FBW-Bewertung: Treasure - Familie ist ein fremdes Land (2024)
Prädikat besonders wertvoll
Jurybegründung: Ruth Rothwax versteht nicht, warum ihr Vater Edek sich auf ihrer Reise durch Polen weigert, mit der Eisenbahn zu fahren. Dass der Auschwitzüberlebende damals auf einer tagelangen, fürchterlichen Zugfahrt in das Vernichtungslager transportiert wurde und der Eisenbahnzug so bei ihm traumatische Erinnerungen auslöst, wird ihr und wohl auch den meisten Zuschauer*innen erst viel später im Laufe des Films klar. Und so können wir diese Erkenntnis mit ihr teilen. Darum ist wichtig, dass in TREASURE fast ausschließlich aus der Perspektive der Tochter von dieser Reise erzählt wird. In dem Film, der auf der autobiografischen Romanvorlage von Lily Brett basiert, macht die jüdische Tochter zusammen mit ihrem Vater eine Reise in dessen Heimatland. Sie will ihre Familiengeschichte aufarbeiten und hat einen genauen Reiseplan entworfen, der sie zu den historischen Orten der Judenvernichtung in Polen führen soll. Doch ihr Vater versucht diese Reise zu sabotieren, denn für ihn ist diese Heimkehr ein sehr schmerzhafter Prozess. Wie Ruth dies langsam erkennt und die beiden dadurch gemeinsam lernen, dieses Trauma, unter dem beide ganz unterschiedlich leiden, zu verarbeiten ? davon erzählt dieser Film. Julia von Heinz inszeniert die berührende Familiengeschichte sehr nuanciert. In dem von ihr selbst geschriebenen Drehbuch und in ihrer Inszenierung vermeidet sie melodramatische Effekte und dramaturgische Zuspitzungen. Stattdessen konzentriert sie sich auf die Charakterzeichnung ihrer beiden Protagonisten. Ruth ist eine New Yorker Stadtneurotikerin, die lehrbuchmäßig ihre jüdischen Wurzeln kennenlernen will (nicht umsonst liest sie ständig Bücher über den Holocaust) während Edek so tut, als wäre dies eine ganz normale Reise, auf der er sich vergnügen will. Doch man merkt, dass er damit versucht, eine Fassade aufrechtzuerhalten und zwar nicht nur vor seiner Tochter, sondern auch vor sich selbst. Wie jeder guter Reisefilm handelt auch TREASURE von einer inneren Reise und diese ist vor allem deswegen so bewegend, weil Lena Dunham und Stephen Fry die Tochter und den Vater so natürlich und humorvoll verkörpern. Beide haben selbst eine jüdische Lebensgeschichte, und man spürt, dass sie bei ihren Darstellungen auch aus eigenen Erfahrungen schöpfen. Nebenbei vermittelt der Film auch noch einen authentischen Eindruck vom Polen kurz nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. Aber vor allem geht es darum, wie unterschiedlich Menschen mit ihren persönlichen Verletzungen durch den Holocaust umgehen und wie diese Traumata auch die nachfolgenden Generationen prägen können. In TREASURE wird davon mit einer erstaunlichen Leichtigkeit erzählt, und gerade dadurch gelingt es Julia von Heinz, diesen Menschen und ihrer Geschichte mit ihrem Film gerecht zu werden.
Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)