Cranko (2024)
John Cranko
Deutsches Drama über den Starchoreografen John Cranko, der das Stuttgarter Ballett an die Weltspitze führt.Kritiker-Film-Bewertung:User-Film-Bewertung :
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Als der Londoner Choreograf John Cranko (Sam Riley) 1960 für ein Gastspiel nach Stuttgart fliegt, bringt er in Gedanken sein künstlerisches Credo auf den Punkt. Um etwas Schöpferisches vollbringen zu können, müsse man die Schattenseiten des Lebens sehen, heißt es aus dem Off. Am 15. August 1927 in Südafrika geboren, kennt er die Schattenseiten zu Genüge. Schon als Kind war er Zeuge brutalster Apartheid. Und nachdem seine Homosexualität in England einen Skandal ausgelöst hatte, ist Cranko nun selbst zum Paria geworden. Dass aus dem schwäbischen Gastspiel eine Festanstellung und ein Neubeginn werden sollte, ahnt Cranko bei seiner Ankunft nicht.
Vom Intendanten Walter Erich Schäfer (Hanns Zischler) überraschend zum Direktor des Stuttgarter Balletts ernannt, krempelt Cranko den Laden ab 1961 um. Ans Rauchverbot hält er sich ebenso wenig, wie er eines Büros bedarf. Arbeitsgespräche führt er in der Kantine, dem Alkohol und jungen Männern ist er nicht abgeneigt und seinem Ensemble begegnet er mit Zuckerbrot und Peitsche. Bei der Wahl seiner Tänzerinnen und Tänzer schart der Ausgestoßene mit Marcia Haydée (Elisa Badenes), Richard Cragun (Marti Fernandez Paixa), Egon Madsen (Henrik Erikson) und Birgit Keil (Rocio Aleman) eine Gruppe Außenseiter um sich, mit denen er erst die Landeshauptstadt und während eines Gastspiels an der Metropolitan Opera schließlich auch New York erobert.
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Filmkritik
"Cranko": Weltballett aus Schwaben
John Crankos Zeit als Ballettdirektor in der baden-württembergischen Landeshauptstadt ist heute gemeinhin als "Stuttgarter Ballettwunder" bekannt. Die Bezeichnung geht auf einen Artikel aus der New York Times zurück. Als Cranko mit seiner Compagnie 1969 ein Gastspiel an der Metropolitan Opera gab, feierte der Theaterkritiker Clive Barnes die Darbietung euphorisch als "The Stuttgart Ballet Miracle". Über diese Phase, die von Crankos Anstellung im Jahr 1961 bis zu seinem frühen und unerwarteten Tod im Jahr 1973 reichte, hat der Regisseur Joachim A. Lang einen Film gedreht.
Zwiespältiger Visionär
Als Biopic will Lang sein Drama allerdings nicht verstanden wissen. "Cranko" sei vielmehr "ein Film über Kunst und Wirklichkeit". Hierfür durchbricht der Regisseur wiederholt die filmische Realität, indem er ins Bild rückt, was sich vor dem inneren Auge des Choreografen abspielt. Dann tauchen aus dem Nichts Figuren auf, die die Tanzschritte, die John Cranko just erdenkt, um ihn herum und für uns Kinozuschauer ersichtlich vollführen. Oder Lang projiziert diese Vorstellung direkt auf die Iris des Auges seines Hauptdarstellers Sam Riley, der Cranko als obsessiven Visionär, depressiven Lebemann und kompromisslosen und unbequemen Anführer anlegt.
Denn so einfühlsam dieses gequälte Genie in seinen hell scheinenden Momenten auch sein kann und so verletzlich sich der getriebene Künstler, der mehrere Suizidversuche unternimmt und dabei einmal buchstäblich den Kopf in den Ofen steckt, seinen Mitmenschen gegenüber zeigt, John Crankos Schattenseite ist unsensibel und verletzend. Wiederholt bricht er seine Tänzerinnen und Tänzer im Augenblick ihres größten Triumphs, nur um sie umgehend wieder aufzurichten. Fast wirkt es so, als ob er das Glück anderer angesichts seiner eigenen Traurigkeit nicht ertrüge.
Viel Zeit- und Lokalkolorit
Der auf der Ostalb geborene Joachim A. Lang, der in Heidelberg und Stuttgart studierte, lange Zeit für den Südwestrundfunk (SWR) arbeitete und neben Festivalleitungen auch eine Professur an der Filmakademie Baden-Württemberg innehat, erzählt vom "Stuttgarter Ballettwunder" verdichtet und mit viel Zeit- und Lokalkolorit. Das von ihm selbst verfasste Drehbuch enthält die Themen des Films und deren visuelle Umsetzung bereits auf den ersten Seiten. Noch auf dem Flug nach Deutschland gibt John Cranko sein künstlerisches Credo preis, das sich wie ein roter Faden durch die weitere Handlung und sein eigenes Leben zieht. Und während der anschließenden Fahrt vom Stuttgarter Flughafen zum Staatstheater weist der Taxifahrer Cranko auf die zwei Dinge hin, für die Stuttgart weltbekannt ist: den Fernsehturm, in seiner Bauweise der erste seiner Art, und den Autohersteller mit dem großen Stern. Weder der Fahrer noch John Cranko ahnen, dass bald auch das Stuttgarter Ballett dazu zählen wird.
In seinem Drehbuch hat Lang viele tolle Ideen, etwa die, den Taxifahrer später im Film noch einmal zu Tränen gerührt im Saal des Stuttgarter Staatstheaters auftauchen zu lassen, was gleich zweierlei zeigt: wie sehr selbst das von den Kosmopoliten belächelte Provinzpublikum Kunst zu schätzen weiß und was das Großartige an Crankos Kunst war. Das Stück, das dem schwäbischen Bruddler so nahegeht, ist "Romeo und Julia". Obwohl es erst wenige Jahre zuvor in Stuttgart auf dem Spielplan stand, führt Cranko es in seiner Aufführung auf ein neues Niveau. Was neben seinem unerschütterlichen Glauben an sein Ensemble, in dem er ein Talent erkennt, das andere nicht sehen, auch an dem Wert liegt, den er dem schauspielerischen Ausdruck seiner Tänzerinnen und Tänzer beimisst.
Echte Tänzer? Ein echter Coup!
Spielfilme über die Kunst des Balletts gibt es viele: Allein in den 2010er-Jahren sind etwa "Black Swan" (2010), "Yuli" (2018) oder "Nurejew – The White Crow" (2018) erschienen. Während Erstgenannter das Problem hat, dass mit Natalie Portman und Mila Kunis zwar zwei professionelle Schauspielerinnen die Hauptrollen ausfüllen, diese in den Tanzszenen aber gedoubelt werden müssen, stehen in den letztgenannten Filmen zwar professionelle Tänzer vor der Kamera, stoßen schauspielerisch jedoch an ihre Grenzen. Joachim A. Lang umgeht diese Problematik, indem sein Film nicht um einen Tänzer, sondern einen Choreografen kreist. Dem Schauspielprofi Sam Riley stellt er wiederum professionelle Tänzer zur Seite. Und hier ist den Produzenten des Films ein echter Coup geglückt. Denn das Stuttgarter Ensemble aus den 1960ern wird vom aktuellen Ensemble verkörpert.
Dass die Magie, mit der ein Ballett das Publikum verzaubern kann, auch in diesem Film funktioniert, hat viel mit diesem Besetzungscoup zu tun. Ohne Tanzdoubles gibt es auch keine Brüche, die die filmische Illusion zerstören. Und so kann das Kinopublikum nahtlos nachvollziehen, worin die Schönheit besteht, die John Cranko zeitlebens nicht im Geraden, sondern im Krummen suchte. Es sei sein Ziel gewesen, "den ersten wirklichen Ballettfilm zu machen", hat Jochaim A. Lang gesagt. Ob ihm das gelungen ist, sei dahingestellt. Ein gelungener Ballettfilm ist "Cranko" allemal.
Fazit: Nachdem sich Joachim A. Lang zuletzt mit seinem Dokudrama "Führer und Verführer" ordentlich verhoben hatte, kehrt er mit einem Drama zurück, das trotz schwerer Themen leichtfüßig daherkommt. "Cranko" über den Choreografen John Cranko (1927–1973) ist ein Film, dem der Spagat zwischen Biopic und Tanzfilm, Leben und Bühne, niederdrückendem persönlichem Ballast und der erhebendem Kunst des Balletts gelingt.
John Crankos Zeit als Ballettdirektor in der baden-württembergischen Landeshauptstadt ist heute gemeinhin als "Stuttgarter Ballettwunder" bekannt. Die Bezeichnung geht auf einen Artikel aus der New York Times zurück. Als Cranko mit seiner Compagnie 1969 ein Gastspiel an der Metropolitan Opera gab, feierte der Theaterkritiker Clive Barnes die Darbietung euphorisch als "The Stuttgart Ballet Miracle". Über diese Phase, die von Crankos Anstellung im Jahr 1961 bis zu seinem frühen und unerwarteten Tod im Jahr 1973 reichte, hat der Regisseur Joachim A. Lang einen Film gedreht.
Zwiespältiger Visionär
Als Biopic will Lang sein Drama allerdings nicht verstanden wissen. "Cranko" sei vielmehr "ein Film über Kunst und Wirklichkeit". Hierfür durchbricht der Regisseur wiederholt die filmische Realität, indem er ins Bild rückt, was sich vor dem inneren Auge des Choreografen abspielt. Dann tauchen aus dem Nichts Figuren auf, die die Tanzschritte, die John Cranko just erdenkt, um ihn herum und für uns Kinozuschauer ersichtlich vollführen. Oder Lang projiziert diese Vorstellung direkt auf die Iris des Auges seines Hauptdarstellers Sam Riley, der Cranko als obsessiven Visionär, depressiven Lebemann und kompromisslosen und unbequemen Anführer anlegt.
Denn so einfühlsam dieses gequälte Genie in seinen hell scheinenden Momenten auch sein kann und so verletzlich sich der getriebene Künstler, der mehrere Suizidversuche unternimmt und dabei einmal buchstäblich den Kopf in den Ofen steckt, seinen Mitmenschen gegenüber zeigt, John Crankos Schattenseite ist unsensibel und verletzend. Wiederholt bricht er seine Tänzerinnen und Tänzer im Augenblick ihres größten Triumphs, nur um sie umgehend wieder aufzurichten. Fast wirkt es so, als ob er das Glück anderer angesichts seiner eigenen Traurigkeit nicht ertrüge.
Viel Zeit- und Lokalkolorit
Der auf der Ostalb geborene Joachim A. Lang, der in Heidelberg und Stuttgart studierte, lange Zeit für den Südwestrundfunk (SWR) arbeitete und neben Festivalleitungen auch eine Professur an der Filmakademie Baden-Württemberg innehat, erzählt vom "Stuttgarter Ballettwunder" verdichtet und mit viel Zeit- und Lokalkolorit. Das von ihm selbst verfasste Drehbuch enthält die Themen des Films und deren visuelle Umsetzung bereits auf den ersten Seiten. Noch auf dem Flug nach Deutschland gibt John Cranko sein künstlerisches Credo preis, das sich wie ein roter Faden durch die weitere Handlung und sein eigenes Leben zieht. Und während der anschließenden Fahrt vom Stuttgarter Flughafen zum Staatstheater weist der Taxifahrer Cranko auf die zwei Dinge hin, für die Stuttgart weltbekannt ist: den Fernsehturm, in seiner Bauweise der erste seiner Art, und den Autohersteller mit dem großen Stern. Weder der Fahrer noch John Cranko ahnen, dass bald auch das Stuttgarter Ballett dazu zählen wird.
In seinem Drehbuch hat Lang viele tolle Ideen, etwa die, den Taxifahrer später im Film noch einmal zu Tränen gerührt im Saal des Stuttgarter Staatstheaters auftauchen zu lassen, was gleich zweierlei zeigt: wie sehr selbst das von den Kosmopoliten belächelte Provinzpublikum Kunst zu schätzen weiß und was das Großartige an Crankos Kunst war. Das Stück, das dem schwäbischen Bruddler so nahegeht, ist "Romeo und Julia". Obwohl es erst wenige Jahre zuvor in Stuttgart auf dem Spielplan stand, führt Cranko es in seiner Aufführung auf ein neues Niveau. Was neben seinem unerschütterlichen Glauben an sein Ensemble, in dem er ein Talent erkennt, das andere nicht sehen, auch an dem Wert liegt, den er dem schauspielerischen Ausdruck seiner Tänzerinnen und Tänzer beimisst.
Echte Tänzer? Ein echter Coup!
Spielfilme über die Kunst des Balletts gibt es viele: Allein in den 2010er-Jahren sind etwa "Black Swan" (2010), "Yuli" (2018) oder "Nurejew – The White Crow" (2018) erschienen. Während Erstgenannter das Problem hat, dass mit Natalie Portman und Mila Kunis zwar zwei professionelle Schauspielerinnen die Hauptrollen ausfüllen, diese in den Tanzszenen aber gedoubelt werden müssen, stehen in den letztgenannten Filmen zwar professionelle Tänzer vor der Kamera, stoßen schauspielerisch jedoch an ihre Grenzen. Joachim A. Lang umgeht diese Problematik, indem sein Film nicht um einen Tänzer, sondern einen Choreografen kreist. Dem Schauspielprofi Sam Riley stellt er wiederum professionelle Tänzer zur Seite. Und hier ist den Produzenten des Films ein echter Coup geglückt. Denn das Stuttgarter Ensemble aus den 1960ern wird vom aktuellen Ensemble verkörpert.
Dass die Magie, mit der ein Ballett das Publikum verzaubern kann, auch in diesem Film funktioniert, hat viel mit diesem Besetzungscoup zu tun. Ohne Tanzdoubles gibt es auch keine Brüche, die die filmische Illusion zerstören. Und so kann das Kinopublikum nahtlos nachvollziehen, worin die Schönheit besteht, die John Cranko zeitlebens nicht im Geraden, sondern im Krummen suchte. Es sei sein Ziel gewesen, "den ersten wirklichen Ballettfilm zu machen", hat Jochaim A. Lang gesagt. Ob ihm das gelungen ist, sei dahingestellt. Ein gelungener Ballettfilm ist "Cranko" allemal.
Fazit: Nachdem sich Joachim A. Lang zuletzt mit seinem Dokudrama "Führer und Verführer" ordentlich verhoben hatte, kehrt er mit einem Drama zurück, das trotz schwerer Themen leichtfüßig daherkommt. "Cranko" über den Choreografen John Cranko (1927–1973) ist ein Film, dem der Spagat zwischen Biopic und Tanzfilm, Leben und Bühne, niederdrückendem persönlichem Ballast und der erhebendem Kunst des Balletts gelingt.
Falk Straub
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Besetzung & Crew von "Cranko"
Land: DeutschlandJahr: 2024
Genre: Dokumentation
Originaltitel: John Cranko
Länge: 128 Minuten
FSK: 12
Kinostart: 03.10.2024
Regie: Joachim Lang
Darsteller: Sam Riley als John Cranko, Marti Fernandez Paixa als Richard Cragun, Jason Reilly als Ray Barra, Hanns Zischler als Walter Erich Schäfer, Georgette Tsingurides
Kamera: Philipp Sichler
Verleih: Port au Prince Pictures GmbH
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