Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry (2023)
The Unlikely Pilgrimage of Harold Fry
In diesem britischen Drama schickt Regisseurin Hettie Macdonald ("Beautiful Thing") Jim Broadbent auf einen ebenso langen wie aufschlussreichen Fußmarsch.Kritiker-Film-Bewertung:User-Film-Bewertung :
Filmsterne von 1 bis 5 dürfen vergeben werden, wobei 1 die schlechteste und 5 die beste mögliche Bewertung ist. Es haben insgesamt 12 Besucher eine Bewertung abgegeben.
Harold Fry (Jim Broadbent) und seine Frau Maureen (Penelope Wilton) führen ein beschauliches Rentnerdasein irgendwo im englischen Süden. Als Harold einen Brief von seiner ehemaligen Kollegin und guten Freundin Queenie (Linda Bassett) erhält, fasst er spontan einen weitreichenden Entschluss. Queenie liegt in einem Hospiz an der Grenze zu Schottland im Sterben. Um sie zu retten, will er zu Fuß zu ihr gehen. Bis dorthin sind es allerdings mehr als 1000 Kilometer und Harold hat nicht einmal das richtige Schuhwerk dafür.
Zunächst ist Harold auf sich allein gestellt. Entlang des Weges wird ihm aber stets eine helfende Hand gereicht, etwa von der slowenischen Ärztin Martina (Monika Gossmann), deren Abschluss in England nicht anerkannt wird und die sich deshalb als Putzfrau verdingt. Als die Medien von Harolds Unterfangen Wind bekommen, wird er fortan auf der Straße erkannt und beginnend mit dem Jugendlichen Wilf (Daniel Frogson), der Harold an seinen eigenen Sohn David (Earl Cave) erinnert, schließen sich dem alten Mann weitere Pilger an. Als ihr allein zu Hause die Decke auf den Kopf fällt, reist Maureen mithilfe ihres Nachbarn Rex (Joseph Mydell) Harold schließlich hinterher.
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Filmkritik
"Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry": Unterwegs zu sich selbst
Obwohl Hettie Macdonald in den vergangenen drei Jahrzehnten keineswegs untätig war, reicht ihr letzter, zugleich erster und bislang einziger Kinofilm bereits 27 Jahre zurück. Das Drama "Beautiful Thing" (1996; deutscher Titel: "Die erste Liebe") über ein Coming-out nach dem gleichnamigen Theaterstück von Jonathan Harvey war Macdonalds Debüt. Seither hat die 1962 geborene Engländerin neben ihrer Tätigkeit als Theaterregisseurin vor allem fürs britische Fernsehen gearbeitet und dafür unter anderem einen BAFTA gewonnen. Für ihren zweiten Kinofilm hat sie nun erneut eine literarische Vorlage adaptiert, Rachel Joyce' 2012 publizierten Weltbestseller "Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry".
Roadmovie der etwas anderen Art
Ob Joyce, die auch das Drehbuch zum Film schrieb, beim Verfassen ihres Romans wusste, dass der deutsche Filmemacher Werner Herzog eine ganz ähnliche Reise wie ihr Protagonist Harold Fry unternommen hat, ist nicht überliefert. Womöglich hat sie gar Herzogs Buch "Vom Gehen im Eis", das aus seinen unterwegs festgehaltenen Eindrücken entstanden ist, gelesen. So oder so liegen die Parallelen jedoch auf der Hand: Als Herzogs gute Freundin, die Filmkritikerin Lotte Eisner, im Winter 1974 schwer erkrankte, pilgerte Herzog innerhalb von 22 Tagen zu Fuß von München zu Eisner nach Paris, um sie zu "retten". (Und tatsächlich lebte Eisner noch neun Jahre weiter.) Harold Frys Unterfangen ist am Ende, wie im Grunde jede Pilgerreise, eine zu sich selbst.
In Joyce' Vorlage wie in deren Filmadaption geht es um nicht verarbeitete Trauer, damit verbundene Schuldgefühle und deren Überwindung. Die Erinnerungsfetzen, die sich damit befassen, sind vom Rest des Films nicht nur visuell abgehoben, sie wirken sowohl formal als auch narrativ bis zuletzt wie Fremdkörper. Um Harolds innere Unruhe und Unzufriedenheit zu begreifen, hätte es dieser Mini-Rückblenden nicht bedurft. Und auch abseits davon läuft in diesem Roadmovie der etwas anderen Art nicht alles rund.
Voll und ganz auf Wohlfühlfaktor getrimmt
Macdonalds Film ist nicht der erste, der einen Rentner während eines skurrilen Roadtrips begleitet. Schon Paul Mazursky schickte Art Carney als wohnungslos gewordenen Harry mit seiner Katze Tonto unterm Arm in "Harry und Tonto" (1974) auf Entdeckungsreise quer durch die USA. Ein Vierteljahrhundert später legte ausgerechnet Albtraumfilmer David Lynch mit "Eine wahre Geschichte – The Straight Story" (1999), in dem ein alter Mann 400 Kilometer auf einem Aufsitz-Rasenmäher zu seinem schwerkranken Bruder zurücklegt, das lässigste Roadmovie aller Zeiten vor. Anfang des neuen Jahrtausends machte sich Jack Nicholson als frustrierter Ruheständler in Alexander Paynes "About Schmidt" (2002) auf den abenteuerlichen Weg zur Hochzeit seiner Tochter. 2013 stieg Robert Gustafsson als Hundertjähriger einfach aus dem Fenster und verschwand und im vergangenen Jahr Timothy Spall als Engländer in einen Bus, der bis ans Ende der Welt fuhr. Die Grundformel all dieser Filme findet sich nun auch bei Macdonald wieder.
Auch ihr Protagonist, von Jim Broadbent ("Iris", "Paddington") gewohnt überzeugend gespielt, ist auf seine Reise psychisch nicht vorbereitet und irgendwann physisch von ihr überfordert. Zudem kommt der Medienhype, der plötzlich um ihn entsteht und die vermeintliche Anteilnahme seiner Mitmenschen als hohle Sensationsgier entlarvt, auch im oben erwähnten "Der Engländer, der in den Bus stieg und bis ans Ende der Welt fuhr" (2022) von Regisseur Gillies MacKinnon vor, dessen Handlung der von "Harold Fry" ohnehin zum Verwechseln ähnelt, sowie in einer längeren Passage in Robert Zemeckis' "Forrest Gump" (1994), in der der Titelheld einmal quer durch die USA joggt und dabei ungewollt immer mehr Gleichgesinnte um sich schart. Wie Zemeckis und MacKinnon nutzt auch Macdonald die Gelegenheit, über am Wegesrand getroffene Menschen viel über den Zustand der Welt zu erzählen. Und auch ihr Film ist voll und ganz auf Wohlfühlfaktor getrimmt. Beides ist allerdings stets ein Stück zu offensichtlich – und reicht an die Qualität der hier aufgeführten vergleichbaren Filme nicht ganz heran.
Fazit: Nach langer Pause hat Regisseurin Hettie Macdonald einen zweiten Kinofilm gedreht und sich dafür die Adaption eines Weltbestsellers vorgenommen: Rachel Joyce' "Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry". Herausgekommen ist eine gefällige Tragikomödie über Trauer, Schuldgefühle und deren Überwindung, die letzten Endes ein wenig zu sehr auf den Wohlfühlfaktor setzt.
Obwohl Hettie Macdonald in den vergangenen drei Jahrzehnten keineswegs untätig war, reicht ihr letzter, zugleich erster und bislang einziger Kinofilm bereits 27 Jahre zurück. Das Drama "Beautiful Thing" (1996; deutscher Titel: "Die erste Liebe") über ein Coming-out nach dem gleichnamigen Theaterstück von Jonathan Harvey war Macdonalds Debüt. Seither hat die 1962 geborene Engländerin neben ihrer Tätigkeit als Theaterregisseurin vor allem fürs britische Fernsehen gearbeitet und dafür unter anderem einen BAFTA gewonnen. Für ihren zweiten Kinofilm hat sie nun erneut eine literarische Vorlage adaptiert, Rachel Joyce' 2012 publizierten Weltbestseller "Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry".
Roadmovie der etwas anderen Art
Ob Joyce, die auch das Drehbuch zum Film schrieb, beim Verfassen ihres Romans wusste, dass der deutsche Filmemacher Werner Herzog eine ganz ähnliche Reise wie ihr Protagonist Harold Fry unternommen hat, ist nicht überliefert. Womöglich hat sie gar Herzogs Buch "Vom Gehen im Eis", das aus seinen unterwegs festgehaltenen Eindrücken entstanden ist, gelesen. So oder so liegen die Parallelen jedoch auf der Hand: Als Herzogs gute Freundin, die Filmkritikerin Lotte Eisner, im Winter 1974 schwer erkrankte, pilgerte Herzog innerhalb von 22 Tagen zu Fuß von München zu Eisner nach Paris, um sie zu "retten". (Und tatsächlich lebte Eisner noch neun Jahre weiter.) Harold Frys Unterfangen ist am Ende, wie im Grunde jede Pilgerreise, eine zu sich selbst.
In Joyce' Vorlage wie in deren Filmadaption geht es um nicht verarbeitete Trauer, damit verbundene Schuldgefühle und deren Überwindung. Die Erinnerungsfetzen, die sich damit befassen, sind vom Rest des Films nicht nur visuell abgehoben, sie wirken sowohl formal als auch narrativ bis zuletzt wie Fremdkörper. Um Harolds innere Unruhe und Unzufriedenheit zu begreifen, hätte es dieser Mini-Rückblenden nicht bedurft. Und auch abseits davon läuft in diesem Roadmovie der etwas anderen Art nicht alles rund.
Voll und ganz auf Wohlfühlfaktor getrimmt
Macdonalds Film ist nicht der erste, der einen Rentner während eines skurrilen Roadtrips begleitet. Schon Paul Mazursky schickte Art Carney als wohnungslos gewordenen Harry mit seiner Katze Tonto unterm Arm in "Harry und Tonto" (1974) auf Entdeckungsreise quer durch die USA. Ein Vierteljahrhundert später legte ausgerechnet Albtraumfilmer David Lynch mit "Eine wahre Geschichte – The Straight Story" (1999), in dem ein alter Mann 400 Kilometer auf einem Aufsitz-Rasenmäher zu seinem schwerkranken Bruder zurücklegt, das lässigste Roadmovie aller Zeiten vor. Anfang des neuen Jahrtausends machte sich Jack Nicholson als frustrierter Ruheständler in Alexander Paynes "About Schmidt" (2002) auf den abenteuerlichen Weg zur Hochzeit seiner Tochter. 2013 stieg Robert Gustafsson als Hundertjähriger einfach aus dem Fenster und verschwand und im vergangenen Jahr Timothy Spall als Engländer in einen Bus, der bis ans Ende der Welt fuhr. Die Grundformel all dieser Filme findet sich nun auch bei Macdonald wieder.
Auch ihr Protagonist, von Jim Broadbent ("Iris", "Paddington") gewohnt überzeugend gespielt, ist auf seine Reise psychisch nicht vorbereitet und irgendwann physisch von ihr überfordert. Zudem kommt der Medienhype, der plötzlich um ihn entsteht und die vermeintliche Anteilnahme seiner Mitmenschen als hohle Sensationsgier entlarvt, auch im oben erwähnten "Der Engländer, der in den Bus stieg und bis ans Ende der Welt fuhr" (2022) von Regisseur Gillies MacKinnon vor, dessen Handlung der von "Harold Fry" ohnehin zum Verwechseln ähnelt, sowie in einer längeren Passage in Robert Zemeckis' "Forrest Gump" (1994), in der der Titelheld einmal quer durch die USA joggt und dabei ungewollt immer mehr Gleichgesinnte um sich schart. Wie Zemeckis und MacKinnon nutzt auch Macdonald die Gelegenheit, über am Wegesrand getroffene Menschen viel über den Zustand der Welt zu erzählen. Und auch ihr Film ist voll und ganz auf Wohlfühlfaktor getrimmt. Beides ist allerdings stets ein Stück zu offensichtlich – und reicht an die Qualität der hier aufgeführten vergleichbaren Filme nicht ganz heran.
Fazit: Nach langer Pause hat Regisseurin Hettie Macdonald einen zweiten Kinofilm gedreht und sich dafür die Adaption eines Weltbestsellers vorgenommen: Rachel Joyce' "Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry". Herausgekommen ist eine gefällige Tragikomödie über Trauer, Schuldgefühle und deren Überwindung, die letzten Endes ein wenig zu sehr auf den Wohlfühlfaktor setzt.
Falk Straub
FBW-Bewertung zu "Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry"Jurybegründung anzeigen
Im Jahr 1974 wanderte der deutsche Filmemacher Werner Herzog von München nach Paris, um so die todkranke von ihm verehrte Filmhistorikerin Lotte Eisner zu retten. In ihrem Bestseller ?Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry? erzählt die [...mehr]TrailerAlle "Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry"-Trailer anzeigen
Besetzung & Crew von "Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry"
Land: GroßbritannienJahr: 2023
Genre: Drama
Originaltitel: The Unlikely Pilgrimage of Harold Fry
Kinostart: 26.10.2023
Regie: Hettie MacDonald
Darsteller: Jim Broadbent als Harold Fry, Penelope Wilton als Maureen, Earl Cave als David Fry, Linda Bassett als Queenie, Daniel Frogson als Wilf
Kamera: Kate McCullough
Verleih: Constantin Film