Ein Schweigen (2023)
Un Silence
Im neuen Drama von Joachim Lafosse spielen Emmanuelle Devos und Daniel Auteuil ein Paar, dessen dunkles Geheimnis ihre Ehe vor eine Zerreißprobe stellt.Kritiker-Film-Bewertung:User-Film-Bewertung :
Filmsterne von 1 bis 5 dürfen vergeben werden, wobei 1 die schlechteste und 5 die beste mögliche Bewertung ist. Es haben insgesamt 3 Besucher eine Bewertung abgegeben.
Die Stimmung in der Familie des angesehenen Anwalts François Schaar (Daniel Auteuil) ist angespannt. Das Anwesen wird Tag und Nacht von Pressevertretern belagert. Denn Schaar hat einen schlagzeilenträchtigen Fall übernommen, dessen kriminelle Verstrickungen bis in höchste Kreise reichen. Schaars Ehefrau Astrid (Emmanuelle Devos) und der gemeinsame Adoptivsohn Raphaël (Matthieu Galoux) lassen sich nichts anmerken, sind von der Situation jedoch sichtlich mitgenommen.
Im Hintergrund schwelt derweil ein anderer Konflikt. Astrids und François' leibliche Tochter Caroline (Louise Chevillotte) gräbt ein dunkles Familiengeheimnis wieder aus und drängt ihre Mutter dazu, Raphaël reinen Wein einzuschenken. Damit nimmt das Drama aber erst seinen Lauf.
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Filmkritik
"Ein Schweigen": Zwischen Scham und Zwielicht
Joachim Lafosse ist ein Meister darin, problematische Paarbeziehungen vor der Kamera zu sezieren. Trotz all der Präzision, mit der der 1975 geborene Belgier sein filmisches Skalpell ansetzt, geraten seine Dramen nie zu klinischen Versuchsanordnungen. Ganz im Gegenteil legt Lafosse in seinen Werken so viel Augenmerk auf Ausgewogenheit und Menschlichkeit, dass sich die Figuren plastisch und die Beziehungen authentisch anfühlen.
In "Ein Schweigen" zahlt der Regisseur und Drehbuchautor für diese Ausgewogenheit allerdings einen hohen Preis. Wie bereits der Titel verrät, geht es um ein (Ver-)Schweigen, genauer gesagt um die Sprachlosigkeit eingedenk eines unaussprechlichen Fehlverhaltens. Diese Geheimniskrämerei, die das Publikum erst sukzessive zu entschlüsseln in der Lage ist, raubt der Handlung alsbald die nötige Luft zum Atmen.
Heißes Eisen, verzwickte Lage
Nach dem Drama "Die Ökonomie der Liebe" (2016), das vom rationellen Ende einer Ehe handelte, und "Die Ruhelosen" (2022), in dem die Krankheit eines Partners die Beziehung auf eine harte Probe stellte, packt Lafosse in seinem zehnten abendfüllenden Spielfilm ein noch heißeres Eisen an. Der Mantel des Schweigens wird über die pädophilen Neigungen eines Familienvaters gehüllt. Im Zentrum steht die Scham, die zum Schweigen führt. Dramaturgisch zugespitzt wird die Lage dadurch, dass ausgerechnet dieser Mann vor Gericht ein Ehepaar vertritt, dessen Kinder einem Pädophilen zum Opfer gefallen sind. So unglaublich diese Konstellation auf den ersten Blick erscheinen mag, sie ist vom berühmten Fall Dutroux und dem Anwalt Victor Hissel inspiriert.
Der Inhalt bestimmt den Stil
Auch in seinem neuesten Drama, das seine Weltpremiere beim Internationalen Filmfestival von San Sebastián im September 2023 feierte, wirft Lafosse das Publikum mitten in die Handlung. Und auch in diesem Film folgt er seiner Maxime, dass nicht der Stil seine Filme bestimme, sondern der Inhalt den Stil seiner Filme. War "Die Ökonomie der Liebe" ganz bewusst als Kammerspiel inszeniert, um die Enge der Ehe zu verdeutlichen, und übertrug sich in "Die Ruhelosen" die Rastlosigkeit der Figuren auch auf Kamera und Schnitt, so hat sich Lafosse gemeinsam mit seinem Stammkameramann Jean-François Hensgens dieses Mal dafür entschieden, "die Inszenierungen so unauffällig wie möglich zu gestalten, fast heimlich", wie Lafosse in einem Interview erklärt.
Die Kamera bewegt sich wenig und unmerklich; auch auf Schnitte verzichtet der Regisseur nach Möglichkeit, was den Dialogszenen sowohl etwas Dokumentarisches als auch etwas Distanziertes verleiht. Mit den Figuren bleiben auch deren Motive im Zwielicht, was die Identifikation erschwert. Es ist bezeichnend, wie sehr sich die traurige, von Geigen getragene Musik in den Vordergrund drängen muss, damit dieses Drama überhaupt emotionale Wucht entfalten kann. Die sonst so souveräne Form, wie man sie bislang aus Joachim Lafosses Filmen gewohnt war, steht dem Gelingen dieses Mal im Weg.
Fazit: Auch in seinem zehnten Spielfilm schreckt der belgische Regisseur Joachim Lafosse nicht vor kontroversen Themen und komplexen Beziehungen zurück. Und abermals bestimmt der Inhalt seines Dramas dessen Form – die ihm dieses Mal jedoch im Weg steht.
Joachim Lafosse ist ein Meister darin, problematische Paarbeziehungen vor der Kamera zu sezieren. Trotz all der Präzision, mit der der 1975 geborene Belgier sein filmisches Skalpell ansetzt, geraten seine Dramen nie zu klinischen Versuchsanordnungen. Ganz im Gegenteil legt Lafosse in seinen Werken so viel Augenmerk auf Ausgewogenheit und Menschlichkeit, dass sich die Figuren plastisch und die Beziehungen authentisch anfühlen.
In "Ein Schweigen" zahlt der Regisseur und Drehbuchautor für diese Ausgewogenheit allerdings einen hohen Preis. Wie bereits der Titel verrät, geht es um ein (Ver-)Schweigen, genauer gesagt um die Sprachlosigkeit eingedenk eines unaussprechlichen Fehlverhaltens. Diese Geheimniskrämerei, die das Publikum erst sukzessive zu entschlüsseln in der Lage ist, raubt der Handlung alsbald die nötige Luft zum Atmen.
Heißes Eisen, verzwickte Lage
Nach dem Drama "Die Ökonomie der Liebe" (2016), das vom rationellen Ende einer Ehe handelte, und "Die Ruhelosen" (2022), in dem die Krankheit eines Partners die Beziehung auf eine harte Probe stellte, packt Lafosse in seinem zehnten abendfüllenden Spielfilm ein noch heißeres Eisen an. Der Mantel des Schweigens wird über die pädophilen Neigungen eines Familienvaters gehüllt. Im Zentrum steht die Scham, die zum Schweigen führt. Dramaturgisch zugespitzt wird die Lage dadurch, dass ausgerechnet dieser Mann vor Gericht ein Ehepaar vertritt, dessen Kinder einem Pädophilen zum Opfer gefallen sind. So unglaublich diese Konstellation auf den ersten Blick erscheinen mag, sie ist vom berühmten Fall Dutroux und dem Anwalt Victor Hissel inspiriert.
Der Inhalt bestimmt den Stil
Auch in seinem neuesten Drama, das seine Weltpremiere beim Internationalen Filmfestival von San Sebastián im September 2023 feierte, wirft Lafosse das Publikum mitten in die Handlung. Und auch in diesem Film folgt er seiner Maxime, dass nicht der Stil seine Filme bestimme, sondern der Inhalt den Stil seiner Filme. War "Die Ökonomie der Liebe" ganz bewusst als Kammerspiel inszeniert, um die Enge der Ehe zu verdeutlichen, und übertrug sich in "Die Ruhelosen" die Rastlosigkeit der Figuren auch auf Kamera und Schnitt, so hat sich Lafosse gemeinsam mit seinem Stammkameramann Jean-François Hensgens dieses Mal dafür entschieden, "die Inszenierungen so unauffällig wie möglich zu gestalten, fast heimlich", wie Lafosse in einem Interview erklärt.
Die Kamera bewegt sich wenig und unmerklich; auch auf Schnitte verzichtet der Regisseur nach Möglichkeit, was den Dialogszenen sowohl etwas Dokumentarisches als auch etwas Distanziertes verleiht. Mit den Figuren bleiben auch deren Motive im Zwielicht, was die Identifikation erschwert. Es ist bezeichnend, wie sehr sich die traurige, von Geigen getragene Musik in den Vordergrund drängen muss, damit dieses Drama überhaupt emotionale Wucht entfalten kann. Die sonst so souveräne Form, wie man sie bislang aus Joachim Lafosses Filmen gewohnt war, steht dem Gelingen dieses Mal im Weg.
Fazit: Auch in seinem zehnten Spielfilm schreckt der belgische Regisseur Joachim Lafosse nicht vor kontroversen Themen und komplexen Beziehungen zurück. Und abermals bestimmt der Inhalt seines Dramas dessen Form – die ihm dieses Mal jedoch im Weg steht.
Falk Straub
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Besetzung & Crew von "Ein Schweigen"
Land: FrankreichWeitere Titel: A Silence
Jahr: 2023
Genre: Drama
Originaltitel: Un Silence
Länge: 99 Minuten
Kinostart: 13.06.2024
Regie: Joachim Lafosse
Darsteller: Daniel Auteuil als François Schaar, Emmanuelle Devos als Astrid Schaar, Matthieu Galoux als Raphaël Schaar, Jeanne Cherhal, Louise Chevillotte
Kamera: Jean-François Hensgens
Verleih: Arsenal
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