White Angel - Das Ende von Marinka (2023)
White Angel - The End of Marinka
Deutscher Dokumentarfilm über die Evakuierung der ostukrainischen Stadt Marjinka.Kritiker-Film-Bewertung:User-Film-Bewertung :
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Bis zum Ausbruch des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine im Februar 2022 ist die nicht ganz 10.000 Einwohner zählende Stadt Marjinka in der Oblast Donezk im Osten des Landes ein beschauliches Örtchen. Bereits im Russisch-Ukrainischen Krieg 2014 war sie schwer umkämpft. Acht Jahre später gerät sie durch die russische Armee so stark und dauerhaft unter Artilleriebeschuss, dass inzwischen nichts mehr von der Stadt übrig ist.
Vasyl Pipa und Rustam Lukumsky sind zwei der Bewohner, die ihre Heimatstadt verloren haben. Als die Angriffe begannen, waren die beiden Polizisten dort auf Evakuierungsmission unterwegs. Mit einem Rettungswagen, der die Bezeichnung "Weißer Engel" erhielt, fuhren sie unermüdlich die Häuser ab, sammelten Fluchtwillige ein und brachten Verletzte ins Krankenhaus. Vasyls Helmkamera lief stets mit. Aus dem gefilmten Material und im Anschluss geführten Interviews hat der freie Journalist Arndt Ginzel einen Dokumentarfilm gemacht.
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Filmkritik
"White Angel": In Nahaufnahme durchs Kriegsgebiet
Manche Redensarten sind einem so in Fleisch und Blut übergegangen, dass man über ihre eigentliche Bedeutung gar nicht mehr nachdenkt. Eine Sache dem Erdboden gleichmachen ist so eine Redewendung. Wer wissen will, wie es aussieht, wenn eine ganze Stadt dem Erdboden gleichgemacht wird, der muss bis ganz zum Schluss dieses Dokumentarfilms ausharren. Dann blendet Regisseur Arndt Ginzel Bilder ein, die das ostukrainische Städtchen Marjinka (im Filmtitel "Marinka" geschrieben) nach der totalen Zerstörung durch die russische Armee zeigen. Kaum ein Stein steht noch auf dem anderen. Eine Mondlandschaft, die schlimmer als die zerbombten deutschen Städte am Ende des Zweiten Weltkriegs aussieht. Bis es so weit ist, benötigt man jedoch jede Menge Sitzfleisch und gute Nerven, denn Ginzel mutet seinem Publikum einiges zu.
Subjektive Sicht beinahe wie im Videospiel
Ginzel ist Autor und Investigativjournalist und kein Neuling, was Krisen- und Kriegsberichterstattung anbelangt. Den Angriff Russlands auf die Ukraine erlebte er hautnah mit, als er zu Recherchezwecken vor Ort war. Seither berichtet er von dort für verschiedene Redaktionen. Das Material, das der Polizist Vasyl Pipa bei der Evakuierung der Stadt Marjinka mit seiner Helmkamera aufgenommen und das Ginzel nun zu einem Dokumentarfilm zusammengefügt hat, ist ein Glücksfall für die Kriegsberichterstattung.
Es ist nur schwer vorstellbar, vergleichbar unmittelbare und intensive Bilder mit einer normalen, in der Hand gehaltenen Kamera zu erzielen. Eine eigens dafür abgestellte Kameraperson wäre schlicht und einfach zu oft untätig im Weg herum gestanden und dadurch fehl am Platz gewesen. Im Gegensatz dazu läuft die Helmkamera einfach mit – und liefert Ansichten, die durch ihre Egoperspektive nicht nur wiederholt an Computerspiele erinnern, sondern auch so ungefiltert sind, dass Vorsicht geboten ist, sich diese Gräuel zuzumuten. "White Angel" ist nichts für schwache Nerven und zurecht mit einer Triggerwarnung versehen.
Abnutzungserscheinung durch sich wiederholende Bilder
Ginzel ergänzt dieses direkt bei den Evakuierungen gefilmte Material mit einordnenden Interviews, die zu einem späteren Zeitpunkt geführt wurden. Darin schildern Vasyl Pipa und sein Kollege Rustam Lukumsky eindrücklich die Herausforderungen (als Polizisten sind sie beispielsweise keine ausgebildeten Sanitäter und können Verwundete nur notdürftig versorgen) und Belastungen ihrer Rettungsmission. Nicht minder bewegend sind die Aussagen der aus der Stadt evakuierten Bewohner.
Es ist allerdings fraglich, ob all dieses Material die Laufzeit von etwas mehr als 100 Minuten rechtfertigt. Denn die Bilder, so dramatisch sie auch sein mögen, wiederholen sich – und führen dadurch im Kleinen und im Schnelldurchlauf vor, wie mediale Themenmüdigkeit über einen längeren Zeitraum im Großen funktionieren kann. So wie die deutsche Öffentlichkeit inzwischen reservierter auf Nachrichten aus der Ukraine reagiert, ergeht es einem am Ende dieses Films. Die Bilder sind teils so ununterscheidbar, dass sie drohen, ihren Effekt zu verlieren.
Fazit: "White Angel" ist ein intensiver Dokumentarfilm, der die Lage an der ukrainischen Front mit unmittelbar eingefangenen und ungefilterten Bildern vermittelt. Doch so eindrücklich das Gezeigte auch ist, über eine Länge von 100 Minuten droht es, seinen Effekt zu verlieren. Eine kürzere Laufzeit beziehungsweise ein anderes Format, beispielsweise ein Fernsehbeitrag, wären für das zugrundeliegende Material wohl passender gewesen.
Manche Redensarten sind einem so in Fleisch und Blut übergegangen, dass man über ihre eigentliche Bedeutung gar nicht mehr nachdenkt. Eine Sache dem Erdboden gleichmachen ist so eine Redewendung. Wer wissen will, wie es aussieht, wenn eine ganze Stadt dem Erdboden gleichgemacht wird, der muss bis ganz zum Schluss dieses Dokumentarfilms ausharren. Dann blendet Regisseur Arndt Ginzel Bilder ein, die das ostukrainische Städtchen Marjinka (im Filmtitel "Marinka" geschrieben) nach der totalen Zerstörung durch die russische Armee zeigen. Kaum ein Stein steht noch auf dem anderen. Eine Mondlandschaft, die schlimmer als die zerbombten deutschen Städte am Ende des Zweiten Weltkriegs aussieht. Bis es so weit ist, benötigt man jedoch jede Menge Sitzfleisch und gute Nerven, denn Ginzel mutet seinem Publikum einiges zu.
Subjektive Sicht beinahe wie im Videospiel
Ginzel ist Autor und Investigativjournalist und kein Neuling, was Krisen- und Kriegsberichterstattung anbelangt. Den Angriff Russlands auf die Ukraine erlebte er hautnah mit, als er zu Recherchezwecken vor Ort war. Seither berichtet er von dort für verschiedene Redaktionen. Das Material, das der Polizist Vasyl Pipa bei der Evakuierung der Stadt Marjinka mit seiner Helmkamera aufgenommen und das Ginzel nun zu einem Dokumentarfilm zusammengefügt hat, ist ein Glücksfall für die Kriegsberichterstattung.
Es ist nur schwer vorstellbar, vergleichbar unmittelbare und intensive Bilder mit einer normalen, in der Hand gehaltenen Kamera zu erzielen. Eine eigens dafür abgestellte Kameraperson wäre schlicht und einfach zu oft untätig im Weg herum gestanden und dadurch fehl am Platz gewesen. Im Gegensatz dazu läuft die Helmkamera einfach mit – und liefert Ansichten, die durch ihre Egoperspektive nicht nur wiederholt an Computerspiele erinnern, sondern auch so ungefiltert sind, dass Vorsicht geboten ist, sich diese Gräuel zuzumuten. "White Angel" ist nichts für schwache Nerven und zurecht mit einer Triggerwarnung versehen.
Abnutzungserscheinung durch sich wiederholende Bilder
Ginzel ergänzt dieses direkt bei den Evakuierungen gefilmte Material mit einordnenden Interviews, die zu einem späteren Zeitpunkt geführt wurden. Darin schildern Vasyl Pipa und sein Kollege Rustam Lukumsky eindrücklich die Herausforderungen (als Polizisten sind sie beispielsweise keine ausgebildeten Sanitäter und können Verwundete nur notdürftig versorgen) und Belastungen ihrer Rettungsmission. Nicht minder bewegend sind die Aussagen der aus der Stadt evakuierten Bewohner.
Es ist allerdings fraglich, ob all dieses Material die Laufzeit von etwas mehr als 100 Minuten rechtfertigt. Denn die Bilder, so dramatisch sie auch sein mögen, wiederholen sich – und führen dadurch im Kleinen und im Schnelldurchlauf vor, wie mediale Themenmüdigkeit über einen längeren Zeitraum im Großen funktionieren kann. So wie die deutsche Öffentlichkeit inzwischen reservierter auf Nachrichten aus der Ukraine reagiert, ergeht es einem am Ende dieses Films. Die Bilder sind teils so ununterscheidbar, dass sie drohen, ihren Effekt zu verlieren.
Fazit: "White Angel" ist ein intensiver Dokumentarfilm, der die Lage an der ukrainischen Front mit unmittelbar eingefangenen und ungefilterten Bildern vermittelt. Doch so eindrücklich das Gezeigte auch ist, über eine Länge von 100 Minuten droht es, seinen Effekt zu verlieren. Eine kürzere Laufzeit beziehungsweise ein anderes Format, beispielsweise ein Fernsehbeitrag, wären für das zugrundeliegende Material wohl passender gewesen.
Falk Straub
TrailerAlle "White Angel - Das Ende von Marinka"-Trailer anzeigen
Besetzung & Crew von "White Angel - Das Ende von Marinka"
Land: DeutschlandJahr: 2023
Genre: Dokumentation
Originaltitel: White Angel - The End of Marinka
Länge: 103 Minuten
Kinostart: 19.10.2023
Regie: Arndt Ginzel
Kamera: Gerald Gerber
Verleih: Weltkino Filmverleih