Ich Capitano (2023)
Io Capitano
In diesem italienischen Drama folgt Regisseur Matteo Garrone zwei von den Newcomern Seydou Sarr und Moustapha Fall gespielten Jugendlichen auf ihrem Weg vom Senegal bis nach Italien.Kritiker-Film-Bewertung:User-Film-Bewertung :
Filmsterne von 1 bis 5 dürfen vergeben werden, wobei 1 die schlechteste und 5 die beste mögliche Bewertung ist. Es haben insgesamt 2 Besucher eine Bewertung abgegeben.
Seydou (Seydou Sarr) und Moussa (Moustapha Fall) wollen weg. Die zwei Jugendlichen, die in Senegals Hauptstadt Dakar Tür an Tür wohnen, möchten ihre Heimat hinter sich lassen und nach Europa, wo sie von einer Karriere als Musiker träumen. Dafür schuften sie Tag für Tag heimlich auf dem Bau, um das nötige Geld für ihre Reise zusammenzukratzen. Ihren Familien verschweigen sie ihre Pläne.
Allen Warnungen zum Trotz brechen sie eines Nachts auf. Ihr Weg durch die Wüste und über das Mittelmeer steckt voller Gefahren und Halsabschneider. Sie geraten an einen wuchernden Passfälscher, an korrupte Polizisten, brutale Menschenhändler und skrupellose Schlepper. Die beschwerliche Reise wird immer mehr zum Kampf ums Überleben.
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Filmkritik
"Ich Capitano": Traumhafte Odyssee
"Io Capitano", brüllt der von Seydou Sarr gespielte Protagonist dieses Films an dessen Ende gegen den Lärm eines herannahenden Helikopters an. Auf der Brücke eines klapprigen Kutters stehend wiederholt er immer wieder diesen einen Satz, der dem neuen Drama des italienischen Regisseurs Matteo Garrone seinen Namen gibt. Dass Seydou von den libyschen Schleppern zum Kapitän dieser schwimmenden Nussschale auserkoren wurde, um einen Haufen Geflüchtete über das Mittelmeer bis nach Italien zu führen, hatte einen ebenso simplen wie skrupellosen Grund: Seydou ist erst 16 Jahre alt und als Minderjähriger nicht haftbar. Wenn er diese Worte nun beinahe wie ein Mantra vor sich hersagt, dann hat das allerdings nichts mit einer Furcht vor Strafverfolgung zu tun. Nach der Odyssee, die der Jugendliche hinter sich hat, schwingt echter Stolz in seiner Stimme mit. Allen Unwägbarkeiten zum Trotz ist es ihm gelungen, alle Passagiere heil nach Europa zu bringen. Garrone wiederum gelingt es, diese Odyssee eindrucksvoll in Szene zu setzen.
Neue Facetten der Flucht
"Ich Capitano" ist nicht der erste italienische Film, der von diesem drängenden Thema erzählt. Die Parallelen zu Jonas Carpignanos Drama "Mediterranea" (2015) – von der Inspirationsquelle über den Inhalt und die Wahl der Schauspieler bis hin zum Motiv auf dem Filmplakat – sind offensichtlich. Und doch gewinnt Matteo Garrone dem Stoff noch neue Facetten ab. Die Handlung von "Mediterranea" setzte unvermittelt und mitten auf dem Weg nach Europa ein, "Ich Capitano" zeigt auch das Davor.
Das Drehbuch, das aus den Erfahrungsberichten verschiedener Geflüchteter entstand, macht das Leben in Senegals Hauptstadt Dakar anschaulich. In seiner Inszenierung und dank der talentierten Nachwuchsschauspieler Seydou Sarr und Moustapha Fall arbeitet Garrone die Mischung aus Perspektivlosigkeit, Blauäugigkeit und jugendlichem Leichtsinn glaubhaft heraus. Sowohl der Regisseur als auch sein Hauptdarsteller wurden dafür bei den 80. Internationalen Filmfestspielen von Venedig, wo das Drama im Wettbewerb um den Goldenen Löwen konkurrierte, mit einem Preis bedacht.
Surreale Einschübe, betörende Bilder
Auch für einen Golden Globe und einen Oscar als bester internationaler Film war "Ich Capitano" nominiert (zog allerdings gegen "Anatomie eines Falls" bei den Globes und bei den Oscars gegen "The Zone of Interest" den Kürzeren). Und man sieht auf den ersten Blick, warum. Der Inhalt ist politisch relevant. Die ins Surreale abdriftenden Bilder sind atemberaubend. Letztere bergen allerdings ein Problem.
Matteo Garrone ist ein Schöpfer betörender Bilderwelten. Selbst seinen Filmen, die von sozialen Brennpunkten erzählen wie etwa "Gomorrha – Reise in das Reich der Camorra" (2008) oder "Dogman" (2018), haftet etwas (Alb-)Traumhaftes, Märchenhaftes, der Welt Entrücktes an. In "Das Märchen der Märchen" (2015) und "Pinocchio" (2019) versank er vollkommen in visuellen Einfällen. Und selbst in der Fluchtgeschichte in "Ich Capitano" flüchtet sich Garrone in den Vorstellungen, Träumen und Halluzinationen seines Protagonisten immer wieder dorthin. Dann erscheint Seydou beispielsweise eine in der Wüste zum Sterben zurückgelassene Frau als eine Art schwebender Engel, der sein schlechtes Gewissen beruhigt.
Szenen wie diese rücken die Odyssee der Geflüchteten in die Nähe des Magischen Realismus. Und durch das Objektiv des Kameramanns Paolo Carnera strahlt die Wüste so wunderschön wie in "Lawrence von Arabien" (1962) in den Kinosaal. Vom nahezu dokumentarischen Stil von "Mediterranea" könnte das kaum weiter entfernt sein. Angesichts dessen verwundert Garrones Aussage, er habe die Arbeit der Filmcrew unsichtbar machen wollen, "als ob sich die Geschichte von selbst erzählen würde". Denn der betriebene Aufwand hinter den atemberaubenden Bildern ist jeder Einstellung anzusehen. Die opulente Optik wiederum lenkt stellenweise vom Inhalt ab. Das Thema ist drängend, verliert durch Garrones poetische Aufbereitung allerdings einiges von seiner Dringlichkeit.
Fazit: Matteo Garrones für einen Oscar nominiertes Drama ist eine opulente Fluchtgeschichte. Das Thema des Films ist politisch relevant, die Nachwuchsschauspieler sind beeindruckend und die Inszenierung ist makellos. Durch die betörenden Bilder und die surrealen, poetischen Einschübe läuft der italienische Regisseur aber auch immer Gefahr, von der Dringlichkeit seiner Geschichte abzulenken.
"Io Capitano", brüllt der von Seydou Sarr gespielte Protagonist dieses Films an dessen Ende gegen den Lärm eines herannahenden Helikopters an. Auf der Brücke eines klapprigen Kutters stehend wiederholt er immer wieder diesen einen Satz, der dem neuen Drama des italienischen Regisseurs Matteo Garrone seinen Namen gibt. Dass Seydou von den libyschen Schleppern zum Kapitän dieser schwimmenden Nussschale auserkoren wurde, um einen Haufen Geflüchtete über das Mittelmeer bis nach Italien zu führen, hatte einen ebenso simplen wie skrupellosen Grund: Seydou ist erst 16 Jahre alt und als Minderjähriger nicht haftbar. Wenn er diese Worte nun beinahe wie ein Mantra vor sich hersagt, dann hat das allerdings nichts mit einer Furcht vor Strafverfolgung zu tun. Nach der Odyssee, die der Jugendliche hinter sich hat, schwingt echter Stolz in seiner Stimme mit. Allen Unwägbarkeiten zum Trotz ist es ihm gelungen, alle Passagiere heil nach Europa zu bringen. Garrone wiederum gelingt es, diese Odyssee eindrucksvoll in Szene zu setzen.
Neue Facetten der Flucht
"Ich Capitano" ist nicht der erste italienische Film, der von diesem drängenden Thema erzählt. Die Parallelen zu Jonas Carpignanos Drama "Mediterranea" (2015) – von der Inspirationsquelle über den Inhalt und die Wahl der Schauspieler bis hin zum Motiv auf dem Filmplakat – sind offensichtlich. Und doch gewinnt Matteo Garrone dem Stoff noch neue Facetten ab. Die Handlung von "Mediterranea" setzte unvermittelt und mitten auf dem Weg nach Europa ein, "Ich Capitano" zeigt auch das Davor.
Das Drehbuch, das aus den Erfahrungsberichten verschiedener Geflüchteter entstand, macht das Leben in Senegals Hauptstadt Dakar anschaulich. In seiner Inszenierung und dank der talentierten Nachwuchsschauspieler Seydou Sarr und Moustapha Fall arbeitet Garrone die Mischung aus Perspektivlosigkeit, Blauäugigkeit und jugendlichem Leichtsinn glaubhaft heraus. Sowohl der Regisseur als auch sein Hauptdarsteller wurden dafür bei den 80. Internationalen Filmfestspielen von Venedig, wo das Drama im Wettbewerb um den Goldenen Löwen konkurrierte, mit einem Preis bedacht.
Surreale Einschübe, betörende Bilder
Auch für einen Golden Globe und einen Oscar als bester internationaler Film war "Ich Capitano" nominiert (zog allerdings gegen "Anatomie eines Falls" bei den Globes und bei den Oscars gegen "The Zone of Interest" den Kürzeren). Und man sieht auf den ersten Blick, warum. Der Inhalt ist politisch relevant. Die ins Surreale abdriftenden Bilder sind atemberaubend. Letztere bergen allerdings ein Problem.
Matteo Garrone ist ein Schöpfer betörender Bilderwelten. Selbst seinen Filmen, die von sozialen Brennpunkten erzählen wie etwa "Gomorrha – Reise in das Reich der Camorra" (2008) oder "Dogman" (2018), haftet etwas (Alb-)Traumhaftes, Märchenhaftes, der Welt Entrücktes an. In "Das Märchen der Märchen" (2015) und "Pinocchio" (2019) versank er vollkommen in visuellen Einfällen. Und selbst in der Fluchtgeschichte in "Ich Capitano" flüchtet sich Garrone in den Vorstellungen, Träumen und Halluzinationen seines Protagonisten immer wieder dorthin. Dann erscheint Seydou beispielsweise eine in der Wüste zum Sterben zurückgelassene Frau als eine Art schwebender Engel, der sein schlechtes Gewissen beruhigt.
Szenen wie diese rücken die Odyssee der Geflüchteten in die Nähe des Magischen Realismus. Und durch das Objektiv des Kameramanns Paolo Carnera strahlt die Wüste so wunderschön wie in "Lawrence von Arabien" (1962) in den Kinosaal. Vom nahezu dokumentarischen Stil von "Mediterranea" könnte das kaum weiter entfernt sein. Angesichts dessen verwundert Garrones Aussage, er habe die Arbeit der Filmcrew unsichtbar machen wollen, "als ob sich die Geschichte von selbst erzählen würde". Denn der betriebene Aufwand hinter den atemberaubenden Bildern ist jeder Einstellung anzusehen. Die opulente Optik wiederum lenkt stellenweise vom Inhalt ab. Das Thema ist drängend, verliert durch Garrones poetische Aufbereitung allerdings einiges von seiner Dringlichkeit.
Fazit: Matteo Garrones für einen Oscar nominiertes Drama ist eine opulente Fluchtgeschichte. Das Thema des Films ist politisch relevant, die Nachwuchsschauspieler sind beeindruckend und die Inszenierung ist makellos. Durch die betörenden Bilder und die surrealen, poetischen Einschübe läuft der italienische Regisseur aber auch immer Gefahr, von der Dringlichkeit seiner Geschichte abzulenken.
Falk Straub
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Besetzung & Crew von "Ich Capitano"
Land: Italien, Belgien, FrankreichJahr: 2023
Genre: Drama
Originaltitel: Io Capitano
Länge: 121 Minuten
Kinostart: 04.04.2024
Regie: Matteo Garrone
Darsteller: Seydou Sarr als Seydou, Moustapha Fall als Moussa, Isaka Sawadogo als Martin, Hichem Yacoubi als Ahmed, Doodou Sagna als Charlatan
Kamera: Paolo Carnera
Verleih: X Verleih
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