Kraft der Utopie - Leben mit Le Corbusier in Chandigarh (2023)
In diesem Schweizer Dokumentarfilm geht das Regieduo Karin Bucher und Thomas Karrer der Frage nach, was von Le Corbusiers Utopie einer Planstadt im indischen Chandigarh heute noch geblieben ist.Kritiker-Film-Bewertung:User-Film-Bewertung :
Filmsterne von 1 bis 5 dürfen vergeben werden, wobei 1 die schlechteste und 5 die beste mögliche Bewertung ist. Es haben insgesamt 1 Besucher eine Bewertung abgegeben.
Der schweizerisch-französische Architekt Le Corbusier (1887–1965) zählt zu den bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts. Auf der Liste des UNESCO-Welterbes stehen 17 seiner Bauwerke. Eines davon ist der Regierungskomplex in der indischen Stadt Chandigarh, für die 1952 der Grundstein gelegt wurde. Obwohl ein Teil dieses Komplexes auf dem Schweizer 10-Franken-Schein zu sehen ist, ist die Stadt selbst, die Le Corbusier unter anderem mit seinem Cousin Pierre Jeanneret geplant an, in der Schweiz kaum bekannt. Die Filmschaffenden Karin Bucher und Thomas Karrer wollen das ändern.
Für ihren Dokumentarfilm sind sie nach Chandigarh gereist und haben die Stadt und ihre Bewohner gefilmt. Vor der Kamera nehmen unter anderem Platz: der Schauspieler und Straßenclown G. S. Channi (1951–2021), die Architektin und Direktorin des "Le Corbusier Centre" Deepika Gandhi, der Architekt und Dozent an der Hochschule für Architektur Siddhartha Wig, der Architekt und Zeitzeuge S.D. Sharma sowie der pensionierte Beamte Narinder Singh International, der sich inzwischen als Stadtführer betätigt.
Bildergalerie zum Film "Kraft der Utopie - Leben mit Le Corbusier in Chandigarh"
Filmkritik
"Kraft der Utopie": Luft zum Atmen, Ruhe zum Denken, Raum zum Leben
Moderne Planstädte haben einen schlechten Ruf. Nicht natürlich gewachsen und auf einen Schlag aus dem Boden gestampft, werden sie gern als "Retortenstädte" abqualifiziert. Dass diese Orte auch ausgesprochen lebenswert sein können, veranschaulicht der neue Dokumentarfilm von Karin Bucher und Thomas Karrer. Die zwei haben das nordindische Chandigarh mit der Kamera erschlossen. Die nach Plänen des Architekten Le Corbusier Anfang der 1950er-Jahre errichtete neue Hauptstadt der Bundesstaaten Punjab und Haryana zählt inzwischen zu den beliebtesten Großstädten des Landes und der Regierungskomplex zum UNESCO-Welterbe.
Unter den Bewohnern Chandigarhs herrscht Einigkeit. Der Beiname "City Beautiful" kommt nicht von ungefähr. Ausnahmslos alle, die in "Kraft der Utopie" vor der Kamera Platz nehmen, sprechen die Natur, die Weite und die Ruhe ihres Zuhauses an – und ziehen Schlüsse, was diese Architektur mit den Menschen mache. Ein im Film oft vorgetragenes Argument, das für Städte wie Chandigarh spräche, ist folgende Annahme: Wo keine enge und lärmende Betriebsamkeit wie in anderen Millionenstädten herrsche, hätten die Menschen Luft zum Atmen und ihr Geist ausreichend Raum, sich zu entfalten. Doch 70 Jahre nach seiner Geburt stößt dieses Konzept an seine Grenzen.
Grenzen durch Wachstum
Bucher und Karrer ziehen ihren Dokumentarfilm klassisch auf. Vermittels Archivmaterial und Interviews mit Zeitzeugen und Experten zeichnen sie auf einer Erzählebene die Geschichte der noch jungen Stadt nach. Auf einer zweiten Ebene klopfen sie in unserer Gegenwart die vor 70 Jahren formulierte Utopie auf ihre Richtigkeit ab. Hierbei stellt sich sukzessive heraus, dass es gerade Le Corbusiers eigene Vorstellungen sind, die seiner Utopie im Weg stehen. Der große Denker war radikal und ließ in seiner Engstirnigkeit oftmals den nötigen Weitblick vermissen. Ausgerechnet von ihm auferlegte Regelungen und Beschränkungen, die in einem Edikt festgehalten wurden, hindern die Stadt an einem natürlichen und vor allem gesunden Wachstum. Der Erfolg dieser Planstadt wurde vom Segen zum Fluch. Denn mittlerweile setzte wie überall auf der Welt Gentrifizierung ein. Die Mieten in Chandigarh sind vielerorts unerschwinglich geworden und an den Rändern der Stadt haben sich Slums gebildet.
Viele der interviewten Personen sprechen diesen unglücklichen Umstand an, einige davon kritisieren Le Corbusier und plädieren dafür, das Idol vom Sockel zu holen, ohne dessen Utopie zu verwerfen. Vielmehr gehe es darum, sie im Sinne des Architekten weiterzuentwickeln und den Gegebenheiten unserer Gegenwart anzupassen. Antworten darauf, wie dies aussehen könnte, bleibt der Film allerdings schuldig – und verschenkt damit die Gelegenheit, nicht nur die Vergangenheit nach- und den Status quo aufzuzeichnen, sondern auch einen Blick in die Zukunft zu werfen.
Fazit: Am nordindischen Chandigarh hat das Regieduo Karin Bucher und Thomas Karrer besonders der Aspekt einer Planstadt "als Labor für ein neues Zusammenleben" interessiert. Hinsichtlich dieser Fragestellung ist ihr Dokumentarfilm "Kraft der Utopie – Leben mit Corbusier in Chandigarh" geglückt. Er zeigt auf, wie eine Utopie über einen langen Zeitraum erfolgreich aufrechterhalten werden kann und welches Potenzial darin auch für unsere eigene europäische Stadtplanung schlummert. In Bezug auf gegenwärtige und zukünftige Herausforderungen bleibt der Film hingegen entscheidende Antworten schuldig.
Moderne Planstädte haben einen schlechten Ruf. Nicht natürlich gewachsen und auf einen Schlag aus dem Boden gestampft, werden sie gern als "Retortenstädte" abqualifiziert. Dass diese Orte auch ausgesprochen lebenswert sein können, veranschaulicht der neue Dokumentarfilm von Karin Bucher und Thomas Karrer. Die zwei haben das nordindische Chandigarh mit der Kamera erschlossen. Die nach Plänen des Architekten Le Corbusier Anfang der 1950er-Jahre errichtete neue Hauptstadt der Bundesstaaten Punjab und Haryana zählt inzwischen zu den beliebtesten Großstädten des Landes und der Regierungskomplex zum UNESCO-Welterbe.
Unter den Bewohnern Chandigarhs herrscht Einigkeit. Der Beiname "City Beautiful" kommt nicht von ungefähr. Ausnahmslos alle, die in "Kraft der Utopie" vor der Kamera Platz nehmen, sprechen die Natur, die Weite und die Ruhe ihres Zuhauses an – und ziehen Schlüsse, was diese Architektur mit den Menschen mache. Ein im Film oft vorgetragenes Argument, das für Städte wie Chandigarh spräche, ist folgende Annahme: Wo keine enge und lärmende Betriebsamkeit wie in anderen Millionenstädten herrsche, hätten die Menschen Luft zum Atmen und ihr Geist ausreichend Raum, sich zu entfalten. Doch 70 Jahre nach seiner Geburt stößt dieses Konzept an seine Grenzen.
Grenzen durch Wachstum
Bucher und Karrer ziehen ihren Dokumentarfilm klassisch auf. Vermittels Archivmaterial und Interviews mit Zeitzeugen und Experten zeichnen sie auf einer Erzählebene die Geschichte der noch jungen Stadt nach. Auf einer zweiten Ebene klopfen sie in unserer Gegenwart die vor 70 Jahren formulierte Utopie auf ihre Richtigkeit ab. Hierbei stellt sich sukzessive heraus, dass es gerade Le Corbusiers eigene Vorstellungen sind, die seiner Utopie im Weg stehen. Der große Denker war radikal und ließ in seiner Engstirnigkeit oftmals den nötigen Weitblick vermissen. Ausgerechnet von ihm auferlegte Regelungen und Beschränkungen, die in einem Edikt festgehalten wurden, hindern die Stadt an einem natürlichen und vor allem gesunden Wachstum. Der Erfolg dieser Planstadt wurde vom Segen zum Fluch. Denn mittlerweile setzte wie überall auf der Welt Gentrifizierung ein. Die Mieten in Chandigarh sind vielerorts unerschwinglich geworden und an den Rändern der Stadt haben sich Slums gebildet.
Viele der interviewten Personen sprechen diesen unglücklichen Umstand an, einige davon kritisieren Le Corbusier und plädieren dafür, das Idol vom Sockel zu holen, ohne dessen Utopie zu verwerfen. Vielmehr gehe es darum, sie im Sinne des Architekten weiterzuentwickeln und den Gegebenheiten unserer Gegenwart anzupassen. Antworten darauf, wie dies aussehen könnte, bleibt der Film allerdings schuldig – und verschenkt damit die Gelegenheit, nicht nur die Vergangenheit nach- und den Status quo aufzuzeichnen, sondern auch einen Blick in die Zukunft zu werfen.
Fazit: Am nordindischen Chandigarh hat das Regieduo Karin Bucher und Thomas Karrer besonders der Aspekt einer Planstadt "als Labor für ein neues Zusammenleben" interessiert. Hinsichtlich dieser Fragestellung ist ihr Dokumentarfilm "Kraft der Utopie – Leben mit Corbusier in Chandigarh" geglückt. Er zeigt auf, wie eine Utopie über einen langen Zeitraum erfolgreich aufrechterhalten werden kann und welches Potenzial darin auch für unsere eigene europäische Stadtplanung schlummert. In Bezug auf gegenwärtige und zukünftige Herausforderungen bleibt der Film hingegen entscheidende Antworten schuldig.
Falk Straub
TrailerAlle "Kraft der Utopie - Leben mit Le Corbusier in Chandigarh"-Trailer anzeigen
Besetzung & Crew von "Kraft der Utopie - Leben mit Le Corbusier in Chandigarh"
Land: SchweizJahr: 2023
Genre: Dokumentation
Kinostart: 22.02.2024
Regie: Thomas Karrer, Karin Bucher
Verleih: Real Fiction