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Architecton (2024)

Dokumentarfilm über das Bauen und den "Lebensweg" von Steinen.Kritiker-Film-Bewertung: unterirdischschlechtmittelm??iggutweltklasse 5 / 5
User-Film-Bewertung [?]: unterirdischschlechtmittelm??iggutweltklasse 3.0 / 5

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Eine Berglandschaft sieht majestätisch und friedlich aus, bevor sich urplötzlich Tonnen Gerölls in die Tiefe stürzen. Andernorts wird ein Berg Stück für Stück abgetragen, um das Gestein zu Baumaterial zu verarbeiten. Während manche Bauten die Jahrtausende überdauern, dem Wind und der Witterung trotzen, sind andere nach nur wenigen Jahrzehnten abbruchreif und werden auf Müllkippen verfrachtet.

Zwischen all diesen Ansichten von Steinen bewegt sich der italienische Architekt Michele De Lucchi. Mal lässt er in seinem Garten von zwei Arbeitern einen Steinkreis errichten, mal forscht er in Baalbek den Rätseln antiker Architektur nach – und kommt mit einem Mann ins Gespräch, der die alten Römerbauten seit 30 Jahren auf eigene Faust reinigt.

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"Architecton": Wie schön die Steine singen

Die Krise des Erzählkinos war während der Internationalen Filmfestspiele Berlin im Februar 2024 einmal mehr spürbar. Bei deren 74. Ausgabe schafften es gleich zwei Dokumentarfilme in den Wettbewerb. "Dahomey" (2024) der Regisseurin Mati Diop nahm am Ende gar den Goldenen Bären mit nach Hause. Der zweite um den Hauptpreis konkurrierende Dokumentarfilm ging zwar leer aus, warf aber eine Frage auf: Wozu braucht es noch Spielfilme, wenn es Dokumentarfilme wie "Architecton" gibt?

Dessen Regisseur Victor Kossakovsky nahm früh seine erste Kamera in die Hand.
Inzwischen ist der 1961 in Leningrad geborene Russe, der seit den frühen 2000ern in Berlin lebt, in seinem Schaffen auf einem Niveau angelangt, das seine Dokumentarfilme zu kinematografischen Großereignissen macht. Egal, ob er sich wie in "Aquarela" (2018) der Naturgewalt des Wassers widmet oder wie in "Gunda" (2020) das Leben eines Hausschweins mit der Kamera festhält, seine Filme sind kleine Gesamtkunstwerke. In ihrer Kritik des erstgenannten Films schreibt die Kollegin Bianka Piringer treffend, dass Kossakovsky "Aquarela" nicht nur gedreht, sondern beinahe wie eine Oper komponiert habe. Diese Aussage trifft auch auf "Architecton" zu.

Teufelskreis des Bauens

Waren es in "Aquarela" die Eisdecken, die ächzten und die Wassermassen, die sich die Berge hinabergossen, geben in "Architecton" die Steine den Ton an. In Nahaufnahmen und Superzeitlupe stürzen sie als tosendes Geröll die Abhänge hinunter, werden in Steinbrüchen krachend gesprengt, in gigantischen Maschinen knirschend zermahlen, zu Häusern verarbeitet, nach nur wenigen Jahrzehnten von schwerem Gerät wummernd wieder abgerissen und von Lastwagen auf riesige Müllhalden gekippt. Kossakovskys Kameramann Ben Bernhard fängt das mal en détail, mal in majestätischen Luftaufnahmen ein. Im Zusammenspiel mit Evgueni Galperines orchestraler Musik gerät auch dieser Film Kossakovskys zu einem sinnlichen Erlebnis, das zwischen Sogwirkung, Kontemplation und Erhabenheit aus der sicheren Distanz des Kinosessels heraus schwankt.

Abermals unvermittelt ins Geschehen geworfen und ohne einordnenden Kommentar, erschließt sich auch bei "Architecton" der Inhalt erst sukzessive: Es geht nicht nur um den "Lebensweg" von Steinen, sondern auch ums Bauen und um die Verantwortung des Berufsbilds, der diesem Film den Namen gibt. In schwarz-weißen, von den Kupferstichen Giovanni Battista Piranesis inspirierten und von einer sphärischen Klangkulisse umfangenen Aufnahmen stellt der Regisseur die Jahrtausende überdauernde Bauten neben zeitgenössische Bauruinen – und wirft dadurch indirekt die Frage nach einer nachhaltigeren Architektur und menschlicher Verschwendungssucht auf.

Ganz am Ende ordnet der italienische Architekt Michele De Lucchi, der dem Film als loser Protagonist dient und unter anderem im libanesischen Baalbek ungelösten Rätseln römischer Baukunst nachforscht, das zuvor Gezeigte, ja das mit Augen und Ohren Erlebte ein: Unsere Ressourcen sind endlich. Um eine Welt mit bald zehn Milliarden Menschen lebenswert zu machen, bedarf es eines Umdenkens in Architektur und Bauwesen.

Fazit: Nach zuletzt "Aquarela" (2018) und "Gunda" (2020) liefert Victor Kossakovsky mit "Architecton" die nächste dokumentarische Meisterleistung ab. Der Film über die Verwertungskette von Steinen und den Sinn und Unsinn unseres zeitgenössischen Bauwesens ist ein wohlkomponiertes sinnliches Erlebnis und in sich selbst ein kleines Kunstwerk.




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Zum Video: Architecton

Besetzung & Crew von "Architecton"

Land: Deutschland, Frankreich
Jahr: 2024
Genre: Dokumentation
Länge: 97 Minuten
FSK: 0
Kinostart: 03.10.2024
Regie: Victor Kossakovsky
Darsteller: Michele De Lucchi
Kamera: Ben Bernhard
Verleih: Neue Visionen

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