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FBW-Bewertung: Die Fotografin (2023)

Prädikat besonders wertvoll

Jurybegründung: Der Nachwelt bekannt ist die Fotografin Lee Miller vor allem durch ein Bild, das sie badend in Hitlers Badewanne zeigt, aufgenommen 1945 in Hitlers Wohnung in München. Tatsächlich zählt zu Millers Hauptwerk die Berichterstattung aus dem Zweiten Weltkrieg. Damals war sie als Kriegskorrespondentin der Vogue zunächst in Frankreich eingesetzt und lieferte dem Magazin später auch Bildreportagen aus dem besiegten Deutschland.

Ellen Kuras? Biopic DIE FOTOGRAFIN setzt allerdings gut 10 Jahre zuvor ein. Damals ist Miller Teil der Künstler-Bohéme in Frankreichs Süden. Sie ist Fotokünstlerin, sie modelt und sie philosophiert über die Kunst, das Leben und die Liebe. Nichts lässt darauf schließen, dass diese Frau einige Jahre später Kriegskorrespondentin werden soll. Aber, das wird die Biographie ergeben, Lee Miller ist eine Frau, die gerne von einem Extrem ins andere gesprungen ist.

DIE FOTOGRAFIN ist ein klassisches und überzeugend umgesetztes Biopic. Jede Einstellung ist überlegt, jede Szene geplant, jedes Bild wahrlich toll angelegt. Das irritiert die Jury ein wenig, da der Film zeitweilig in die eigenen Bilder selbstverliebt wirkt. Selbst die eine oder andere Unordnung wirkt arrangiert, ja sogar überästhetisiert. Doch diese Bilder erinnern auch daran, dass Lee Miller eine Fotokünstlerin war. Auf diese Fotokunst wollte die Regisseurin Ellen Kuras ein Pendant in ihren Bildern finden, außerdem gilt es zu bedenken, dass Regisseurin Kuras eigentlich selber Kamerafrau ist und mit DIE FOTOGRAFIN ihr Debüt als Regisseurin gegeben hat. Ein wahrlich solides Debüt. Nur hin und wieder hätte sich die Jury tatsächlich ein wenig mehr Provokation, ein wenig mehr von dem, was Millers Leben tatsächlich ausgezeichnet hat, gewünscht, eben eine visionäre Perspektive.

Kate Winslet macht sich in der Rolle der Lee Miller hervorragend. In der Tat scheint der ganze Film um sie herum inszeniert und wird dadurch auch zu einer Verneigung vor der Schauspielerin. Winslet vermag die Rolle auszufüllen, verleiht ihr ? im wahrsten Sinne des Wortes ? Charakter. She owns the scene! Ihre Interpretation von Lee Miller ist genauso rau wie einfühlsam, vor allem dann, wenn es um die Verletzbarkeit von Frauen geht. Etwas, das Lee Miller bei der Befreiung Frankreichs und den ersten Aufnahmen in den deutschen Konzentrationslagern beständig erfahren haben muss. Eine weise Entscheidung, dass Ellen Kuras Lee Millers beständigen Begleiter und Mitberichterstatter David Sherman als Kontrapunkt begreift. Andy Samberg spielt einen ruhigen und vermittelnden Menschen, der mit Millers Temperament umzugehen vermag und es auch ab und an im Zaum zu halten.

Ein wenig irritiert zeigte sich die Jury zunächst durch die Intermezzi mit dem jungen Zeitungsjournalisten Antony. Dass er sie gut 30 Jahre nach Kriegsende aufsucht, schien der Jury dramaturgisch zunächst verunglückt. Erst zum Ende des Films erklärt sich der Sinn dieser Rahmenhandlung, die dann einen höchst menschlichen Blickwinkel auf das Leben der Lee Miller preisgibt.

DIE FOTOGRAFIN ist ein bemerkenswertes Werk über eine bemerkenswerte Frau und ? so gibt die Jury zu bedenken ? ein wichtiges Zeitdokument. Nach Sichtung des Films, auch das ergab die Diskussion, fühlte sich die Jury geradezu aufgefordert, das umfangreiche Fotoarchiv der Lee Miller anzuschauen und sich ein eigenes Bild dieser in vieler Hinsicht Avantgardefotografin zu machen. Nach umfangreicher Diskussion kommt die Jury dann auch zu dem Entschluss, Ellen Kuras? DIE FOTOGRAFIN mit dem Prädikat BESONDERS WERTVOLL auszuzeichnen.



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