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FBW-Bewertung: For the Time Being (2024)

Prädikat besonders wertvoll

Jurybegründung: In FOR THE TIME BEING der Dokumentarfilmerin Nele Dehnenkamp geht es um Dauer, um Zeit ? genauer um die Zwischenzeit: das Leben im Vorläufigen und Unvollendeten. Seit vielen Jahren versucht die Amerikanerin Michelle, die Unschuld ihres inhaftierten Mannes Jermaine zu beweisen. Wegen vorsätzlicher Tötung wurde er 1998 zu 22 Jahren bis lebenslänglich verurteilt. Inzwischen sind neue Dokumente aufgetaucht, die Michelles Bemühungen um die Freilassung ihres Mannes befeuern und ihr neue Hoffnung geben. Die Möglichkeit einer Aussetzung der Strafe auf Bewährung steht an. Wir erleben mit ihr mehrere Jahre des bangen Wartens, der Suche und der Entbehrung, bis sich schließlich die Tore des Gefängnisses öffnen.
In FOR THE TIME BEING hat die Filmemacherin Nele Dehnenkamp zusammen mit ihrer Protagonistin über mehrere Jahre als Langzeitbeobachtung gedreht. Vom ersten Bild an fällt die im stark beengten Bildformat 4:3 umgesetzte, sehr ästhetische Bildgestaltung auf. Eine oft sommerliche Farbpallette und eine gelungene Kadrierung wirken manchmal geradezu kontrapunktisch idyllisch zum eigentlichen Geschehen. Diaeffekte in der Montage und Polaroids als wiederkehrende Zäsuren werden genutzt, um die vergehende Zeit zu vermitteln.
FOR THE TIME BEING ist ein Film über das Warten und die Hoffnung. Es ist ein lebensbejahender Film angesichts einer ungerechten Welt. Was ein dokumentarischer Thriller über einen unermüdlichen Kampf gegen das US-amerikanische Justizsystem sein könnte, legt sein Interesse deutlich auf die geduldige Protagonistin, beobachtet ihren Alltag und zeigt, was es bedeutet, jahrelang auf seinen Partner warten zu müssen.
Die Jury empfand den Film teilweise als bewegend ? aber andererseits auch als herausfordernd und etwas langatmig. Die einen betonten, die Längen begründeten sich durch die Thematik, welche einen langen Atem bräuchte. Andere dagegen betrachteten ihn als zu lang, er plätschere dahin. In jedem Fall fordere der Film das Durchhaltevermögen des Publikums. Man muss ihn ebenso ?durchstehen? wie die Protagonistin ihr Warten.
Zweifellos behandelt der Film ein wichtiges Thema. Konsens in der Jury war der Respekt vor der Langzeitbeobachtung, die als Basis für den Film diente. Zudem werden hier unbekannte Aspekte des US-Justizsystems aufgedeckt. Und wir erleben noch einmal die US-amerikanische Sicht auf die Zeit der Pandemie und den Beginn der Black Lives Matter-Bewegung.
Kritisch wurden von der Jury die vielen Ellipsen im Umgang mit der Hintergrundgeschichte gesehen, von der man wenig erfährt. Die Figuren haben ein Geheimnis, doch was erzählt der Film von diesen Figuren? Selten vermittelt er ein Verständnis ? was hält das Paar zusammen? Allenfalls die Telefonate liefern Hinweise. Zeitabschnitte lassen sich nur erahnen.
Ausdrücklich gelobt wurde die sorgfältige Bildgestaltung und der subtile und minimalistische Soundtrack. Angesichts seiner soziologischen Motivation leuchtet ein, dass es hier um die Beziehung, nicht um die Schuldfrage geht. Dabei erscheint die Inszenierung nie aktivistisch aufgeregt, sondern bleibt offen, um weitere Fragen aufzuwerfen.
Die Jury hat den Film lange diskutiert und erteilt ihm in Abwägung aller Argumente und in Hervorhebung der erzählerischen und inszenatorischen Qualitäten gerne das Prädikat BESONDERS WERTVOLL.



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