The Holdovers (2023)

Nach dem eher fragwürdigen "Downsizing" meldet sich Regisseur Alexander Payne in alter Form zurück: 20 Jahre nach "Sideways" ist es erneut Paul Giamatti, der die Hauptrolle für Payne spielt, der "The Holdovers" nach dem erstklassigen, teils autobiografischen Drehbuch von David Hemingson realisiert. Payne wählt einen bemerkenswerte, völlig anachronistischen Zugang, sowohl bei der Umsetzung der Erzählung, als auch in Bezug auf den Stil: Der Film spielt nicht nur 1970, er sieht auch aus, fühlt sich an wie ein Film aus dieser Zeit. Was hier ein Kompliment ist, denn die Realisierung - auch dank passendem Soundtrack - ist absolut stimmig.

"The Holdovers" zeichnet sich insbesondere in der ersten Stunde durch eine beinahe magische Atmosphäre aus: Payne gelingt es, dieses ungewöhnliche Setting - eine riesige, alte, elitäre Prep-School in New England, die über die Feiertage völlig leer ist - stimmungsvoll auf Bilder zu bannen, sodass man sich bald "zuhause" im Film fühlt, trotz (oder gerade wegen?) der melancholischen Grundstimmung. Auch die Interaktion der Hauptfiguren, wenngleich zu Beginn von Spannungen und Konflikten geprägt, fühlt sich bald auf schräge Art familiär an: Angus, Mary und Paul sind 3 Außenseiter, durch das Schicksal zusammengewürfelt, die es gegen intrapersonelle Widerstände schaffen, aus der Not eine Tugend zu machen. Alle 3 haben Ecken und Kanten, wirken echt und dabei sympathisch, sie werden geradezu als erzählerische Archetypen angelegt, die für sich selbst stehen, aber auch für mehr: Der zynische, kluge, gestrenge Lehrer, der hinter seiner bildungsbürgerlichen Fassade Enttäuschung über das Leben verbirgt; der clevere, talentierte Rebell, dessen inneren Kämpfe ungezügelt nach außen dringen, was seine Zukunft zu zerstören droht; die nach außen starke, robuste Frau, hinter deren Resolutheit sich unermesslicher Schmerz versteckt.

Es sind aber nicht nur diese Figuren, sondern auch die Darsteller, die sie zum Leben erwecken, die "The Holdovers" so sehenswert machen: Alle 3 Hauptcharaktere sind grandios dargestellt, jede Leistung ist für sich genommen bemerkenswert. Am wenigsten überrascht das bei Giamatti, dessen Schauspielkunst hinlänglich bekannt ist und die ihm in diesem Fall völlig zurecht bereits mehrere Preise eingebracht hat. Die absolute Überraschung ist der 21-jährige Dominic Sessa in seinem Filmdebüt, das ihn für weitere Rollen in anspruchsvollen Werken empfiehlt. Knapp überflügelt werden die beiden nur von Da'Vine Joy Randolph als Herz und Seele dieser ungewöhnlichen Ersatzfamilie: Preise für die beste weibliche Nebenrolle des Jahres sollten alternativlos an sie gehen (wenngleich sie angesichts ihrer Screentime eigentlich auch als Hauptdarstellerin in Frage kommen sollte).

"The Holdovers" kann sich auf all die essentiellen Bestandteile filmischen Erzählens verlassen: Ein gutes Drehbuch, eine kreative und gekonnte inszenatorische Umsetzung, große Darstellerleistungen, einen hörenswerten Soundtrack und jede Menge Atmosphäre. Der Film ist die Summe dieser einzelnen Teile, aber auch mehr als das: Er ergibt ein stimmiges Ganzes. Da ist es dann auch zweitrangig, dass er die Zeit, in der er spielt, wenig spezifisch in den Fokus nimmt oder kritisiert (etwa damalige Krisen der US-Gesellschaft, Krieg, Rassismus etc.). Das will man einem Film, der ganz nebenbei der wohl beste "Weihnachtsfilm" der letzten 10, 15 Jahre ist, aber nicht wirklich vorwerfen.

Fazit: Alexander Payne gelingt mit "The Holdovers" die Rückkehr zu alter Form und der erste, große Film des neuen Filmjahres: Ein fast aus der Zeit gefallenes Beispiel für klassisches Filmemachen mit einem Herz für "Außenseiter", das sich auf die essentiellen Bestanteile des Mediums besinnt und in nahezu allen Kategorien vollends überzeugt.

FBW-Bewertung zu "The Holdovers"Jurybegründung anzeigen

Alexander Paynes THE HOLDOVERS ist ein Film, der mit voller Absicht so wirken will, als sei er aus der Zeit gefallen: Der Plot spielt um die Jahreswende 1970/71, der Soundtrack, der Rhythmus seiner Erzählung und überhaupt die ganze Anmutung dessen, [...mehr]