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FBW-Bewertung: Jazzfieber (2023)

Prädikat besonders wertvoll

Jurybegründung: Die Bilder ähneln sich, sprechen aber dennoch eine andere Sprache: im Tour-Bus der 1950er Jahre wurde frech für die Kamera Musik gemacht, in den 2020er Jahren spielen die Jazzmusiker eher mit ihrem Handy. Dennoch, so die Quintessenz von Reinhard Kungels JAZZFIEBER: Der Jazz ist nach wie vor am Leben. Kungel folgt den Spuren des Jazz von seinen Anfängen in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, bis in die Gegenwart, lässt Jazz-Urgesteine und junge Musiker zu Wort kommen und präsentiert eine ganze Bandbreite an Stilen und Variationen.

Ob er nun deutsch oder englisch ausgesprochen wird, ist eigentlich egal, oder um mit Klaus Doldinger aus dem Film zu sprechen: ?Entscheidend sind doch die Töne, die da rauskommen.? Reinhard Kungel hat sich für seinen Dokumentarfilm auf eine augenscheinlich jahrelange Quellensuche des Jazz in Deutschland gemacht.

Hoch hat die Jury JAZZFIEBER angerechnet, dass er kein Insider-, bzw. Jazzliebhaberfilm geworden ist. Die Einstiegsschwelle zum Film ist so niedrig gehalten, dass auch Zuschauer, die mit Jazz wenig zu tun haben, Interesse an diesem vielfältigen Musikstil entwickeln können. Andererseits werden auch Jazzfans nicht verprellt: Da Kungel zunächst eine Hommage an die deutschen Jazzmusiker der ersten Stunde geschaffen hat, dürfen sich eben auch Fans auf ein Wiedersehen mit Stars des Nachkriegsjazz freuen. Über mehrere Jahre hat Kungel Rundfunkarchive durchstöbert, Interviews geführt und viele Stunden Material gesammelt, die er hervorragend aufgearbeitet und geschnitten hat.

Die Jury mutmaßt, dass Kungel der Auftritt einiger Jazz- und Swing-Legenden im Jahr 2012 in Stuttgart als Ausgangspunkt für den Film genommen und sich dann sukzessive an die Nachforschungen begeben hat. Dabei streift er nicht nur die NS-Zeit, er thematisiert ausdrücklich die Rolle des Jazz unter nationalsozialistischer Diktatur und auch die Schicksale einiger Musiker, mit bisweilen beklemmenden Bildern und Informationen. Aber natürlich widmet sich JAZZFIEBER auch eingehend der Hochzeit des Jazz und seiner Spielrichtungen im deutschen Wirtschaftswunder. Er lässt Interpreten wie Paul Kuhn, Max Greger, Hugo Strasser, Coco Schumann oder auch Karlheinz Drechsler zu Wort kommen und unterstreicht deren Aussagen mit bisweilen possierlich wirkenden Aufnahmen aus Wochenschauen und Rundfunkarchiven.

Tatsächlich aber ist es lange her, dass gesagt wurde, ?der Jazz ist die Musik der Jugend.? Inzwischen ist aus der Tanzmusik der Jugendlichen von damals die Musik eines bildungsbürgerlichen Auditoriums geworden. Jazz ? und auch das drückt JAZZFIEBER aus ? wird mittlerweile an fast allen Konservatorien unterrichtet und will sich auch längst nicht mehr als Protest gegen konservative Kulturvorstellungen verstanden wissen.

Wie sich in der Diskussion gezeigt hat, hat sich die Jury über den Facettenreichtum und die dramaturgische Gestaltung der Dokumentation gefreut. Wenn Kungel junge Jazzmusiker die Clips über deutschen Jazz der vergangenen Jahrzehnte anschauen und beurteilen lässt, schafft er nicht nur eine erzählerische Verbindung, sondern auch bisweilen unfreiwillig komische Einblicke in Denkmuster junger Musiker. Natürlich bieten die 91 Minuten Film einen Exkurs zum Jazz in der DDR und selbstverständlich auch in die Gegenwart. Lediglich die im Jazz beheimateten Musikerinnen aus Ost und West kommen in der Dokumentation arg kurz, das ist schade. Dennoch bietet JAZZFIEBER alles-in-allem einen handwerklich exzellent gemachten und über die Maßen unterhaltsamen Einblick in die Geschichte des Jazz in Deutschland, dem die Jury, nach ausgiebiger Diskussion, einstimmig gerne das Prädikat BESONDERS WERTVOLL verleiht.



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