität wesentlich mitbestimmt, nämlich die Sprache. Denn es geht um die Bedeutung des Wortes "Shahid", das die Protagonistin des Films aus ihrem Namen tilgen will, eine Protagonistin, die sowohl fiktiv (sie wird von einer Schauspielerin gespielt) als auch real ist, denn sie kann als Alter Ego der Regisseurin begriffen werden, die zudem ihrerseits als sie selber mitwirkt. Shahid lässt sich im Deutschen mit "Märtyrer" übersetzen und genau das entspricht nicht ihrer weiblichen Identität, denn Märtyrer sind männliche als Helden gefeierte Mörder, mit denen sie sich nicht identifizieren kann.

Ein Kunstgriff des Films wurde bereits genannt - die autofiktionale Dopplung der Protagonistin - ein weiterer besteht darin, dass die Regisseurin ihren (von einem Schauspieler gespielten) Urgroßvater, der ein Mullah (Rechtsgelehrter) war, mit seinen Kumpels wie schwarze Ringgeister um sie tanzen lässt, die solchermaßen umwirbt und für die Sache der Märtyrer zurückzugewinnen trachtet. Diese Tanzszenen sind von hoher choreografischer und kameraästhetischer Qualität. Die Kamera scheint regelrecht mit den Märtyrern durch die kulissenhaften Straßen zu schweben, durch die sich die Protagonistin bewegt. Diesen artifiziellen Szenen stehen die eher realistischen Begegnungen der Protagonistinnen auf dem Amt und beim Psychologen gegenüber, der zu diagnostizieren hat, welche psychische Belastung durch den Namen besteht. Ganz realistisch sind allerdings auch diese Szenen nicht, vielmehr sind sie teilweise sehr komisch, was vor allem damit zu tun hat, dass sie pointiert geskriptet und überzeugend gespielt sind. Eine weitere Metaebene wird durch eine Film-im-Film-Erzählweise eingezogen. Immer wieder bricht die Fiktion auf und es wird deutlich, dass gerade ein (niedrig budgetierter) Film mit (nicht jederzeit zufriedenen) Schauspielerinnen und Schauspielern gedreht wird. Solcherart wird auf geschickte Art und Weise die Autofiktionalität (die ja nicht ganz unproblematisch ist, weil Fakt und Fiktion nicht immer markiert wird) transparent gemacht.

Narges Kalhor und ihrem Team ist ein Film gelungen, der das Publikum ästhetisch fordert und zugleich enorm unterhaltsam ist. Die Jury honoriert dies sehr gerne mit einem einstimmigen Votum für das Prädikat Besonders Wertvoll.






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