oder

FBW-Bewertung: Oink (2023)

Prädikat besonders wertvoll

Jurybegründung: Vom sehr flüssig erzählten Stop-Motion-Animationsfilm OINK der Regisseurin Mascha Halberstad war die Jury begeistert, allem voran von seiner psychologischen Vielschichtigkeit, den intelligenten und überraschenden Volten und einem fantastischen Animationsstil.

Vorangetrieben wird die Handlung durch die plötzliche Rückkehr des Großvaters nach 25 Jahren. Durch dieses Erzählmoment wird auch die Psychologie der Mutter ? deren Vater also in jungen Jahren abgehauen war ? gut erklärt: antrainierte Dominanz und Prinzipientreue, um Sicherheit zu gewinnen sowie ideologischer Veganismus, weil der Vater Metzger war.
Erzählt wird primär aus der Perspektive der Enkelin Babs, die sich einen Hund wünscht, aber vom aus den USA als Westerntyp hereingeschneiten Großvater ein Ferkel geschenkt bekommt ? scheinbar aus Rücksichtnahme auf die Hundehaarallergie des sanften Vaters. Überhaupt ergibt das gesamte Familienpersonal eine spannende, witzige Familienaufstellung. Und mit allen weiteren Figuren ergibt sich eine lobenswert moderne, vielgesichtige Gesellschaft ? inklusive selbstverständlich vorkommenden People of Color (PoC) und Menschen mit Migrationshintergrund.

Ein gewagter, vortrefflicher Trick des Films besteht darin, die Zuschauenden mehrfach durch Brechungen gewohnter Dramaturgie zu überraschen. So erwartet man vom Opa permanent Läuterung und Wiedergutmachung, was er auch einzulösen scheint, um dann mit mehreren Volten zu konfrontieren. Zwei der großen Themen des Films sind Vertrauen und Glaubwürdigkeit, wobei hier das klassische Gut-Böse-Schema zwar letztlich beibehalten, aber über weite Strecken erfrischend verwirrt wird, so dass keine langweilende Vorhersehbarkeit aufkommt.

Bei alledem hat der Film überbordenden Witz und Einfallsreichtum, ohne je ins Hektische zu verfallen, sowie genaue Figurenzeichnungen auch bei den Nebenfiguren ? bis hin zur originellen und genau beobachteten Typologie von Hundehalter:innen oder der sensiblen Zeichnung von Kinderfreundschaften, so dass sich große Vielschichtigkeit ergibt. Wunderbare Detailliebe ist ebenfalls eine Stärke von OINK, der ein fantastisches Kleinstadtsetting entstehen lässt, glaubwürdig bis in die Backsteinarchitektur und Stockrosen in Vorgärten sowie dem aufgegriffenen heutigem Einsatz von Computer und Social-Media.

Dabei fiel der Jury besonders die wunderbare optische Haptik der Animation auf ? bis hin zur Textilität von Kleidung. Angelehnt an die Ästhetik der Aardman Studios, gelingt OINK aber vielleicht sogar eine noch größere Wärme als in Filmen wie WALLACE UND GROMIT oder SHAUN DAS SCHAF.

Da sich die Handlung um das titelgebende Schweinchen dreht, steht die Frage nach Haustier oder Nutztier, bzw. Fleischkonsum oder Veganismus im Raum, die hier klug verhandelt wird, auch mit originellen zeitlichen Rückverweisen anhand eines traditionellen Metzgerwettbewerbs. Witzig erschien der Jury dabei, dass mit dem wahrscheinlichen Sieg der Veggie-Wurst auf dem angedeuteten 101. Würstchenverkostungs-Wettbewerb der Siegeszug einer neuen Ernährung eingeleitet scheint. Dann aber hält der Film noch eine letzte Schlusspointe bereit, die hier natürlich noch nicht verraten werden soll.

Kinder werden von diesem Film gut unterhalten und angeregt, sich zu verschiedenen Themen zu positionieren, ohne verwirrt zu werden, und Erwachsene erhalten ebenfalls viel anregenden Reflexions- sowie Gesprächsstoff mit ihren Kindern.

Das war der Jury ein einstimmiges Votum für das Prädikat BESONDERS WERTVOLL wert.






Spielfilm.de-Mitglied werden oder einloggen.