E.1027 - Eileen Gray und das Haus am Meer (2024)
E.1027 - Eileen Gray and the House by the Sea
In diesem Schweizer Dokumentarfilm begeben sich Beatrice Minger und Christoph Schaub auf die Spuren Eileen Grays und ihres auratischen Hauses.Kritiker-Film-Bewertung:User-Film-Bewertung :
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Auf der Suche nach einem Rückzugsort findet die irische Designerin und Architektin Eileen Gray (1878–1976) einen unbebauten Flecken Erde an der Côte d'Azur. Dort, in der Gemeinde Roquebrune-Cap-Martin errichtet sie zwischen 1926 und 1929 mit ihrem damaligen Lebenspartner, dem rumänischstämmigen Journalisten und Architekten Jean Badovici (1893–1956) ein Haus, das heute zu den Ikonen der modernen Architektur zählt. Nur wenige Meter über dem Felsufer gegenüber der Bucht von Monaco gelegen, soll dieses Haus keine "Wohnmaschine" im Sinne Le Corbusiers (1887–1965) sein. Die menschlichen Bedürfnisse sollen im Mittelpunkt stehen. Gray und Badovici taufen es auf den Namen "E.1027".
Hinter dem Buchstaben- und Zahlenspiel verbergen sich beider Namen. Das E steht für Eileen, die 10 für den zehnten Buchstaben des Alphabets, also für ein J und somit für Jean, die 2 für Badovici und die 7 für Gray. Als Le Corbusier, der mit beiden befreundet ist, von dem Haus Wind bekommt, kann er nicht mehr davon lassen. Nachdem sich Gray und Badovici getrennt haben und Gray in ein anderes Haus in den Hügeln über der Stadt gezogen ist, nutzt Le Corbusier die Chance, die Wände in "E.1027" mit Fresken zu überziehen. Für Gray kommt das Vandalismus gleich. Nach Badovicis Tod wechselt das Haus mehrfach den Besitzer, bevor es schließlich leer steht und von Hausbesetzern schwer beschädigt wird. Nach einer aufwendigen Restaurierung steht es seit 2021 als Museum Besuchern offen.
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Filmkritik
"E.1027": Wohn(t)raum statt Wohnmaschine
Fast zeitgleich zum Kinostart dieses Films wurde das Jugendwort 2024 gewählt, das wiederum wunderbar zum Film passt: Aura. Damit ist weder die griechische Göttin der Morgenbrise gemeint noch der Heiligenschein in der Kunst, sondern die positive Ausstrahlung, die eine Person hat. Dass eine Aura, die andere fasziniert und anzieht, nicht nur Menschen, sondern auch Gegenstände und Orte umgeben kann, liegt auf der Hand. Der Philosoph Walter Benjamin (1892–1940) widmete sich ihr in einem Aufsatz. In "Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit" (1935) stellt er die These auf, dass Kunstwerke durch die massenhafte Reproduktion, etwa durch Fotografien und Filme, ihre Aura verlören.
Wie auratisch das von Eileen Gray gemeinsam mit Jean Badovici errichtete Haus "E.1027" ist, zeigen nicht nur die wunderschönen Bilder von Beatrice Mingers und Christoph Schaubs Dokumentarfilm, sondern allein schon die Tatsache, wie besessen der Stararchitekt Le Corbusier von dem Gebäude war. Ironischerweise ist es aber gerade nicht der Dokumentarfilm, also nicht die technische Reproduktion des Hauses im benjaminschen Sinn, die dessen Aura zerstört, sondern es waren Le Corbusiers dem Haus aufgezwungene Fresken, die ihm viel von seiner ursprünglichen Ausstrahlung stahlen.
Einfache Formen, klare Funktion
Der Name Eileen Gray dürfte vielen nichts sagen, ihr bekanntestes Designobjekt werden jedoch viele kennen. Kein Designführer, der etwas auf sich hält, kommt ohne den höhenverstellbaren Beistelltisch aus, den Gray für ihr Haus am Meer entworfen hat und der denselben Namen trägt. In vielen Wohnzimmern ist er bis heute zu finden. In Reclams "Klassiker des Produktdesigns" ist über den Tisch "E.1027" Folgendes zu lesen, das Grays Credo perfekt zusammenfasst: "Mit ihrer Architektur wie auch mit ihren Möbelentwürfen zielte Gray auf flexible Nutzungsmöglichkeiten […]". Die klaren Formen, die eine Funktion erfüllen, stellen auch Beatrice Minger und ihr Co-Regisseur Christoph Schaub in ihrem Film heraus. Sie hatten die Gelegenheit, direkt vor Ort zu drehen und nutzen diese Chance eindrucksvoll. Wenn ihr Kameramann Ramon Giger die Räume durchmisst, elegant durch sie hindurch gleitet und den fließenden Übergang zwischen dem Innen und Außen dieses Bauwerks offenbart, dann überträgt sich dessen Aura mühelos in den Kinosaal.
Poetische Mischform
Ein Dokumentarfilm im klassischen Sinn ist dieser Film über einen Klassiker der Architektur und dessen Schöpferin allerdings nicht – was ihn letzten Endes noch schöner macht. Das Regiegespann hat sich für eine Mischform aus Dokumentarfilm, Dokufiktion und filmischem Essay entschieden. Natalie Radmall-Quirke schlüpft in die Rolle von Eileen Gray, Axel Moustache verkörpert Jean Badovici, Charles Morillon Le Corbusier. Dieses ungleiche Trio ist mal an Originalschauplätzen an der Côte d'Azur zu sehen, mal bewegt es sich durch kunstvoll angefertigte Kulissen, die sich absichtsvoll als solche zu erkennen geben. Im Zusammenspiel mit der Musik, einem originellen Klangteppich und einem lyrisch aus dem Off vorgetragenen inneren Monolog machen sie den Film zu einem vergleichbar eleganten Kunstwerk wie dasjenige, von dem er handelt.
Hinter der ästhetisch ansprechenden Fassade dieses Hauses verbergen sich allerdings nicht nur Genie, Esprit und Lebensfreude, sondern auch die hässliche Fratze von Egoismus, Narzissmus und Machismo. Wie Le Corbusier es nicht verwinden konnte, dass eine Frau in der Lage war, ein Haus zu entwerfen, das viele Beobachter ihm zuschrieben und wie er es daraufhin vollkommen vereinnahmte, bis es beinahe zu seinem Haus wurde, das ist eine selten erzählte Episode aus dem Leben des berühmten Architekten und eine Lehrstunde über die Funktionsweisen toxischer Männlichkeit. Zum Glück ist es aber nur eine von vielen Episoden und Erkenntnissen dieses Films. Denn im Zentrum steht nicht der sich stets in den Vordergrund drängende Le Corbusier, sondern Eileen Gray. Eine der Erkenntnisse nach dem Kinobesuch ist, dass diese beeindruckende Künstlerin und ihr Werk unbedingt eine Wiederentdeckung wert sind.
Fazit: Worum es in diesem Film geht, erklärt bereits sein Titel. In "E.1027 – Eileen Gray und das Haus am Meer" erkunden Beatrice Minger und Christoph Schaub das Leben eben jener Designerin und Architektin und die Aura ihres berühmtgewordenen Hauses am Meer. Die Mischung aus Dokumentarfilm, Dokufiktion und Essay ist dabei ebenso elegant wie das Haus, von dem sie handelt.
Fast zeitgleich zum Kinostart dieses Films wurde das Jugendwort 2024 gewählt, das wiederum wunderbar zum Film passt: Aura. Damit ist weder die griechische Göttin der Morgenbrise gemeint noch der Heiligenschein in der Kunst, sondern die positive Ausstrahlung, die eine Person hat. Dass eine Aura, die andere fasziniert und anzieht, nicht nur Menschen, sondern auch Gegenstände und Orte umgeben kann, liegt auf der Hand. Der Philosoph Walter Benjamin (1892–1940) widmete sich ihr in einem Aufsatz. In "Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit" (1935) stellt er die These auf, dass Kunstwerke durch die massenhafte Reproduktion, etwa durch Fotografien und Filme, ihre Aura verlören.
Wie auratisch das von Eileen Gray gemeinsam mit Jean Badovici errichtete Haus "E.1027" ist, zeigen nicht nur die wunderschönen Bilder von Beatrice Mingers und Christoph Schaubs Dokumentarfilm, sondern allein schon die Tatsache, wie besessen der Stararchitekt Le Corbusier von dem Gebäude war. Ironischerweise ist es aber gerade nicht der Dokumentarfilm, also nicht die technische Reproduktion des Hauses im benjaminschen Sinn, die dessen Aura zerstört, sondern es waren Le Corbusiers dem Haus aufgezwungene Fresken, die ihm viel von seiner ursprünglichen Ausstrahlung stahlen.
Einfache Formen, klare Funktion
Der Name Eileen Gray dürfte vielen nichts sagen, ihr bekanntestes Designobjekt werden jedoch viele kennen. Kein Designführer, der etwas auf sich hält, kommt ohne den höhenverstellbaren Beistelltisch aus, den Gray für ihr Haus am Meer entworfen hat und der denselben Namen trägt. In vielen Wohnzimmern ist er bis heute zu finden. In Reclams "Klassiker des Produktdesigns" ist über den Tisch "E.1027" Folgendes zu lesen, das Grays Credo perfekt zusammenfasst: "Mit ihrer Architektur wie auch mit ihren Möbelentwürfen zielte Gray auf flexible Nutzungsmöglichkeiten […]". Die klaren Formen, die eine Funktion erfüllen, stellen auch Beatrice Minger und ihr Co-Regisseur Christoph Schaub in ihrem Film heraus. Sie hatten die Gelegenheit, direkt vor Ort zu drehen und nutzen diese Chance eindrucksvoll. Wenn ihr Kameramann Ramon Giger die Räume durchmisst, elegant durch sie hindurch gleitet und den fließenden Übergang zwischen dem Innen und Außen dieses Bauwerks offenbart, dann überträgt sich dessen Aura mühelos in den Kinosaal.
Poetische Mischform
Ein Dokumentarfilm im klassischen Sinn ist dieser Film über einen Klassiker der Architektur und dessen Schöpferin allerdings nicht – was ihn letzten Endes noch schöner macht. Das Regiegespann hat sich für eine Mischform aus Dokumentarfilm, Dokufiktion und filmischem Essay entschieden. Natalie Radmall-Quirke schlüpft in die Rolle von Eileen Gray, Axel Moustache verkörpert Jean Badovici, Charles Morillon Le Corbusier. Dieses ungleiche Trio ist mal an Originalschauplätzen an der Côte d'Azur zu sehen, mal bewegt es sich durch kunstvoll angefertigte Kulissen, die sich absichtsvoll als solche zu erkennen geben. Im Zusammenspiel mit der Musik, einem originellen Klangteppich und einem lyrisch aus dem Off vorgetragenen inneren Monolog machen sie den Film zu einem vergleichbar eleganten Kunstwerk wie dasjenige, von dem er handelt.
Hinter der ästhetisch ansprechenden Fassade dieses Hauses verbergen sich allerdings nicht nur Genie, Esprit und Lebensfreude, sondern auch die hässliche Fratze von Egoismus, Narzissmus und Machismo. Wie Le Corbusier es nicht verwinden konnte, dass eine Frau in der Lage war, ein Haus zu entwerfen, das viele Beobachter ihm zuschrieben und wie er es daraufhin vollkommen vereinnahmte, bis es beinahe zu seinem Haus wurde, das ist eine selten erzählte Episode aus dem Leben des berühmten Architekten und eine Lehrstunde über die Funktionsweisen toxischer Männlichkeit. Zum Glück ist es aber nur eine von vielen Episoden und Erkenntnissen dieses Films. Denn im Zentrum steht nicht der sich stets in den Vordergrund drängende Le Corbusier, sondern Eileen Gray. Eine der Erkenntnisse nach dem Kinobesuch ist, dass diese beeindruckende Künstlerin und ihr Werk unbedingt eine Wiederentdeckung wert sind.
Fazit: Worum es in diesem Film geht, erklärt bereits sein Titel. In "E.1027 – Eileen Gray und das Haus am Meer" erkunden Beatrice Minger und Christoph Schaub das Leben eben jener Designerin und Architektin und die Aura ihres berühmtgewordenen Hauses am Meer. Die Mischung aus Dokumentarfilm, Dokufiktion und Essay ist dabei ebenso elegant wie das Haus, von dem sie handelt.
Falk Straub
TrailerAlle "E.1027 - Eileen Gray und das Haus am Meer"-Trailer anzeigen
Besetzung & Crew von "E.1027 - Eileen Gray und das Haus am Meer"
Land: SchweizJahr: 2024
Genre: Dokumentation
Originaltitel: E.1027 - Eileen Gray and the House by the Sea
Länge: 89 Minuten
Kinostart: 24.10.2024
Regie: Beatrice Minger, Christoph Schaub
Darsteller: Eileen Gray als Eileen Gray, Charles Morillon als Le Corbusier, Axel Moustache als Jean Badovici, Natalie Radmall-Quirke als Eileen Gray
Kamera: Ramon Giger
Verleih: Rise and Shine Cinema