For the Time Being (2024)
In diesem deutschen Dokumentarfilm begleitet die Regisseurin Nele Dehnenkamp eine Amerikanerin, die für die vorzeitige Haftentlassung ihres Ehemanns kämpft.Kritiker-Film-Bewertung:User-Film-Bewertung :
Filmsterne von 1 bis 5 dürfen vergeben werden, wobei 1 die schlechteste und 5 die beste mögliche Bewertung ist. Es haben insgesamt 10 Besucher eine Bewertung abgegeben.
Michelle Bastien-Archer führt eine außergewöhnliche Ehe, wie sie selbst immer wieder betont. Ihren Jugendfreund Jermaine Archer heiratete sie nicht etwa in einer Kirche, sondern im Besuchsraum eines Gefängnisses. Jermaine sitzt wegen Mordes im berühmt-berüchtigten Gefängnis Sing Sing, gute 50 Kilometer von New York City entfernt, eine 22-jährige Haftstrafe ab. Laut Jermaine wurde er zu Unrecht verurteilt. Nach zehn Jahren tauchen neue Beweise auf, mit denen Michelle seine Unschuld zu beweisen versucht.
Quasi nebenbei hält die alleinerziehende Mutter mit ihrer Arbeit als Malerin und Anstreicherin sich selbst, ihren Sohn Paul und Tochter Kaylea über Wasser. Ihr eigenes Privatleben ist ganz auf das Gefängnisleben Jermaines ausgerichtet. In ihrer Freizeit tauscht sich Michelle mit anderen Frauen, deren Männer ebenfalls im Gefängnis sitzen, aus, organisiert Demonstrationen und Info-Veranstaltungen, besucht Jermaine in Sing Sing oder erwartet sehnsüchtig dessen nächsten Telefonanruf.
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Filmkritik
"For the Time Being": Das Leben der Angehörigen
Nele Dehnenkamp hat Sozialwissenschaften in Berlin und New York sowie Dokumentarfilmregie an der Filmakademie Baden-Württemberg studiert. "For the Time Being", der über einen Zeitraum von neun Jahren entstanden ist, ist ihr Abschlussfilm. Es sei "ein Lehrstück über Ausdauer", sagt Dehnenkamp und bezeichnet damit zum einen den langen Arbeitsprozess an ihrem Film, zum anderen den darin dokumentierten Kampf von Michelle Bastien-Archer.
Kennengelernt hat die Filmemacherin ihre Protagonistin während ihrer Zeit in New York. Damals "setzte sie sich wissenschaftlich mit dem Justizsystem der USA auseinander", heißt es im Presseheft zum Film. Anders als in vielen Filmen über das US-amerikanische Justiz- und Gefängnissystem üblich spielt der Inhaftierte in Dehnenkamps Film nur eine untergeordnete Rolle. "For the Time Being" konzentriert sich stattdessen voll und ganz darauf, was eine Inhaftierung mit den Leben der Angehörigen macht.
Perspektivwechsel mit Stärken und Schwächen
Formal hat die Langfilmdebütantin einen beobachtend-subjektiven Modus gewählt. Auf Erklärungen und einen Kommentar verzichtet sie ebenso wie auf Expertenstimmen und klassisch geführte Interviews. Alles, was im Film gesagt wird, entsteht aus den Situationen heraus, in denen sich Michelle Bastien-Archer befindet. Die im Film geäußerten Gedanken sind allesamt ihre. Dieser personenbezogene Ansatz, der der Protagonistin bereits durch die Wahl des schmalen Filmformats ausgesprochen nahekommt, hat Stärken und Schwächen.
Wie sehr das eigene Leben an der Seite eines Inhaftierten durch dessen Gefängnisstrafe in Mitleidenschaft gezogen wird, das lässt sich in "For the Time Being" förmlich hautnah nachvollziehen. Obwohl sie selbst auf freiem Fuß ist, sitzt Michelle Bastien-Archer mit ihrem Ehemann Jermaine quasi mit in Haft, so sehr kreisen ihre Gedanken um ihn, so sehr ist ihr ganzer Alltag auf ihn ausgerichtet. Was durch diese verengte Perspektive aber beinahe vollkommen verloren geht, ist der Blick fürs große Ganze.
Viele offene Fragen
All die unzähligen systemischen Fehler und Ungerechtigkeiten, die ein thematisch ähnlich gelagerter Dokumentarfilm wie Ava DuVernays "Der 13." (2016) akribisch herausarbeitet, lassen sich in "For the Time Being" nur zwischen den Zeilen erahnen. Viele Fragen – beispielsweise die, wie sich Michelle ihr Leben mit zwei Kindern und einem Job als Anstreicherin überhaupt finanzieren kann oder was aus den früh im Film neu aufgetauchten Beweisen wird und warum diese nicht zu einer früheren Haftentlassung Jermaines führen – bleiben unbeantwortet. Auch wie Michelles Kinder mit der Inhaftierung ihres Stiefvaters umgehen, dürfen diese nie direkt adressieren. Statt sich selbst dazu zu äußern, ist es stets die Mutter, die die Gefühle ihrer Kinder in ihren eigenen Worten wiedergibt. So unmittelbar die subjektive Perspektive im Fall von Michelle auch ist, bei allen anderen Beteiligten steht diese Form der indirekten Vermittlung der Unmittelbarkeit im Weg.
Fazit: "For the Time Being" ist Nele Dehnenkamps Abschlussfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg und ein packendes Debüt. Die Doku lässt einen hautnah miterleben, wie das Leben der Angehörigen eines Inhaftierten durch dessen Haft in Mitleidenschaft gezogen wird. Die subjektive Sicht dieses ganz auf seine Protagonistin konzentrierten Films hat jedoch ihren Preis. Die Gefühle und Gedanken aller anderen wirken stets ein wenig zu vermittelt. Und der Blick fürs große Ganze geht durch die verengte Perspektive verloren.
Nele Dehnenkamp hat Sozialwissenschaften in Berlin und New York sowie Dokumentarfilmregie an der Filmakademie Baden-Württemberg studiert. "For the Time Being", der über einen Zeitraum von neun Jahren entstanden ist, ist ihr Abschlussfilm. Es sei "ein Lehrstück über Ausdauer", sagt Dehnenkamp und bezeichnet damit zum einen den langen Arbeitsprozess an ihrem Film, zum anderen den darin dokumentierten Kampf von Michelle Bastien-Archer.
Kennengelernt hat die Filmemacherin ihre Protagonistin während ihrer Zeit in New York. Damals "setzte sie sich wissenschaftlich mit dem Justizsystem der USA auseinander", heißt es im Presseheft zum Film. Anders als in vielen Filmen über das US-amerikanische Justiz- und Gefängnissystem üblich spielt der Inhaftierte in Dehnenkamps Film nur eine untergeordnete Rolle. "For the Time Being" konzentriert sich stattdessen voll und ganz darauf, was eine Inhaftierung mit den Leben der Angehörigen macht.
Perspektivwechsel mit Stärken und Schwächen
Formal hat die Langfilmdebütantin einen beobachtend-subjektiven Modus gewählt. Auf Erklärungen und einen Kommentar verzichtet sie ebenso wie auf Expertenstimmen und klassisch geführte Interviews. Alles, was im Film gesagt wird, entsteht aus den Situationen heraus, in denen sich Michelle Bastien-Archer befindet. Die im Film geäußerten Gedanken sind allesamt ihre. Dieser personenbezogene Ansatz, der der Protagonistin bereits durch die Wahl des schmalen Filmformats ausgesprochen nahekommt, hat Stärken und Schwächen.
Wie sehr das eigene Leben an der Seite eines Inhaftierten durch dessen Gefängnisstrafe in Mitleidenschaft gezogen wird, das lässt sich in "For the Time Being" förmlich hautnah nachvollziehen. Obwohl sie selbst auf freiem Fuß ist, sitzt Michelle Bastien-Archer mit ihrem Ehemann Jermaine quasi mit in Haft, so sehr kreisen ihre Gedanken um ihn, so sehr ist ihr ganzer Alltag auf ihn ausgerichtet. Was durch diese verengte Perspektive aber beinahe vollkommen verloren geht, ist der Blick fürs große Ganze.
Viele offene Fragen
All die unzähligen systemischen Fehler und Ungerechtigkeiten, die ein thematisch ähnlich gelagerter Dokumentarfilm wie Ava DuVernays "Der 13." (2016) akribisch herausarbeitet, lassen sich in "For the Time Being" nur zwischen den Zeilen erahnen. Viele Fragen – beispielsweise die, wie sich Michelle ihr Leben mit zwei Kindern und einem Job als Anstreicherin überhaupt finanzieren kann oder was aus den früh im Film neu aufgetauchten Beweisen wird und warum diese nicht zu einer früheren Haftentlassung Jermaines führen – bleiben unbeantwortet. Auch wie Michelles Kinder mit der Inhaftierung ihres Stiefvaters umgehen, dürfen diese nie direkt adressieren. Statt sich selbst dazu zu äußern, ist es stets die Mutter, die die Gefühle ihrer Kinder in ihren eigenen Worten wiedergibt. So unmittelbar die subjektive Perspektive im Fall von Michelle auch ist, bei allen anderen Beteiligten steht diese Form der indirekten Vermittlung der Unmittelbarkeit im Weg.
Fazit: "For the Time Being" ist Nele Dehnenkamps Abschlussfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg und ein packendes Debüt. Die Doku lässt einen hautnah miterleben, wie das Leben der Angehörigen eines Inhaftierten durch dessen Haft in Mitleidenschaft gezogen wird. Die subjektive Sicht dieses ganz auf seine Protagonistin konzentrierten Films hat jedoch ihren Preis. Die Gefühle und Gedanken aller anderen wirken stets ein wenig zu vermittelt. Und der Blick fürs große Ganze geht durch die verengte Perspektive verloren.
Falk Straub
FBW-Bewertung zu "For the Time Being"Jurybegründung anzeigen
In FOR THE TIME BEING der Dokumentarfilmerin Nele Dehnenkamp geht es um Dauer, um Zeit ? genauer um die Zwischenzeit: das Leben im Vorläufigen und Unvollendeten. Seit vielen Jahren versucht die Amerikanerin Michelle, die Unschuld ihres inhaftierten [...mehr]TrailerAlle "For the Time Being"-Trailer anzeigen
Besetzung & Crew von "For the Time Being"
Land: DeutschlandJahr: 2024
Genre: Dokumentation
Länge: 90 Minuten
FSK: 0
Kinostart: 18.04.2024
Regie: Nele Dehnenkamp
Darsteller: Kaylea Scott, Jermaine Archer, Michelle Bastien-Archer
Kamera: Nele Dehnenkamp
Verleih: Across Nations