Irre oder Der Hahn ist tot (2023)
In diesem Dokumentarfilm blickt Regisseurin Reinhild Dettmer-Finke in die Freiburger Hilfsgemeinschaft, einer Anlaufstelle für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen.Kritiker-Film-Bewertung:User-Film-Bewertung :
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1970 im Zuge der Antipsychiatriebewegung aus einer Bürgerinitiative und der Studentenbewegung hervorgegangen, zählt der gemeinnützige Verein Freiburger Hilfsgemeinschaft zu den ältesten Institutionen dieser Art. Die Anlaufstelle für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen setzt da an, wo Klinikaufenthalte enden: bei der Bewältigung des Alltags. In den Räumen der Hilfsgemeinschaft wird gemeinsam gekocht, gegessen, sich beschäftigt und diskutiert. Der Verein bietet Tagesstruktur und Hilfestellung auch in privaten Bereichen wie dem Wohnen.
Die Regisseurin Reinhild Dettmer-Finke hat in den Räumen der Hilfsgemeinschaft gefilmt und den Menschen vor Ort zugehört.
Bildergalerie zum Film "Irre oder Der Hahn ist tot"
Filmkritik
"Irre oder Der Hahn ist tot": Überlebenskünstler
Reinhild Dettmer-Finke beginnt ihren Dokumentarfilm mit einem einprägsamen Charakter. Was dem Mann, der in den Räumen der Freiburger Hilfsgemeinschaft Platz genommen hat, an Sehkraft fehlt, macht er mit seiner Eloquenz wett – und er bringt die Situation vieler dort Hilfesuchender auf den Punkt. Seine Leidensgeschichte ist auch eine Abstiegsgeschichte. Einstmals habe er ein gutes Einkommen gehabt, später ein niedriges, inzwischen ein erniedrigendes, sagt er pointiert. Vom Liebeskünstler über den Lebenskünstler sei er zum Überlebenskünstler geworden. Es bleibt sein einziger Auftritt im Film. Doch so wie ihm geht es vielen.
Nah dran an den Menschen
Da ist etwa ein Mitarbeiter der Hilfsgemeinschaft, der sich selbst als eine Art Bindeglied zwischen den "Gesunden" und den "Kranken" versteht, weil er selbst auf eine lange Krankheitsgeschichte zurückblickt. Frank, frei und reflektiert berichtet er vor der Kamera von seinen zahlreichen Psychiatrie-Aufenthalten. Wie die meisten der im Film Interviewten hat er nicht nur gute Erfahrungen mit der klinischen Psychiatrie gemacht.
Dettmer-Finke und ihr Kameramann Ingo Behring sind nah dran an den Menschen. Mit Ruhe und Gelassenheit sehen sie ihnen bei ihrem Alltag in den hellen Altbauzimmern der Hilfsgemeinschaft zu. Dettmer-Finke hakt nur vereinzelt nach, lässt den Protagonisten den nötigen Raum und bringt auf diese Weise und völlig ohne Drang sogar diejenigen zum Reden, die sich anfangs vor laufender Kamera überhaupt nicht äußern wollten. Dabei fängt sie auch eine beinahe schon hitzige Diskussion darüber ein, ob Medikamente zur Behandlung psychischer Erkrankungen nötig sind oder nicht.
Die Bedeutung einer Anlaufstelle
Sich auf die Seite der von psychischen Erkrankungen und Beeinträchtigungen Betroffenen zu konzentrieren, ist die große Stärke dieses Films. Menschen, die in unserer Gesellschaft immer noch leichtfertig abgestempelt und an den Rand gedrängt werden, finden in "Irre oder Der Hahn ist tot" Gehör und räumen mit Vorurteilen auf. Dettmer-Finkes Film weckt Mitgefühl und macht nicht zuletzt klar, dass niemand, egal wie intelligent und gefestigt er sein mag, vor einer psychischen Erkrankung gefeit ist. Umso wichtiger erscheint es, Anlaufstellen und Teilhabe mitten in der Gesellschaft und jenseits klinischer Einrichtungen zu haben.
Dass die Regisseurin die klinische Seite aber komplett ausblendet, ist die große Lücke und eine der Schwächen des Films. Viele der Interviewten haben schlechte Erfahrungen mit einer nahe gelegenen Einrichtung gemacht. Eine Künstlerin hat ihre negativen Erlebnisse zu dem Lied "Stehaufmädle" verarbeitet. Ihre Darbietung des Songs ist die berührendste Szene im Film. Aussagen wie ihre stehen jedoch unwidersprochen. Gern hätte man zudem mehr über die Organisation der Hilfsgemeinschaft erfahren. Welche Menschen und Mechaniken hier im Hintergrund arbeiten, bleibt ebenso im Verborgenen wie die Frage, ob und wo es hakt und wo es zu Reibungen und Konflikten kommen kann, nicht gestellt wird. So wie Dettmer-Finke die Hilfsgemeinschaft präsentiert, läuft alles am Schnürchen.
Fazit: Reinhild Dettmer-Finkes Dokumentarfilm "Irre oder Der Hahn ist tot" begleitet Menschen mit psychischen Erkrankungen und Beeinträchtigungen in der Freiburger Hilfsgemeinschaft. Der Film baut Vorurteile ab, führt vor Augen, dass niemand vor einer psychischen Erkrankung gefeit ist und verdeutlicht die Bedeutung von Einrichtungen wie der Hilfsgemeinschaft, die den Betroffenen jenseits klinischer Behandlung Stabilität geben und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen.
Reinhild Dettmer-Finke beginnt ihren Dokumentarfilm mit einem einprägsamen Charakter. Was dem Mann, der in den Räumen der Freiburger Hilfsgemeinschaft Platz genommen hat, an Sehkraft fehlt, macht er mit seiner Eloquenz wett – und er bringt die Situation vieler dort Hilfesuchender auf den Punkt. Seine Leidensgeschichte ist auch eine Abstiegsgeschichte. Einstmals habe er ein gutes Einkommen gehabt, später ein niedriges, inzwischen ein erniedrigendes, sagt er pointiert. Vom Liebeskünstler über den Lebenskünstler sei er zum Überlebenskünstler geworden. Es bleibt sein einziger Auftritt im Film. Doch so wie ihm geht es vielen.
Nah dran an den Menschen
Da ist etwa ein Mitarbeiter der Hilfsgemeinschaft, der sich selbst als eine Art Bindeglied zwischen den "Gesunden" und den "Kranken" versteht, weil er selbst auf eine lange Krankheitsgeschichte zurückblickt. Frank, frei und reflektiert berichtet er vor der Kamera von seinen zahlreichen Psychiatrie-Aufenthalten. Wie die meisten der im Film Interviewten hat er nicht nur gute Erfahrungen mit der klinischen Psychiatrie gemacht.
Dettmer-Finke und ihr Kameramann Ingo Behring sind nah dran an den Menschen. Mit Ruhe und Gelassenheit sehen sie ihnen bei ihrem Alltag in den hellen Altbauzimmern der Hilfsgemeinschaft zu. Dettmer-Finke hakt nur vereinzelt nach, lässt den Protagonisten den nötigen Raum und bringt auf diese Weise und völlig ohne Drang sogar diejenigen zum Reden, die sich anfangs vor laufender Kamera überhaupt nicht äußern wollten. Dabei fängt sie auch eine beinahe schon hitzige Diskussion darüber ein, ob Medikamente zur Behandlung psychischer Erkrankungen nötig sind oder nicht.
Die Bedeutung einer Anlaufstelle
Sich auf die Seite der von psychischen Erkrankungen und Beeinträchtigungen Betroffenen zu konzentrieren, ist die große Stärke dieses Films. Menschen, die in unserer Gesellschaft immer noch leichtfertig abgestempelt und an den Rand gedrängt werden, finden in "Irre oder Der Hahn ist tot" Gehör und räumen mit Vorurteilen auf. Dettmer-Finkes Film weckt Mitgefühl und macht nicht zuletzt klar, dass niemand, egal wie intelligent und gefestigt er sein mag, vor einer psychischen Erkrankung gefeit ist. Umso wichtiger erscheint es, Anlaufstellen und Teilhabe mitten in der Gesellschaft und jenseits klinischer Einrichtungen zu haben.
Dass die Regisseurin die klinische Seite aber komplett ausblendet, ist die große Lücke und eine der Schwächen des Films. Viele der Interviewten haben schlechte Erfahrungen mit einer nahe gelegenen Einrichtung gemacht. Eine Künstlerin hat ihre negativen Erlebnisse zu dem Lied "Stehaufmädle" verarbeitet. Ihre Darbietung des Songs ist die berührendste Szene im Film. Aussagen wie ihre stehen jedoch unwidersprochen. Gern hätte man zudem mehr über die Organisation der Hilfsgemeinschaft erfahren. Welche Menschen und Mechaniken hier im Hintergrund arbeiten, bleibt ebenso im Verborgenen wie die Frage, ob und wo es hakt und wo es zu Reibungen und Konflikten kommen kann, nicht gestellt wird. So wie Dettmer-Finke die Hilfsgemeinschaft präsentiert, läuft alles am Schnürchen.
Fazit: Reinhild Dettmer-Finkes Dokumentarfilm "Irre oder Der Hahn ist tot" begleitet Menschen mit psychischen Erkrankungen und Beeinträchtigungen in der Freiburger Hilfsgemeinschaft. Der Film baut Vorurteile ab, führt vor Augen, dass niemand vor einer psychischen Erkrankung gefeit ist und verdeutlicht die Bedeutung von Einrichtungen wie der Hilfsgemeinschaft, die den Betroffenen jenseits klinischer Behandlung Stabilität geben und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen.
Falk Straub
FBW-Bewertung zu "Irre oder Der Hahn ist tot"Jurybegründung anzeigen
Wir beobachten verschiedene Menschen in einer Tagesstätte, die offen von ihren Abstiegen infolge von ganz unterschiedlich gelagerten psychischen Erkrankungen berichten. Meist hören wir sie im Voice Over, während wir ihnen beim alltäglichen Agieren [...mehr]TrailerAlle "Irre oder Der Hahn ist tot"-Trailer anzeigen
Besetzung & Crew von "Irre oder Der Hahn ist tot"
Land: DeutschlandJahr: 2023
Genre: Dokumentation
Länge: 79 Minuten
FSK: 12
Kinostart: 13.07.2023
Verleih: Cine Global Filmverleih