Treasure - Familie ist ein fremdes Land (2024)
Treasure
Im neuen Drama von Regisseurin Julia von Heinz machen sich Lena Dunham und Stephen Fry als ungleiches Tochter-Vater-Gespann auf die Suche nach ihren familiären Wurzeln.Kritiker-Film-Bewertung:User-Film-Bewertung :
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Die US-Journalistin Ruth Rothwax (Lena Dunham) macht mit ihrem Vater Edek (Stephen Fry) ganz schön was mit. Minutiös hat sie eine gemeinsame Reise nach Polen, dem Geburtsland des Vaters, geplant, die das ungleiche Paar kurz nach dem Fall des Eisernen Vorhangs antritt. Doch schon am Ankunftsflughafen ist Edek zu spät und danach will er partout nicht in den Zug steigen, für den Ruth bereits die Tickets gekauft hat. Stattdessen heuert Edek den Taxifahrer Stefan (Zbigniew Zamachowski) an, der Vater und Tochter in der folgenden Woche durch die Gegend kutschiert.
Ruth will Edeks Wurzeln nachspüren, weil sie von ihren Eltern so gut wie nichts über ihre Familiengeschichte erfahren hat. Besuche von Edeks Heimatstadt Łódz und der Gedenkstätte des Konzentrationslagers Auschwitz stehen auf dem Programm, das Edek mit Sarkasmus und der ihm eigenen Lebensfreude zu torpedieren versucht. Während der Vater, der das KZ als einziger aus seiner Familie nur knapp überlebte, die Vergangenheit begraben lassen will, gräbt seine Tochter immer tiefer.
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Filmkritik
"Treasure": Versöhnlicher Vater-Tochter-Trip
Für die Regisseurin Julia von Heinz schließt sich mit ihrem neuen Film ein Kreis. Bereits das Debüt der gebürtigen Berlinerin schaffte es zur Berlinale. Ihr erster abendfüllender Spielfilm "Was am Ende zählt" (2007) feierte in der Reihe Perspektive deutsches Kino Premiere. Im Februar 2024 kehrte von Heinz mit "Treasure" zu den Filmfestspielen zurück. Der Perspektive deutsches Kino ist sie freilich lange schon entwachsen.
"Treasure", der den Abschluss ihrer "Aftermath-Trilogie" bildet und zugleich von Heinz' erster englischsprachiger Film ist, war im Rahmen der Berlinale Special Gala zu sehen, hätte aber auch gut ins Wettbewerbsprogramm gepasst. Denn das Familiendrama, das auf dem Roman "Too Many Men" (1999) der australisch-amerikanischen Schriftstellerin Lily Brett basiert, vermag es, die Gegenwart mit der Vergangenheit und das Private mit dem Politischen zu verschränken, ohne dabei zu plakativ oder pathetisch zu werden.
Ein weiter Weg, an dessen Ende sich alles fügt
Bis hierhin war es ein weiter und vor allem abwechslungsreicher Weg. Denn so richtig einordnen lässt sich diese Filmemacherin nicht. Die erwähnte Trilogie, zu der neben "Treasure" die Dramen "Und morgen die ganze Welt" (2020) und "Hannas Reise" (2013) zählen und die sich mit den Auswirkungen des Holocaust auf die Gesellschaft auseinandersetzt, machen von Heinz zu einer politischen Filmemacherin. Dass sie aber auch in der Lage ist, leichte Unterhaltung zu produzieren, die die Kinokassen klingeln lässt, hat sie mit den Auftragsarbeiten "Hanni & Nanni 2" (2012) und "Ich bin dann mal Weg" (2015), der Adaption von Hape Kerkelings gleichnamigem Bestseller, bewiesen. In ihrem jüngsten Film fügen sich nun alle Wegmarken auf wundersame Weise zusammen.
Wie "Hanni & Nanni 2" und "Ich bin dann mal Weg" handelt es sich auch bei "Treasure" um eine Literaturadaption. Dass sich Julia von Heinz die Rechte an der Buchvorlage aber überhaupt sichern konnte, hat sie letzten Endes einem ihrer Filme zu verdanken. Von Haus aus ein großer Fan der Schriftstellerin Lily Brett – von Heinz' Mutter hatte jedes ihrer Bücher im Regal stehen –, hat sich die Regisseurin früh um die Filmrechte bemüht und die Autorin unter vier Augen überzeugt. "Als ich in New York im MoMa mit German Films meinen Film 'Hannas Reise' vorstellen durfte, konnte ich Lily Brett zu der Vorführung einladen, um sie persönlich kennenzulernen und ihr meine Arbeit zu zeigen. Danach haben wir den Zuschlag erhalten", erinnert sich die Regisseurin. Dass schließlich auch von Heinz' Wunsch einer englischsprachigen Umsetzung in Erfüllung gegangen ist, hat sie wiederum einem anderen Film zu verdanken: Die Teilnahme am Wettbewerb der Filmfestspiele von Venedig mit "Und morgen die ganze Welt" öffnete Türen, die es ihr ermöglichten, internationale Stars für das Projekt zu gewinnen.
Mit Lena Dunham und Stephen Fry hat Julia von Heinz die perfekten Hauptdarsteller gefunden. Eine bessere Besetzung für dieses so gegensätzliche Paar hätte man sich gar nicht vorstellen können. Dass beide durch ihre jüdische Herkunft einen besonderen Bezug zu dem Stoff haben, hat ihre Zusage erleichtert. Für Dunham spielte aber auch noch etwas ganz anderes eine entscheidende Rolle. "Um ehrlich zu sein, ist es sehr selten, dass mir Rollen mit Substanz angeboten werden, es sei denn, ich biete sie mir selbst an", sagt die Macherin der Erfolgsserie "Girls" (2012–2017), die nicht nur als Schauspielerin vor der Kamera steht, sondern auch schreibt, produziert und Regie führt; zuletzt bei dem köstlich gegen den Strich gebürsteten Historienfilm "Catherine, Lady wider Willen" (2022). Und sie fügt an: "Viele Frauen, unabhängig von ihrer Gestalt oder Größe oder ihrem religiösen oder ethnischen Hintergrund, haben den Eindruck, dass es einen Mangel an Figuren gibt, die ihre Wahrheit erzählen und ihnen erlauben, ein essenzieller Bestandteil einer Geschichte zu sein und nicht nur ein Accessoire oder Klischee."
Ein zartes, zum Zerreißen gespanntes Band
Bei der Berlinale kam "Treasure" nicht sonderlich gut an. In der nationalen wie internationalen Presse war viel davon die Rede, dass das Drama entweder komplett den falschen Ton treffe, zu selten den richtigen Ton treffe oder tonal zu sehr schwanke. Die einen fanden es "träge" und "emotional grau", andere zu "sentimental", viele "unausgegoren". Dabei ist Familie ja genau das: ein großes Durcheinander, in dem sich Familienmitglieder aneinander abarbeiten und im Eifer des Gefechts schon mal im Ton vergreifen.
Julia von Heinz, die das Drehbuch wie gewohnt mit ihrem Ehemann John Quester geschrieben hat, findet fantasievolle kleine Alltagsszenen, die das komplizierte Verhältnis zwischen Vater und Tochter ohne viele Worte auf den Punkt bringen. Wie Dunham und Fry dieses zarte, zum Zerreißen gespannte familiäre Band auf die Leinwand zaubern, ist ganz wunderbar. Das in Sepiatönen gehaltene Drama, dessen Farbgebung die Zeit spiegelt, in der es spielt, trifft indessen jederzeit den richtigen Ton. Und Julia von Heinz findet Komik in der Tragik et vice versa.
Fazit: "Treasure" bildet den Abschluss von Julia von Heinz' "Aftermath-Trilogie" über die Nachwirkungen des Holocaust auf unsere Gesellschaft – und die Wahl dieses Stoffs mag manche verblüffen. Denn auf das atemlose und ungestüme Antifa-Drama "Und morgen die ganze Welt" folgt ein Familiendrama, das einen völlig anderen Ton anschlägt: tragikomisch, melancholisch, zärtlich, die Schwere des Stoffs dabei aber nie außer Acht lassend.
Für die Regisseurin Julia von Heinz schließt sich mit ihrem neuen Film ein Kreis. Bereits das Debüt der gebürtigen Berlinerin schaffte es zur Berlinale. Ihr erster abendfüllender Spielfilm "Was am Ende zählt" (2007) feierte in der Reihe Perspektive deutsches Kino Premiere. Im Februar 2024 kehrte von Heinz mit "Treasure" zu den Filmfestspielen zurück. Der Perspektive deutsches Kino ist sie freilich lange schon entwachsen.
"Treasure", der den Abschluss ihrer "Aftermath-Trilogie" bildet und zugleich von Heinz' erster englischsprachiger Film ist, war im Rahmen der Berlinale Special Gala zu sehen, hätte aber auch gut ins Wettbewerbsprogramm gepasst. Denn das Familiendrama, das auf dem Roman "Too Many Men" (1999) der australisch-amerikanischen Schriftstellerin Lily Brett basiert, vermag es, die Gegenwart mit der Vergangenheit und das Private mit dem Politischen zu verschränken, ohne dabei zu plakativ oder pathetisch zu werden.
Ein weiter Weg, an dessen Ende sich alles fügt
Bis hierhin war es ein weiter und vor allem abwechslungsreicher Weg. Denn so richtig einordnen lässt sich diese Filmemacherin nicht. Die erwähnte Trilogie, zu der neben "Treasure" die Dramen "Und morgen die ganze Welt" (2020) und "Hannas Reise" (2013) zählen und die sich mit den Auswirkungen des Holocaust auf die Gesellschaft auseinandersetzt, machen von Heinz zu einer politischen Filmemacherin. Dass sie aber auch in der Lage ist, leichte Unterhaltung zu produzieren, die die Kinokassen klingeln lässt, hat sie mit den Auftragsarbeiten "Hanni & Nanni 2" (2012) und "Ich bin dann mal Weg" (2015), der Adaption von Hape Kerkelings gleichnamigem Bestseller, bewiesen. In ihrem jüngsten Film fügen sich nun alle Wegmarken auf wundersame Weise zusammen.
Wie "Hanni & Nanni 2" und "Ich bin dann mal Weg" handelt es sich auch bei "Treasure" um eine Literaturadaption. Dass sich Julia von Heinz die Rechte an der Buchvorlage aber überhaupt sichern konnte, hat sie letzten Endes einem ihrer Filme zu verdanken. Von Haus aus ein großer Fan der Schriftstellerin Lily Brett – von Heinz' Mutter hatte jedes ihrer Bücher im Regal stehen –, hat sich die Regisseurin früh um die Filmrechte bemüht und die Autorin unter vier Augen überzeugt. "Als ich in New York im MoMa mit German Films meinen Film 'Hannas Reise' vorstellen durfte, konnte ich Lily Brett zu der Vorführung einladen, um sie persönlich kennenzulernen und ihr meine Arbeit zu zeigen. Danach haben wir den Zuschlag erhalten", erinnert sich die Regisseurin. Dass schließlich auch von Heinz' Wunsch einer englischsprachigen Umsetzung in Erfüllung gegangen ist, hat sie wiederum einem anderen Film zu verdanken: Die Teilnahme am Wettbewerb der Filmfestspiele von Venedig mit "Und morgen die ganze Welt" öffnete Türen, die es ihr ermöglichten, internationale Stars für das Projekt zu gewinnen.
Mit Lena Dunham und Stephen Fry hat Julia von Heinz die perfekten Hauptdarsteller gefunden. Eine bessere Besetzung für dieses so gegensätzliche Paar hätte man sich gar nicht vorstellen können. Dass beide durch ihre jüdische Herkunft einen besonderen Bezug zu dem Stoff haben, hat ihre Zusage erleichtert. Für Dunham spielte aber auch noch etwas ganz anderes eine entscheidende Rolle. "Um ehrlich zu sein, ist es sehr selten, dass mir Rollen mit Substanz angeboten werden, es sei denn, ich biete sie mir selbst an", sagt die Macherin der Erfolgsserie "Girls" (2012–2017), die nicht nur als Schauspielerin vor der Kamera steht, sondern auch schreibt, produziert und Regie führt; zuletzt bei dem köstlich gegen den Strich gebürsteten Historienfilm "Catherine, Lady wider Willen" (2022). Und sie fügt an: "Viele Frauen, unabhängig von ihrer Gestalt oder Größe oder ihrem religiösen oder ethnischen Hintergrund, haben den Eindruck, dass es einen Mangel an Figuren gibt, die ihre Wahrheit erzählen und ihnen erlauben, ein essenzieller Bestandteil einer Geschichte zu sein und nicht nur ein Accessoire oder Klischee."
Ein zartes, zum Zerreißen gespanntes Band
Bei der Berlinale kam "Treasure" nicht sonderlich gut an. In der nationalen wie internationalen Presse war viel davon die Rede, dass das Drama entweder komplett den falschen Ton treffe, zu selten den richtigen Ton treffe oder tonal zu sehr schwanke. Die einen fanden es "träge" und "emotional grau", andere zu "sentimental", viele "unausgegoren". Dabei ist Familie ja genau das: ein großes Durcheinander, in dem sich Familienmitglieder aneinander abarbeiten und im Eifer des Gefechts schon mal im Ton vergreifen.
Julia von Heinz, die das Drehbuch wie gewohnt mit ihrem Ehemann John Quester geschrieben hat, findet fantasievolle kleine Alltagsszenen, die das komplizierte Verhältnis zwischen Vater und Tochter ohne viele Worte auf den Punkt bringen. Wie Dunham und Fry dieses zarte, zum Zerreißen gespannte familiäre Band auf die Leinwand zaubern, ist ganz wunderbar. Das in Sepiatönen gehaltene Drama, dessen Farbgebung die Zeit spiegelt, in der es spielt, trifft indessen jederzeit den richtigen Ton. Und Julia von Heinz findet Komik in der Tragik et vice versa.
Fazit: "Treasure" bildet den Abschluss von Julia von Heinz' "Aftermath-Trilogie" über die Nachwirkungen des Holocaust auf unsere Gesellschaft – und die Wahl dieses Stoffs mag manche verblüffen. Denn auf das atemlose und ungestüme Antifa-Drama "Und morgen die ganze Welt" folgt ein Familiendrama, das einen völlig anderen Ton anschlägt: tragikomisch, melancholisch, zärtlich, die Schwere des Stoffs dabei aber nie außer Acht lassend.
Falk Straub
FBW-Bewertung zu "Treasure - Familie ist ein fremdes Land"Jurybegründung anzeigen
Ruth Rothwax versteht nicht, warum ihr Vater Edek sich auf ihrer Reise durch Polen weigert, mit der Eisenbahn zu fahren. Dass der Auschwitzüberlebende damals auf einer tagelangen, fürchterlichen Zugfahrt in das Vernichtungslager transportiert wurde [...mehr]TrailerAlle "Treasure - Familie ist ein fremdes Land"-Trailer anzeigen
Besetzung & Crew von "Treasure - Familie ist ein fremdes Land"
Land: Deutschland, FrankreichWeitere Titel: Iron Box (AT)
Jahr: 2024
Genre: Drama
Originaltitel: Treasure
Kinostart: 12.09.2024
Regie: Julia von Heinz
Darsteller: Lena Dunham als Ruth, Stephen Fry als Edek, Zbigniew Zamachowski, Wenanty Nosul als Antoni, Robert Besta als Hotel Manager
Kamera: Daniela Knapp
Verleih: Alamode Film