Hör auf zu lügen (2021)

Stéphane Belcourt hat schon bessere Tage erlebt. Beruflich wie privat. Schreibblockaden und das Ende einer Beziehung sorgen für innere Kämpfe und emotionale Turbulenzen. Was er jedoch nicht ahnt: Noch wesentlich turbulenter wird es in seiner alten Heimat, die er über 35 Jahre nicht besucht hat. Alte Wunden brechen auf und die Erinnerungen an die große Liebe werden auf schmerzhafte Weise zu Tage gefördert. Guillaume de Tonquédec spielt diesen innerlich zerrissenen Mann mit viel Ausdruck und glaubwürdiger Haltung.

Widerstreitende Gefühle

Ein großer Vorteil ist, dass Olivier Peyon seinen Figuren charakterliche Entwicklungen zugesteht. Sowohl Stéphane wie auch Lucas (einnehmend und charismatisch: Victor Belmondo). Ganz langsam beginnen die beiden Männer zu realisieren, was Thomas jeweils für den anderen bedeutete. Und welche Rolle er im Leben der Männer gespielt hat. Bei allen anfänglichen Differenzen und Enttäuschungen stellen sie schließlich fest, dass Thomas auf fast dieselbe Art mit ihnen umgegangen ist. Beide, seinen Freund und später seinen Sohn, hat Thomas wortlos verlassen. Im Stich gelassen und sich auf und davon gemacht.

"Hör auf zu lügen" ist insgesamt ein angenehm zurückhaltender, abwartender Film. Ruhig und diskret, was sich unter anderem an der sorgsam eingebauten Musik zeigt. Die Flachbacks ins Frankreich der 80er-Jahre und damit in die Zeit der Affäre zwischen den zwei damals 17-jährigen Teenagern, verknüpft Peyon an intelligenten, sorgfältig ausgewählten Stellen mit der filmischen Gegenwart. Die Momente zwischen Stéphane und Thomas fängt er zudem mit Respekt und erstaunlicher Sensibilität ein, vor allem die intimen. Voller Empathie blickt der Regisseur auf eine Welt, in der sich die jungen Männer zu verlieren drohen. In widerstreitenden Gefühlen: Lust, Leidenschaft und Sinnlichkeit stehen Identitätskonflikten, Unsicherheiten und Ängsten gegenüber. Und die latente Homophobie ist immer wieder spürbar. Bei den Rückblicken wie auch in der Gegenwartshandlung in Stéphanes Heimat.

Fazit: Zurückhaltender, rücksichtsvoll und feinfühlig inszenierter Blick auf verborgene Gefühle, versteckte Identitäten und alte Geheimnisse, die bruchstückartig ans Licht kommen.